Die „Neue Weltordnung“ führt zu neuen globalen Menschentypen. Menschentypen, die von der Verbindung zu einer Heimat, zu Nation, Religion, überlieferten Traditionen und Werten weitgehend abgeschnitten sind. Eine Gliederung dieser angestrebten Weltgesellschaft erfolgt demnach nicht mehr auf der Ebene verschiedener Völkerschaften, sondern nur noch durch kurzlebige Subkulturen oder Hobby-Gemeinschaften und die soziale Schichtung.
Der stumpfe Discounter-Konsument gehört somit ebenso zum Spiel wie der global austauschbare Bürohengst, der dauerflugreisende Manager oder eine sich im Globalismus sonnende Kulturszene. Will man der Seele der „Neuen Weltordnung“, des westlichen Kapitalismus und der globalistischen Ideologie auf die Spur kommen, dann blättere man einfach ein bißchen im Zentralorgan der spezifischen Kreativszene: Der Zeitschrift Vice.
Das kostenlose Blatt liegt in Musikläden und Szene-Boutiquen aus, kann aber auch abonniert werden. Gegründet wurde das Magazin 1994 von drei arbeitslosen Freunden in Montreal, wechselte dann nach Entzug der staatlichen Förderung nach New York, um dort zur beliebten Lektüre der städtischen Subkultur zu werden. Der Habitus eines skurrilen Kunststudenten-Magazins soll nicht täuschen, denn hinter Vice versteckt sich mittlerweile ein weltweit agierendes Medienunternehmen mit 3000, großenteils freien, Mitarbeitern und festen Niederlassungen in vier Ländern.
Vermeintlich gebildete Großstädter als Zielgruppe
Das Magazin erscheint entsprechend seiner globalistischen Ausrichtung in 26 Staaten mit einer Gesamtauflage von 1,2 Millionen Exemplaren. Angeschlossen sind Musiklabel, Buchverlag, Werbeagentur, Filmproduktionen und eine Bekleidungsreihe. Für die zugehörige Fernsehfirma vbs.tv wurde der Anspruch formuliert, das MTV des 21. Jahrhunderts zu werden. Vice ist somit die konsequente Weiterentwicklung einstiger Szene-Magazine der 90er Jahre, beispielsweise „Tempo“. Es ist nahe liegend, daß die deutsche Redaktion in Berlin, Prenzlauer Berg, untergebracht ist.
Die Zielgruppe sind junge, vermeintlich gebildete Großstädter. Viele haben wohl ihre Wurzeln im Punk und der Skateboardkultur. Die meisten Mitarbeiter kommen aus dem Bereich der bis 25-jährigen Jungkreativen und Dauerpraktikanten, deren Motiv der Stolz ist, zum Geringverdienst für ein globales Szenemagazin arbeiten zu dürfen.
Mit-Gründer Suroosh Alvi klassifizierte den Lesertypus folgendermaßen: „Uns überraschte, daß sich unsere Leser überall auf der Welt sehr ähneln. Ganz gleich, ob in Rio, Moskau oder Sydney: Unsere Fans hören die gleichen Bands und tragen die gleichen Jeans.“ Lars Jensen ergänzte in der FAZ: „Sie kennen sich mit Turnschuhen aus, tragen originell bedruckte T-Shirts, halten Porno für eine Kunstform, und in einem Magazin sehen sie gerne kraß ausgeleuchtete Fotos von kotzenden Mädchen.“
Kokain, AIDS und Wohlstandskinder
Nachdem sich das Magazin anfangs um den eigenen Kosmos drehte, um Kokain und Trainingsjacken mit asymmetrischen Reißverschlüssen, begann man sich zunehmend auch für Auslandsreportagen zu interessieren. Dabei geht es vor allem um spektakuläre Bilder, die dem Nervenkitzel gesättigter Wohlstandskinder dienen, zum Beispiel um Kinder tötende afrikanische Warlords, in Abwasserkanälen hausende kolumbianische Obdachlose, nordkoreanische Soldatinnen oder die größte Puffsiedlung des Kongo mit einer AIDS-Rate von 100 Prozent.
Irakische Derwische werden als „echte Stecher“ präsentiert, denn sie „feiern Gott, indem sie sich selbst durchbohren“. Ein afrikanisches Flüchtlingslager wird als „die heißeste Scheiße der Welt“ betitelt. Die Artikel dienen meist nicht wirklicher tiefer Erkenntnis durch die Begegnung mit dem Fremden, sondern nur der Vorführung von vermeintlicher Skurrilität. Das Fremde ist hier das kauzige Überbleibsel einer langsam verschwindenden Welt. Der Zug fährt schließlich in eine Richtung, und der „kosmopolitische Trendsetter“ ist der Leitstern.
