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Für die Mehrheit der Mitläufer eine Zumutung

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Für die Mehrheit der Mitläufer eine Zumutung

 

Für die Mehrheit der Mitläufer eine Zumutung

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Haftberichte aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern und sonstigen Gefängnissen der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR scheinen den Markt gesättigt zu haben. Selbst der Interessierte erwartet da aus dem Osten nichts Neues. Schade, denn zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der zweiten Diktatur in Deutschland ist endlich eine fundamentale Untersuchung in zwei Bänden samt zusätzlichem Dokumentarband erschienen. Sie wird als Standardwerk nicht zu überbieten sein. Hier liegt der Glücksfall vor, daß der Autor Dietrich Koch – einst als Physiker, heute als Philosophiedozent tätig – das Thema in klarem Deutsch erzählt und zugleich als Wissenschaftler analysiert und dokumentiert. Sein Werk vertieft und erweitert das von Margret Boveri über Julien Benda bis hin zu Gerd Koenen behandelte Thema „Verblendung und Verrat der Intellektuellen im XX. Jahrhundert“. Im Zentrum von Kochs Abhandlung stehen Freundeskreise in Leipzig, bestehend aus Intellektuellen-Anwärtern der DDR-68er, die jedoch mehr vom „Prager Frühling“ als von den Studentenunruhen im Westen inspiriert waren. Sie einte, daß sie mit dem real existierenden Sozialismus unzufrieden waren, weil ihnen bewußt war, „daß man aus dem Dreieck 1inientreu – intelligent – anständig nicht mehr als zwei Positionen besetzen kann“. Die in kirchlichen Studentengemeinden verkehrenden Freunde trafen sich zu unangemeldeten Vortragsveranstaltungen in Privatwohnungen und tauschten Bücher und Zeitschriften westlicher Herkunft aus. Einige aus diesen Kreisen führten eine spektakuläre Plakataktion durch, um gegen die Sprengung der wertvollen Universitätskirche zu protestieren, andere pflegten Kontakte in das „imperialistische Ausland“ oder hegten ernsthafte Fluchtabsichten. Sie gerieten schließlich durch die Denunziation eines westdeutschen Linken ins Visier der Stasi. Nach dem Paragraphenkatalog des Sozialismus hatten sie sich gleich mehrerer Verbrechen schuldig gemacht. Die Stasi-Vernehmer wollten nicht nur aus ihrer Sicht „Straftaten“ aufklären, sondern buchstäblich alles: „Die ganze Person wird aufgeklärt!“ Aus dem Wüten der Gestapo und der bolschewistischen Geheimdienste hatten Mielkes Söldner den Schluß gezogen, daß mit physischer Gewalt nur das Nötigste aus den Opfern herauszupressen sei, mehr jedoch mit Psychotricks, mit Drohungen, Lockungen und viel Zeit. Dem von aller Rechtsstaatlichkeit und Zivilisation Abgeschirmten boten die Stasi-Zyniker gar Hilfe an: „Wir geben lhnen die Chance zum Neuanfang. Wirklich geständig ist jemand erst, wenn er von sich aus umfassend aussagt, auch das, wonach wir ihn nicht gefragt haben.“ Das Erschütterndste dieses Buches ist die erstmalige genaue Aufdeckung des Prozesses, wie aufmüpfige Intellektuelle unter dem Druck spezifischer Verhältnisse zur Kooperation und damit zum Verrat an ihrer eigenen Gesinnung und zur Denunziation der Freunde verführt werden. Doch auch die rote Gestapo liebte nur den Verrat, wie sich dann bei den Geheimprozessen zeigte, denn sie ließ die Verräter dennoch mit hohem Freiheitsentzug abstrafen. Dietrich Koch, der standhaft blieb und dem aus ethischen Gründen das Lügen schwer-fiel, wußte, daß es dennoch „nicht mehr gerechtfertigt, sondern sogar moralisch geboten war, um sich mit dieser Staatsverbrecherbande nicht gemein zu machen – auch nicht durch die Wahrheit“. Da er nur das Nötigste zugab, konnte er am Ende einer fast zweijährigen Untersuchungshaft lediglich zu zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt werden. Die Stasi rächte sich furchtbar, denn Koch sollte ihrer Planung zufolge sein weiteres Leben nach der Haftverbüßung in der geschlossenen Abteilung einer „Klapsmühle“ verbringen. Die universal wirkende Weltgeschichte revanchierte sich auf ihre Weise und fegte dieses fürsorgliche System auf die Müllhalde. Ende gut – alles gut? Im Gegenteil! Der Fluch der bösen Taten hat die deutsche Gesellschaft in eine Nebelwand gehüllt. Die DDR „mauerte ihre politischen Gefangenen in Schweigen ein und nahm ihnen damit sogar die Möglichkeit, zu Märtyrern zu werden. Sie sollten erinnerungslos zerstört werden.