Im Genialen verbinden sich Vergangenes und Zukünftiges zu einer Einheit. Das Überlieferte erwirbt sich im Kunstwerk eine neue Form, ohne sein bewährtes Wesen aufzugeben, und gewinnt sich eine neue Eigenart. Richard Wagners Werk gibt dafür ein Beispiel. Es bedarf keines Anlasses, dessen Wirkung auszukosten. Die in der jüngsten Neuzeit in Bewegung und Beschleunigung geratenen Partikel des Weltstoffes werden in seinem Werk hör- und sichtbar gemacht. In den Klangwelten der Ouvertüren zu „Lohengrin“ und „Tristan“ ist Proteus eingezogen. „Damit ein Ereignis Größe habe, muß zweierlei zusammenkommen: der große Sinn derer, die es vollbringen, und der große Sinn derer, die es erleben“, leitet Nietzsche 1876 sein „Richard Wagner in Bayreuth“ ein. Erlebbar zu machen, welch Werk dieser Mann hinterließ, versucht gerade die Ausstellung „Wagners Welten“ im Münchner Stadtmuseum, die in reicher Füllung auch die Wirkung und Ausstrahlung des Komponisten behandelt und die nie verstummende Frage nach der Haltung zu Wagner aufwirft. Eingangs der Ausstellung wird die Entwicklung der Bühnenentwürfe ausgebreitet. Entwürfe führen bekanntlich oft zur Aufführung, und bei Wagner ist das bis heute vielen ein Grund für Ärgernis und Kummer. In der Nachfolge von Jugendstil und Expressionismus nach dem Ersten Weltkrieg kam es auf deutschen Bühnen zu neuen szenischen Lösungen, die hier als „revolutionär“ bezeichnet werden. Bayreuth blieb davon unberührt. Zu Lebzeiten Cosimas bis 1930 galt das Gesetz unbedingter Bewahrung der teilweise noch auf Wagner selbst zurückgehenden Inszenierungen. Dieser konservatorische Stil übertrug sich auf die Mehrzahl der deutschen Bühnen, die sich an Bayreuth orientierten. Bis 1945 folgte der sogenannte Monumentalstil der Winifred-Ära. Erst das „neue Bayreuth“ erfuhr eine grundlegende Änderung. Seit 1951 „überwanden“ Wieland und Wolfgang diesen Monumentalstil durch „Psychologisierung der Musiktheaters und symbolische Abstrahierung des geöffneten Raumes“. Prägend wurde Adolphe Appia, dessen 1895 in Paris erschienene Schrift „La mise en scéne du drama wagnerien“ wesentliche Anstöße zur Veränderung der Bühne gab und eine szenische Stilisierung predigte. Mit seinem Plädoyer für einen steten Wandel wurde es zum Manifest der „neuen“ Wagner-Bühne. Auf den 1892 entstandenen Kohlezeichnungen Appias ist dies bildlich nachzulesen. Wenige Handlungsträger sind in riesige Bühnenräume gestellt. Auch den anderen Bühnenentwürfen, etwa von Ewald Dülberg von 1914 und 1929, sieht man die Tendenz zur Stilisierung und Abstraktion an. Dem Bühnenraum wird die Detailvielfalt entzogen. Der nächste Ausstellungsraum zeigt unter dem Motto „Wagner für alle“ die kommerzielle Verwertung den Komponisten in Ansichtskarten, Sammelbildchen und Porzellanfiguren bis hin zum Kitsch, wenn Siegfried um 1905 zur Fassadenfigur eines Schaustellergeschäftes mutiert. Das Massenzeitalter verschont niemanden. Auf einem Bildschirm flimmern Filmausschnitte, in denen Wagners Musik Verwendung fand. Da darf der bekannte Hubschrauberangriff im Rhythmus des „Walkürenritts“ aus Francis Ford Coppolas Vietnam-Streifen „Apocalypse Now“ nicht fehlen. Thomas Mann liebte Wagners Musik Durch zwei rote Vorhänge tritt man in einen abgedunkelten rotsamtenen Raum, in dem die Porträtbüsten Richard Wagners und Thomas Manns in einem gewissen physiognomischen Gegenüber stehen. Leitfaden der Ausstellung ist die „enthusiastische Ambivalenz“, die Thomas Mann zu Lebzeiten zur Musik des Tondichters einnahm. „Die Passion für Wagners zaubervolles Werk begleitet mein Leben, seit ich seiner zuerst gewahr wurde und es mit zu erobern, es mit Erkenntnis zu durchdringen begann“, bekannte Mann noch zu einer Zeit, da er sich von Bayreuth schon verabschiedet und „viel Hitler in Wagner“ wahrgenommen hatte. Aus einer Tonkonserve hört man die Stimme des Literaten, der in einem „Liebesverhältnis der Musik gelauscht, nicht nur mit sinnlichem Interesse, sondern mit geistiger Aufmerksamkeit.