Politik wird jetzt in Deutschland nur noch von aufgescheuchten Hühnern gemacht: von einer Bundeskanzlerin, die gestern für und heute gegen Atomenergie ist, einem Außenminister, der aufgrund der Wahlergebnisse seiner Splitterpartei jetzt doch deutsche Soldaten nach Libyen schicken will und von den Grünen, die gegen Kernenergie, aber auch gegen fossile Brennstoffe, gegen die Bundeswehr, aber für deren Einsatz in aller Welt, gegen das Patriarchat, aber für Burka und Scharia sind.
Während man alle anderen Parteien jedoch für ihre Gesinnungs- und Konzeptionslosigkeit abstraft, werden die Grünen belohnt, schließlich erwartet man von ihnen gar keine Politik, sondern – als der deutschesten Partei und dem ideologischen Magnetberg – nur eine besonders authentische „Angst-Performance“. Und die muß natürlich irrational und sprunghaft sein.
„Wir haben Angst“, war ein Satz, der Anfang der achtziger Jahre jede Debatte dominierte beziehungsweise erstickte. Mochte jemand noch so viele Fakten vorrechnen – wer den Satz „Wir haben Angst“ aussprach, ließ den „unmenschlichen Technokraten“ abseits stehen und gewann die Herzen.
„Herr, ich habe Angst“
Ich erinnere mich mit einer Mischung aus Scham und Belustigung an „Gebete“, die im Konfirmandenunterricht mit dem Pfarrer eingeübt wurden; sie begannen mit „Herr, ich habe Angst“ und reihten dann die üblichen Schlagworte aneinander: Aufrüstung, Atomkraft und so weiter, nur der Rechtsextremismus fehlte damals noch.
Natürlich bin ich auch – aber nicht nur – wegen solcher Pfarrer aus der Kirche ausgetreten, aber wer sich von dieser Sozialisierung nicht gelöst hat, stieg mit den Grünen auf, machte vielleicht Karriere mit Gutmenschenpolitik und wurde vom Wähler bislang nie an deren Umsetzung gemessen, weil er es doch immer gut meinte.
In den Medien ist derzeit, vor allem im Ausland, viel von der sprichwörtlichen „German Angst“ die Rede, die das Unglück in Fukushima den Deutschen einflößt, während die Japaner gegen dessen Folgen ankämpfen. Bemerkenswert ist die narzißtisch-infantile Ich-Fixierung dieser Angst, denn in Deutschland ist weit mehr von der Reaktorkatastrophe als von dem Erdbeben und dem Tsunami die Rede – wir haben ja auch bedrohliche Kernkraftwerke, während solche Naturkatastrophen nur „die anderen“ betreffen.
Epizentrum der Technologie-Angst liegt in Deutschland
Sind diese „anderen“ exotistische Projektionen von hübschen, tanzenden Hula-Hula-Mädchen auf Haiti, spenden die Angstbürger viel Geld und freuen sich ihres Gutmenschentums, während sie von den fleißigen und technologisch versierten Japanern erwarten, daß sie schon selber zurechtkommen.
Beda Stadler hat in einem spöttischen Artikel in der Schweizer Weltwoche vom 12. April („Giert der Wutbürger wieder nach Hexenprozessen?“) darauf hingewiesen, daß das Epizentrum der europäischen Technologie-Angst in Deutschland liege und deren Intensitätsverteilung mit der regionalen Häufigkeit der einstigen Hexenprozesse zusammenfalle.
Die Parallele ist interessant, werden doch bei der Hexerei wie der Kernenergie Wirkungen unsichtbarer Kräfte gefürchtet, was nach Auffassung des Technik- und Umweltsoziologen Ortwin Renn eine Luxusangst relativ wohlhabender, moderner Gesellschaften sei, die sich ärmere, von Hunger und Seuchen bedrohte nicht leisten könnten (Handelsblatt vom 6. April).
Rationalismus und Romantik als feindliche Geschwister
Tatsächlich war der Hexenwahn ein frühneuzeitliches Phänomen und trat in protestantischen Ländern stärker als in katholischen auf. Während der Katholizismus überall ein gewisses Maß an magischer Volkskultur integrieren konnte, reagierte das „rationale“ protestantische Angstbürgertum mit Exklusion und Ausrottung des „Irrationalen“.
Rationalismus und Romantik waren in Deutschland immer feindliche Geschwister und traten, besonders in Frühromantik und Deutschem Idealismus, in der Übergangszone von französischer Aufklärung und deutscher Metaphysik, oft in einer Person auf, die wie Friedrich Schlegel als revolutionärer Wutbürger begann und als reaktionärer Angstbürger endete.
Gleichzeitig Wut- und Angstbürger war man jedoch allenfalls im Dritten Reich; gewöhnlich geht beides nur nacheinander, und Beda Stadler läßt den deutschen Wutbürger daher nicht ganz korrekt nach Hexenprozessen gieren: Der Wutbürger ist schließlich ein „Rechtspopulist“ und Sarrazin-Anhänger und fristet sein Dasein in der medialen Hierarchie ziemlich weit unten, während der grüne Angstbürger oben steht. Der Wutbürger ist also eher die Hexe, und der Angstbürger würde ihn – oder wenigstens seine bevorzugten Bücher – vielleicht gerne verbrennen. Da er dies nicht darf, macht er ihm wenigstens die Hölle heiß; er hat nämlich Angst vor dem, was der Wutbürger sagt.