In ihrer Mythologie führen die Maori-Bewohner eines kleinen neuseeländischen Küstenorts ihre Herkunft auf den legendären Walreiter Paikea zurück, der sie einst zu der Insel geleitet habe. Seit über tausend Jahren trägt ein männlicher Nachfahre aus jeder Generation den Titel des Walreiters. Das alt gewordene Stammesoberhaupt Koro (Rawiri Paratene) sieht die Zeit für einen neuen Erben gekommen. Doch Koros eigener Sohn fühlt sich nicht mehr der alten Tradition verpflichtet. Bei der Geburt von Zwillingen sterben dessen Frau und der männliche Hoffnungsträger des Stammes. Nur dessen Zwillingsschwester Pai (Keisha Castle-Hughes) wird lebend geboren. Koros Sohn zieht nach Europa, um dort eine Karriere als Künstler zu starten. Seine Tochter gibt er in die Obhut der Großeltern. Koro, der deprimiert über den Tod des möglichen Stammesführers dessen kleiner Zwillingsschwester anfänglich Argwohn entgegenbringt, entwickelt im Laufe der Jahre, in denen er sie großzieht, tiefe Zuneigung zu seiner Enkelin. Dennoch ist es ihm nicht möglich, sich ein Mädchen als zukünftige Stammesführerin vorzustellen, da dies der Tradition widerspräche. Koro ist überzeugt davon, daß das Unglück, die sittliche Verwahrlosung seines Stammes mit der Geburt Pais begann. So ruft er sein Volk dazu auf, ihm seine Söhne anzuvertrauen, um unter ihnen den neuen Führer zu ermitteln, der dem Stamm neuen Halt geben kann. Die 12jährige Pai, die ihren Großvater Koro mehr als jeden anderen auf der Welt liebt, muß sich nun gegen diesen und eine tausendjährige Tradition auflehnen. Heimlich und gegen den Willen Koros lernt sie die traditionelle Kampfkunst und die heiligen Gesänge. Als Koro davon erfährt, reagiert er erbost und voller Ablehnung gegen seine zunehmend ungehorsame Enkelin. Doch alle Jungen des Stammes versagen bei der letzten Prüfung, einen von Koro ins Meer geworfenen Walzahn zurückzubringen. Nur Pai gelingt es, Koros Amulett vom Meeresboden zu holen, doch sie verheimlicht dies gegenüber ihrem Großvater. Pai ruft schließlich in ihrer Verzweiflung die Wale an, und am nächsten Morgen ist eine ganze Herde der riesigen Meeressäuger scheinbar orientierungslos an der Küste des Ortes gestrandet. Die Einwohner versuchen verzweifelt, die Tiere zu retten, doch es gelingt ihnen nicht, sie aufs Meer herauszuschleppen. Mit der einsetzenden Flut aber klettert Pai auf das Leittier und beschwört es, auf hohe See zurückzuschwimmen, damit ihm die Herde folgen könne. Es gelingt, und Pai reitet auf dem Rücken des Wales ins Meer. Nun muß auch Koro erkennen, daß seine Enkelin die neue auserwählte Führerin der Maori-Gemeinschaft ist. In dem bisher erfolgreichsten neuseeländischen Film aller Zeiten wirft Regisseurin Niki Caro einen bewegenden Blick auf den Kampf eines mutigen Mädchens gegen überkommene Traditionen, für ihre Bestimmung und um Liebe und Achtung. Neuentdeckung Keisha Castle-Hughes bezaubert als Pai und liefert sich ein mitreißendes psychologisches Duell mit Rawiri Paratene in der Rolle des engstirnigen, aber im tiefsten Herzen liebevollen Großvaters Koro. Man kann den Streit zwischen Pai und Koro als einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Wert- und Strukturkonservatismus interpretieren. Beide erkennen die gesellschaftlichen Verfallserscheinungen, die sich im Gefolge von Globalisierung und kapitalistisch-industrieller Lebensweise selbst in dem kleinen Maori-Stamm am „Ende der Welt“ ausbreiten. Während Koro allerdings innerhalb des traditionellen Gefüges und angelernter Denkschemata um Heilung bemüht ist, rettet Pai die Grundwerte ihres Volkes, indem sie sich über einige überlebte Traditionen hinwegsetzt. Armin Mohler machte diesen Grundkonflikt in seiner Arbeit über den modernen europäischen Konservatismus deutlich: „Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort ‚konservativ‘ gebraucht zur Kennzeichnung des Bestrebens, etwas Bestehendes zu bewahren und unter allen Umständen an ihm festzuhalten. (…) Die ‚Konservative Revolution‘ glaubt aber, daß es sich dort um mißverstandenen Konservatismus handle. (…) Dieser neue Konservatismus teilt also das Festhalten an überlebten Einzelformen nicht. Allerdings nur das an überlebten; was noch lebendige Tradition ist, achtet und hütet er und unterscheidet sich darin von der Fortschrittsgläubigkeit, die grundsätzlich das Bestehende durch das Neue ersetzen will. Der neue Konservatismus anerkennt also das stete Fließen der Einzelformen. Hinter dieser vordergründigen Bewegung aber erkennt er die Ruhe des Ganzen.“ Natürlich steht diese philosophische und politikwissenschaftliche Betrachtungsweise nur im Hintergrund der erzählten Geschichte eines kleinen Mädchens um Anerkennung. Gleichwohl wird sie in der Schilderung des Stammeslebens vor und nach der Einsetzung Pais als neuer Stammesführerin deutlich. Sie ist die lange verkannte Auserwählte, und ihr gelingt es nach vielen Widerständen, aus einem lethargischen, entwurzelten, sich durch Abwanderung auflösenden und der amerikanisierten Kultur des weißen Neuseelands schutzlos ausgelieferten Volksstamm wieder eine fröhliche Gemeinschaft mit sozialem Bewußtsein und eigener Identität zu bilden. „Whale Rider“ ist ein emotional packender Film, der mühelos den Grat zwischen Mythos und Gegenwart meistert.