“ Wenn Mann 1927 schreibt, „daß Wagner, als künstlerische Potenz genommen, etwas nahezu Beispielloses, wahrscheinlich das größte Talent der Kunstgeschichte war“, mag das etwas übertrieben sein. Erstaunlich bleibt, wie oft hier die Literatenvernunft ins Schwarze traf. Thema des Folgeraums ist das Frühwerk. Eine Europakarte verzeichnet bunt die vielen Aufenthalte und Wohnorte Wagners. Selbst Moskau ist markiert. „Rienzi“ war die erste vielbeachtete Oper und wurde 1842 uraufgeführt. Ein räumliches Bühnenbild veranschaulicht im zeitgenössischen Modell den klassischen Ansatz mit Renaissancevorbild in der Raumgestaltung. Der römische Charakter sollte bald weichen. „Wagner, der mit dem ‚Rienzi‘ einen Triumph errang, der jeden anderen bestimmt hätte, sein Leben lang auf diesem gangbaren Wege fortzuschreiten. Was Wagner daran hindert, ist die Tiefe seines geistigen Gewissens, seine Fähigkeit zum Ekel, sein instinktiver, noch ungeklärter Widerwille gegen die flach und luxuriös unterhaltende Rolle, die das musikalische Theater in der ihm umgebenden bürgerlichen Gesellschaft spielt“, kommentierte Mann fast hundert Jahre nach der Uraufführung den ersten Paukenschlag des Meisters. Am Anfang stand auch das Verhältnis zu Giacomo Meyerbeer. Dieser Vertreter der „Grand Opera“ war bewundertes Vorbild und eitel verfolgter Gegner des jungen Wagner. Meyerbeer, als Opernkomponist Abgott des musikalischen Paris, empfand zeit seines Lebens seine jüdische Herkunft als Trauma. Seine Bemühungen, den jungen Wagner 1939/40 in die Pariser Opernwelt einzuführen, hatten nicht die gewünschten Ergebnisse, jedoch ermöglichte er die Uraufführung des „Rienzi“ in Dresden und des „Fliegenden Holländers“ in Berlin. Wut und Eifersucht ließen Wagner aber an Dank nicht denken. Statt dessen erging er sich in Anfeindungen, die auf die Herkunft des Rivalen zielten. Auch Heine, dem er die Idee des „Fliegenden Holländers“ schuldete, fand später keine Erwähnung mehr. Gezeigt werden die frühen Bühnenbildentwürfe zur Oper des Erlösung Suchenden. Jede Oper Wagners wird in einem separierten Raum vorgeführt, mit Bühnenentwürfen, Entstehungsanekdoten, Filmausschnitten aus Aufführungen und entsprechenden Musikbeispielen. So erhält die Ausstellung einen eigenartigen Erlebnischarakter. Auch der Schwiegervater kommt zu Ehren. Franz Liszt war zeitlebens Wagner zugetan, unterstützte ihn nicht nur in künstlerischen Belangen, sondern auch, bei Wagner lebenslang notwendig, finanziell. Eine Fotografie aus dem Atelier Haufstaengels zeigt den in seiner Jugend äußerst gutaussehenden Liszt. „Wagners Frauen“ ist ebenfalls ein eigener Raum gewidmet. Herausgearbeitet wird, daß Wagner in seiner künstlerischen Produktion auf weibliche Inspiration und präsenten Eros angewiesen war, wie Goethe übrigens auch. So versicherte sich auch jedes der großen Werke Wagners der Begleitung einer jeweils anderen Muse. Es war dabei nicht entscheidend, welchen Grad der Intensität die jeweilige Beziehung erreichte, es genügt, die Einbildungskraft zu aktivieren, die etwa ein leidenschaftlicher Brieftausch auslösen konnte. Neben den Gattinnen Minna und Cosima werden alle Musen vorgestellt. Die letzte war eine Carrie Pringle. 1881 wurde die zartgliedrige Engländerin als Blumenmädchen im „Parsifal“ engagiert und erregte dabei das starke Interesse des Komponisten. Es war wahrscheinlich die dadurch ausgelöste Eifersuchtszene Cosimas, die zu jener Herzattacke führte, die den Meister am 13. Februar 1883 in Venedig im Palazzo Vendramin zu dieser Welt scheiden ließ. Zu Wagner gehört Nietzsche. Neben zwei nichtbenannten Porträtköpfen wird die Chronologie ihrer Freundschaft vorgetragen. Schon in Schulpforta hatte sich Nietzsche mit Wagner beschäftigt. 1871 vertraute Cosima ihrem Tagebuch über Nietzsche an: „Er ist jedenfalls der bedeutendste unter unseren Freunden… Es ist gleichsam, als ob er sich gegen den überwältigenden Eindruck von Wagners Persönlichkeit wehrte.“ Schon bei den Festspielen 1876 nahm Nietzsche einsamen Abschied. Später schrieb er: „Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, condescendierte er Schritt für Schritt zu allem, was ich verachte – selbst zum Antisemitismus … Es war in der Tat damals die höchste Zeit, Abschied zu nehmen.