“ Die Bundesrepublik Deutschland ist, das muß man leider konstatieren, in nahezu jeder Beziehung ein Täterschutzstaat. Opfer des Sozialismus samt ihren furchtbaren Erinnerungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und unheilbaren Lebensbrüchen haben hierzulande kaum Fürsprecher. Antikommunistische Widerständler, die man schon unter den DDR-internen Bürgerrechtlern verachtete, wurden dann in der Freiheit des vereinten Landes ebenso gnadenlos und kaltschnäuzig rechts abgestempelt wie links liegengelassen. Ein eigenes Kapitel ist dem aus Dresden stammenden Maler Michael Flade gewidmet. Er, der besonders die jüdische Kultur verehrte, saß nur im mittelbaren Zusammenhang des Freundeskreises um Dietrich Koch in der Stasi-Haftanstalt ein. Er bekannte sich dort ohne Scheu zu solchen Vorbildern wie Friedrich Nietzsche, Albert Camus, den Surrealisten und zu einer „bürgerlich-liberalen Weltanschauung“. Er erklärte mutig, daß er „jede Art des Klassenhasses ablehne, der ja als tragende Kraft der Parteilichkeit gefordert wird“. Um so schmerzlicher mußte ihn nach seinem Freikauf zu Beginn der siebziger Jahre, als er im freien Teil Berlins Fuß zu fassen suchte, die Hegemonie der Linken besonders im kulturellen Bereich und die zunehmende Anerkennung des SED-Regimes treffen. Er nahm sich 1985, noch nicht einmal 40 Jahre alt, das Leben. Die einst – im Gegensatz zu Michael Flade, Dietrich Koch und wenigen anderen – in der Stasi-Mühle zu Verrätern wider Willen gemacht wurden, bemühen sich oft noch heute, ihre narzißtische Kränkung durch Verdrängung oder Verfälschung der Biographie zu kompensieren: „Die Opfer sind sprachlos geworden, oder sie errichten eine neue Fassade.“ Ehemalige Freunde Kochs, mittlerweile in guten Positionen etabliert, versuchten durch Aktionen, sogar durch Drohungen mit dem Staatsanwalt, die vorliegende Veröffentlichung zu verhindern. Fast alle hatten zum selben Thema schon Artikel oder gar Bücher veröffentlicht, jedoch ohne zu viele Details, in denen nicht nur der Teufel, sondern vor allem die Wahrheit steckte: „Zu den Methoden der Stasi gehörte es wesentlich, die Mitbeschuldigten gegeneinander auszuspielen. In der Haft hat es mich tief getroffen, von meinen Freunden belastet zu werden, und auch jetzt ist es schmerzlich, daß mein Bericht darüber sprechen muß. Aber nur eine Darstellung, die auch meine Freunde einbezieht, kann die ganze Niedertracht der Stasi deutlich machen.“ Der Autor spielt sich nicht zum gerechten Gutmenschen auf, er bietet lediglich den ehemaligen Freunden, die in die Kooperationsfalle der Stasi geraten waren, die Chance, sich wenigstens nachträglich von Fehlverhalten zu befreien. Er möchte die gegenwärtige Feindschaft untereinander, die auf die Machenschaften der Stasi zurückzuführen ist, auflösen helfen. Denn was ist die Alternative? Der Moskauer Sänger-Poet Bulat Okud-shawa beschrieb die tödliche Spirale des Verrats in einem seiner Lieder: „Der erste Verrat konnte aus Schwäche geschehn, beim zweiten will man schon Orden sehn, und beim dritten Verrat muß man morden gehn …“ Einige Freunde wurden in dem Buch anonymisiert, weil es Koch an den betreffenden Stellen lediglich darauf ankam, die kriminellen Handlungen der Stasi aufzudecken; andere wurden beim Namen genannt, denn „wer mit einem Bericht dazu in die Öffentlichkeit geht, sollte die Wahrheit sagen und ertragen“. Bisher hatte es nur ein schmalesBüchlein gegeben, das die moderne Form der Stasi-Verhöre thematisierte: „Vernehmungsprotokolle“ von Jürgen Fuchs aus dem Jahre 1978. Fuchs gehörte ebenfalls zu den wenigen, die auf die Frage „Möchten Sie eine Tasse Kaffee trinken?“ mit „Nein, danke!“ antworteten, und sich jeder Kooperation entzogen. Trotzdem mußte er taktieren: „Ich unterschreibe / ja, ich habe unterschrieben / wie groß muß eine Demütigung sein, von der man sich nicht mehr erholt? / wann ist man klug? / wann schlau? / wann vernünftig? / und wann ein Verräter?“ Beide Autoren leisten neben ihrer Aufklärungsliteratur sogar therapeutische Hilfe, vor allem denen, die sich mit diesen unangenehmen Abschnitten ihres Lebens weiterhin beschäftigen, weil die schlimmen Wirkungen sich zumeist heimtückisch erst im nachhinein entfalten. Als unbelehrbar hat sich hingegen nach der friedlichen Revolution fast die gesamte deutsche Führungsschicht samt ihrer Bürokratie und Justiz erwiesen. Jürgen Fuchs versuchte, bereits in Todesahnung, sich seiner Verzweiflung in dem Roman „Magdalena“ zu entledigen. Dietrich Koch, der sich von Jugend an zum liberalen Bürgertum bekannte, erklärte ohne Aufregung: „Durch den Einigungsvertrag hat die Politik die Justiz in den unlösbaren Konflikt gebracht, das justizielle Unrecht der DDR mit denjenigen Mitteln bewältigen zu sollen, die dazu geschaffen wurden, die Kritiker der DDR-Diktatur auszuschalten. Es darf also nicht verwundern, daß die strafrechtliche Aufarbeitung des politischen Unrechtsstaates DDR damit in den meisten Fällen (…) als gescheitert gelten muß.“ Wie schon nach 1945, als die dem verordneten Tod, der Existenzvernichtung und dem Terror Entkommenen aus den Konzentrationslagern, Zuchthäusern oder dem Exil in die deutsche Gesellschaft zurückkehrten, wurden sie von der Mehrheit der Mitläufer als eine Zumutung empfunden. Wer noch ein Gewissen sein eigen nennt, bekommt durch dieses Buch Gelegenheit, es zu prüfen. Dietrich Koch: Das Verhör – Zerstörung und Widerstand. Zwei Bände, Druckerei & Verlag Christoph Hille, Dresden 2000, 29,80 Mark Siegmar Faust , 56, Schriftsteller, wurde in der DDR zweimal wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu Gefängnisstrafen verurteilt und 1976 von der Bundesregierung freigekauft.

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