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Wellenspiel des Schicksals

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Kennen Sie das Gefühl, im Moment des Glücks das Unglück zu erfahren? Ein kleines Beispiel aus dem Alltag: Nach einem perfekten Abend bei erlesenen Speisen und Getränken, bei interessanten Gesprächen mit neuen Bekanntschaften stellen Sie fest, daß Sie Ihre Brieftasche mit 200 Euro verloren haben. Auf das Glück ist das Unglück gefolgt. Für einen anderen allerdings mag der Fund Ihrer Brieftasche, so er sich einige Euro-Scheine daraus aneignet, das Glück auf vorangegangenes Unglück sein. Und auch Sie leben in dem Bewußtsein weiter, daß Ihnen auf das Unglück wieder bald das Glück folgen möge. Vielleicht finden Sie ja am nächsten Tag etwas, erhalten ein Geschenk. Das Wellenspiel des Schicksals kennt keinen Stillstand, es sei denn, der Fluß des Lebens wird tiefgreifend unterbrochen. Dieses schreckliche Geschehen widerfährt dem jungen Niels. Er und die hübsche Cecilia sind ein Paar. Beide sind jung, verliebt, wollen heiraten und die Zukunft scheint ihnen offenzustehen. Da passiert ein Autounfall, ganz banal, nicht spektakulär, beiläufig fast. Niels wird von einem Wagen erfaßt und kommt schwerverletzt in ein Klinikum. Er wird für immer querschnittsgelähmt bleiben. Trotz aller Beteuerungen der verzweifelten Cecilia, daß sie bei ihm bleiben wolle und nicht nur seinen Körper, sondern seinen Geist liebe, vergegenwärtigt der anfangs zunehmend aggressive und verbitterte Niels, daß sein Leben verloren ist. Der Unglückswagen wiederum wurde von der unaufmerksamen Marie gefahren, die schon seit Jahren zufrieden verheiratet scheint und drei Kinder mit dem Unfall-Arzt Joachim großzieht. Nach dem Unfall wird Marie von inneren Vorwürfen geplagt. Sie bittet ihren Mann, sich um die verstörte Cecilia zu kümmern und ahnt nicht, daß sie dadurch zum Auslöser einer Affäre zwischen dem anlehnungsbedürftigen jungen Mädchen und dem aus seinem eingefahrenen Leben ausbrechenden Joachim wird. Was zunächst als Sexaffäre beginnt, stellt schließlich das Fundament der Familie in Frage und führt zu mehrseitigen Konfliktlinien. Die monogamen Beziehungsstrukturen der westlichen Welt erschweren es der neu entstehenden Liebe ungemein, ihre Erfüllung zu finden, da in der monogamen Logik die (ausschließende) Liebe das Leid von Dritten fast zwangsläufig einschließt. Susanne Bier konnte für ihren Film eine ausgezeichnete dänische Schauspielerriege vereinigen: Nikolaj Lie Kaas, Paprika Steen, Mads Mikkelsen, Birthe Neuman und Sonja Richter, die ein beeindruckendes Debüt gibt. „Open Hearts“ wurde nach den „Dogma“-Regeln mit schneller Schnittabfolge gedreht. Immer wieder werden visionäre Traum- und Wunschbilder der Frauen eingeflochten. Der erzählerische Rhythmus ist stringent und nachvollziehbar. Eindrucksvoll und mit starker Authentizität werden die Stufen der Selbstreflextion des unglücklichen Niels dargelegt, ebenso die Annäherung Joachims an Cecilia und die Entfremdungsmomente gegenüber seiner Frau und Tochter. Der Fokus liegt nicht auf äußeren Effekten, sondern auf den innerseelischen Vorgängen in den Figuren. Exakt werden dabei die Formen der Verarbeitung von Trauma, Schuldgefühlen und Schicksal seziert. Der Kinogänger wird fast zum wissenschaftlichen Betrachter einer analytischen Verhaltensforschung. Dabei identifiziert sich der Zuschauer gleichzeitig emotional mit den Schicksalen aller Akteure, leidet und weint, hofft und bangt mit ihnen. Die Handlung bricht dann ab, als die Beteiligten nach einiger Zeit wieder damit beginnen, das Gefühlswirrwarr zu entflechten und bewußte Entscheidungen zu treffen. Cecilia besteigt symbolisch am Ende wieder ihr Auto, das seit dem tragischen Unfall an der Stelle des Geschehens stehengeblieben war, entfernt im Laufe der Monate angesammelte Straf- oder Werbezettel von der Windschutzscheibe und fährt los. Das Leben geht weiter, mit allen schlimmen, aber auch schönen Seiten. Zum tragischen Inhalt ihres Streifens erklärte die Regisseurin in einem Interview: „Du denkst, Dein größtes Problem heute ist, den Einkauf auf die Reihe zu kriegen und auf einmal wird Dein Verlobter überfahren. Das ist wie ein Messerstich mitten ins Leben, im Guten wie im Bösen. Das ‚Böse‘ ist der Unfall als solcher, das ‚Gute‘ ist das, was folgt: daß Du mit noch größerer Intensität das liebst, was Du hattest. Ich denke, es ist ein modernes Problem: die Fundamente, auf denen wir unsere Leben aufbauen, sind überaus zerbrechlich. Zerbrechlicher, als wir wahrhaben wollen. (…) Der moderne Aspekt daran ist unsere Naivität zu glauben, alles wäre kontrollierbar. Folglich sind wir ziemlich schlecht vorbereitet, wenn etwas Unerwartetes eintrifft. Heutzutage sind Tragödien kein fester Bestandteil des Lebens mehr, so wie es in früheren Zeiten der Fall war. Wir haben eigentlich kaum eine Idee, wie man damit umgehen soll und eine Konsequenz daraus ist, daß wir inmitten einer sich ereignenden Tragödie auf schockierende Weise unglaublich schlecht reagieren und funktionieren.“ Das Leben bestimmt das Schicksal, das ist auch Niels‘ Erkenntnis. Er und Cecilia hatten einfach kein Glück gehabt, konstatiert er. Der Lauf der Dinge geht weiter, die meisten finden neues Glück. Einige allerdings bleiben gestraft, sofern sie sich nicht arrangieren können. Das nennt man Zerbrechlichkeit des Lebens.

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