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Schirrmachers Warnungen

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Frank Schirrmacher hat neuerlich ein gewichtiges Buch apokalyptischer Aussicht geschrieben: „Ego. Das Spiel des Lebens“. Er liest darin dem homo oeconomicus die Leviten, indem er die Übertragung der Spieltheorie aus den Zeiten des Kalten Krieges auf die Ökonomie des digitalen Zeitalters und den schrankenlosen Egoismus geißelt.

Der alternativlos erscheinende Turbokapitalismus habe mittlerweile ein Level erreicht, auf dem er nicht nur unsere Welt verschleißt, sondern Empathie ausschließt und dem immer anonymer erzeugbaren Gewinn alle Moral opfert. 

Die Süddeutsche Zeitung, immerhin ein Konkurrenzblatt zu Schirrmachers FAZ, investierte am Wochenende eine ganze Seite Feuilleton, auf der Andreas Zielcke dem Band Respekt zollt. Er zeigt, daß Schirrmachers Buch sich einreiht in ein umfassendes Bemühen um moderne Kapitalismuskritik.

Fundamentalkritik am „Informationskapitalismus“

Neu daran: Dieses Bedürfnis nach Warnung kommt nicht mehr primär von links, ist also nicht vom Marxismus bestimmt, sondern abgeleitet „aus der tiefen Verunsicherung des bürgerlichen Selbstverständnisses, das unter der Herrschaft des neuen, Geist und Seele vereinnahmenden Kapitalismus gerät und sich darin nur noch in entstellter pathologischer Verfassung wiederfindet.“

Die Rezensenten und Leserbriefschreiber werden Schirrmachers Fundamentalkritik am „Informationskapitalismus“ dämpfen und wieder klarmachen wollen, das wäre nun mal der Gang der Welt und korrespondiere nach wie vor hervorragend mit Anthropologie und Ethik.

Vor allem: Es ließe sich nun mal keine Alternative denken. Und dafür müßte man akzeptieren lernen, daß der Planet und sein Humankapital in den Zeiten von Big Data und nanosekundenschnell  rechnenden Börsen nun mal besonders effizient und gewinnträchtig verwertet und verwettet werden. Marktkonforme Welt!

Grenzenlosigkeit der Verwurstung von Ressourcen

Aber: Es mehren sich die deutlichen, im besten Sinne konservativen Signale, die der Grenzenlosigkeit der Verwurstung von Ressourcen zugunsten exorbitanter privater Gewinne Einhalt gebieten wollen. Alain de Benoist („Am Rande des Abgrunds“) und Günther Zehm („An der Kehre“) gehen von verwandten Ansätzen aus; und insbesondere in der Kulturkritik decken sich konservative und rechte Bedenken mit dem, was Andreas Zielcke im Blick auf Schirrmacher diagnostiziert:

„Wenn Wissen als Quelle vor allem des gesellschaftlichen immateriellen Reichtums ausgemustert und durch automatisierbare sinnfreie Information (nicht Wissen – H. B.) ersetzt wird, entfällt alles, was wir mit Bildung, Lebenserfahrung, Selbsterkenntnis, ja auch mit dem Zweck universitärer Ausbildung und Forschung verbinden. Damit bricht das bildungsbürgerliche Weltbild zusammen.“

Es wäre also zu konstatieren, daß die Linke in Auseinandersetzung mit dem neuen Kapitalismus die Initiative verliert. Nur folgerichtig, denn ihr Sozialismus war in gewisser Weise ein Kapitalismus mit staatlichen Mitteln, angewiesen auf Wachstum und Verbrauch, das Tempo, die Warenvermehrung und Konsumrekorde „von drüben“ neidvoll bewundernd.

Discounter-Versorgung und Mehrfachurlaube

Nachdem die Linke die parlamentarischen Demokratien des Westens lange Zeit als verbrämte Herrschaftsformen des hegemonialen Kapitals kritisiert hatte, ließ sie sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks voll darauf ein, obwohl sie registrieren muß, daß die de jure funktionierenden demokratischen Strukturen den politischen Kampf eher dämpfen, beispielsweise darin, daß zwar gewählt, aber – etwa hinsichtlich Euro und „Europa“ – nichts abgewählt werden kann. Gerade in Deutschland verebbt die Linke eher in der Demokratie, als daß sie die strategisch zu nutzen verstünde.

Insofern könnte es zuversichtlich stimmen, daß das bürgerliche Lager selbst – in welcher Form es noch bestehen mag – vor einem informationstechnisch überbeschleunigten Kapitalismus warnt. Nur wird das nicht reichen. Oben fiel bereits ein häßlich anmutender Begriff: politischer Kampf. Wird er aktuell, wenn Ausgrenzungen und Exklusionen tatsächlich ein kritisches Potential entstehend lassen, das eher zum Nein als zum Ja tendiert – den Auswüchsen einer auf reinen Pragmatismus orientierten Gewinnwirtschaft gegenüber wie gleichfalls einer zur Farce reduzierten Demokratie?

Solange sich das Konsenspersonal der Konstellation Merkel-Gauck-Steinbrück-Trittin-Göring-Eckart mit einer dem Tenor ihrer Politik zumindest nicht entgegengesetzten Konsumentenmehrheit verbindet, herrscht Ruhe im Land, stagniert die Politik und läßt die flinken Trader und skrupellosen Zocker gewähren, wenn nur nach wie vor genug für Discounter-Versorgung und Mehrfachurlaube abfällt und die zahlreichen Verlierer auf geringem Niveau durchalimentiert werden.

Apple-Logo sagt mehr als der Bundesadler

Und wie steht es um die demographisch weniger werdenden Jüngeren? Sie sind nicht nur geringer an Zahl, sondern mittlerweile in zwei, drei Generationen weitgehend politikabstinent aufgewachsen. Das Apple-Logo sagt ihnen mehr als der Bundesadler. Sie hören, daß rechts grundsätzlich das Böse lauert, aber viel weiter dürfte es mit der Staatsbürgerlichkeit nicht her sein, zumal die Nation doch bitte zurücktreten soll – mindestens ins europäische Glied und global in abstrakte Weltbürgerschaft.

Um JF, Sezession und Blaue Narzisse versammelt sich auffallend viel Jugend. Glücklicherweise. Bezogen auf Deutschland nicht viel, aber vermutlich nachdenklicher, gebildeter, kritischer als der Durchschnitt, vermutlich couragierter als die protegierte allgemeine Linke. Das läßt hoffen.

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