“ Die Ursachen des Bruchs sind bis heute nicht vollständig erklärbar. Auf der unteren Ausstellungsebene empfängt vor der Riesenaufnahme des kriegszerstörten Münchner Nationaltheaters die monumentale Porträtbüste Wagners von Arno Breker. Vermutlich soll diese Zusammenstellung ein Gleichnis offenbaren, auch wenn die Plastik schon 1919 geschaffen wurde. Im nächsten Raum läßt sich an den Lichtbildern von Schauspielern der vorletzten Jahrhundertwende, wie etwa Heinrich Knote, Berta Morena und Otto Brucks, ein Einblick in die damalige Kostümierung finden, die sich historisch und bodenständig gab. Antisemitische Schriften entfalteten Wirkung Ein Kapitel für sich bleibt Wagners Verhältnis zum Judentum. Unter dem Pseudonym Karl Freigedank veröffentlichte er 1850 seine Schrift „Das Judentum in der Musik“, in der er allen Juden jede Begabung zu echtem Künstlertum absprach. Sie war vor allem gegen seine Konkurrenten Meyerbeer und Mendelssohn-Bartholdy gerichtet. Erst als er sie 1869 unter seinem jetzt bekannt gewordenem Namen wiederveröffentlichte, entfaltete die „Judenbroschüre“ ihre weitgreifende Wirkung. „Ich begreife nicht, wie Wagner einen solchen Wahnsinn begehen konnte, eine vor Jahren begangene und seither in Vergessenheit geratene Dummheit wieder aufzuwärmen und sich neuerdings unsterblich zu blamieren“, schrieb der besorgte Liszt seinem Verleger Franz Schott. Für weite Kreise wurde Wagner zum Vordenker der antisemitistischen Bewegung. „Richard ist für völlige Ausweisung, wir lachen darüber, daß wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat“, notierte Cosima 1879 in ihr Tagebuch. Noch zwei Jahre vor seinem Tod schrieb Wagner den Aufsatz „Erkenne dich selbst“ als zentralen antisemitischen Text. Darin steht: „Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.“ Ein Ausschnitt aus dem Film „Der ewige Jude“ von 1940 wiederholt eine Szene, die Gestalten aus dem Ghetto von Litzmannstadt zeigt, wozu eine metallische Stimme schnarrt: „Richard Wagner hat einmal gesagt: Der Jude ist der plastische Dämon des Verfalls der Menschheit. Und diese Bilder bestätigen die Richtigkeit seines Ausspruchs.“ Daneben sind Fotografien von Besuchen Hitlers in Bayreuth gehängt. Im Kaleidoskop Wagners darf sein königlicher Gönner Ludwig II. nicht fehlen. Gleich nach dessen Thronbesteigung 1864 ließ er seinen Schützling suchen, der sich gerade wieder auf der Flucht vor seinen Gläubigern befand. Die Beziehung gestaltete sich schwierig, jedoch ermöglichte sie erst den Erfolg des Komponisten. Stets, wenn Wagner sich in Geldnöten befand, hat Ludwig II. sofort geholfen. „Den Künstler, um den die ganz Welt trauert, habe ich zuerst erkannt, habe ich der Welt gerettet“, schrieb dieser nach Wagners Tod. Cosima sah es 1879 mit dem Wirklichkeitssinn einer Frau: „einer Anomalie, wie du bist, konnte auch nur eine Anomalie helfen“. Fast wäre München die Festspielstadt geworden. Eine Riesenprojektion bezeichnet virtuell die Lage des Semperbaus an der Isar, zwischen Friedensengel und Maximilianeum. Die Entstehungsgeschichte des Bayreuther Theaterbaus und die ersten Aufführungen des „Parsifal“ und des „Rings“ beenden die Ausstellung. Zur Schau kommen Bühnenbildentwürfe und Originalrequisiten, wie alle bislang benutzten Parsifalspeere. Im Vergleich offenbart sich der Charakter. Auf 48 Sitzplätzen kann man „Wotans Abschied“ und „Feuerzauber“ aus dem „Ring“ auf einer Großprojektion in den Inszenierungen von 1976 der Festspiele durch Patrice Chéreau und von 1989 durch Otto Schenk an der Metropolitan Opera verfolgen. Letztere lehnt sich an die historische Aufführungen der Frühzeit an. Nach der Durchrundung aller Ausstellungsräume gilt es, die Flut der Eindrücke zu bewahren. „Wagners Welten“ ist deutlich als Erlebniswelt entworfen, in der die Beschaulichkeit vom Reiz überlagert wird. Verständlichmachung bedarf heute eben eines höheren Kontrastes. Trotzdem könnte man als Schluß ziehen: Viel Lärm um viel. Für die Freunde des Tondichters wird ein Besuch zur Pflicht.
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