Das Rezept der teils durchaus unterhaltsamen Berichte ist, daß diese möglichst spektakulär oder irre sein müssen. Am besten beides zusammen. Nun ist insofern dagegen nichts zu sagen, als Boulevard-Medien oftmals nach dieser inhaltlichen Devise verfahren. Das Spezifikum von „Vice“ aber ist, daß sich Macher und Leser meilenweit über Medien wie der Bild-Zeitung, The Sun oder dem Kölner Express stehend wähnen.
Die Faszination des Abstoßenden
Sie bedienen somit das trügerische Selbstbild scheinbarer geistiger Überlegenheit. Zweitens aber, und das ist das fatalere, präsentieren sie ihren Boulevard-Journalismus bewußt im Gewand der Verhäßlichung. Sie richten sich also an eine satte, gelangweilte urbane Jugendszene, deren letzter Nervenkitzel es ist, möglichst wackelige Fotos von möglichst häßlichen Objekten zu erstellen oder sich daran zu ergötzen.
Die Faszination des Abstoßenden ist es, die viele Leser zu Vice lockt. Das ist natürlich auch der Zielgruppe angepaßt, bedient das „Anti“ gegen die schöne Welt der Tradition (auf der einen Seite) und der Hochglanzmagazine (auf der anderen Seite) doch oft nur die intellektuelle Selbstüberschätzung weiter Teile des kreativen Milieus.
Über die 14-tägige Feier der Insassen des psychiatrischen Klinikums Wahrendorff wird als „Klapsen-Disco“ berichtet. Eine brasilianische Dragqueen erklärt, „wie Mann sich eine Pussy macht“. Ein Bericht über Karatschi wird als „Reportage aus Pakistans verrücktester Stadt“ angekündigt. Man begegnet tätowierten Rockers, skurrilen NPD-Politikern, drogensüchtigen Russen in Abbruchhäusern. Man kann eine Fotostrecke von „Hunden mit Perücken“ betrachten. „Gibt es etwas Amüsanteres als verkleidete Hunde?
Der globalistische Menschentyp
Wir glauben kaum“, heißt es dazu im typischen Vice-Jargon. Auf Fotos sieht man aufgeplatzte Jeans, einen halbnackten Weihnachtsmann mit grünem Bart, dicke Frauen in engen bunten Leggins, Models mit angekauten Pizzastücken auf der Zunge, mit Lackfarbe bemalte Finger, einen entblößten Hintern mit Zigarette zwischen den Backen, einen körperbehaarten Gewichtheber, ein halb gegessenes Sandwich auf einer Mauerbrüstung, debil blickende Zwillinge, eine alte Frau mit blauem Auge in der U-Bahn. Comicfiguren übergeben sich in kleinen Strips, erledigen ihr kleines und großes Geschäft oder werden brutal verstümmelt.
Der globalistische Menschentypus, der von Vice als Zielgruppe angesprochen werden soll, wird als der „kosmopolitische Trendsetter“ klassifiziert. Hier kann man exemplarisch sehen zu welch geistiger Armseligkeit die Globalisierung und ihre schleichende Gleichschaltung der weltweiten Lebensstile als Endprodukt führt. Die FAZ schrieb über sie: „Von den etablierten Medien haben sie sich längst abgewendet, wie die ihre Weltsicht nicht abbilden.“ Doch das stimmt nicht wirklich. Vice treibt die Weltsicht des westlichen Linksliberalismus nur bis zur konsequenten Spitze. Alles andere ist Attitüde einer sich überlegen wähnenden Lifestyle-Avantgarde.
Ungezügelter Kapitalismus
Es ist ähnlich wie einst beim alten Punk, der oft die gleichen Dreßcodes und hedonistischen Lebensvorstellungen vertrat wie der verhaßte Yuppie. Nur die äußerlichen Merkmale unterschieden sich. Wo hier die Bierflasche gehoben wurde, war es dort das Sektglas.
Das Zusammenspiel von avantgardistischer Rebellenpose und finanzstarker Werbeindustrie läuft dabei wie geschmiert. Werbekunden sind unter anderem Nike, Adidas, Calvin Klein, Sony und Diesel. Auch hierin zeigt sich, daß der Inhalt der global agierenden Konzerne allein der Profitmaximierung dient. Wenn sich mit Kot und Kotze Geld machen läßt, stehen Geldgeber jederzeit bereit, auch fragwürdigste Projekte zu stützen. Bei Vice darf der Kapitalismus eben ungeniert seine häßliche Seite zeigen.