Der Bielefelder Pädagogikprofessor Wilhelm Heitmeyer machte seit den 1980er Jahren vor allem durch Studien zu „Rechtsextremismus“ und „Fremdenfeindlichkeit“ auf sich aufmerksam. Er gehörte damit zur ersten Generation von Universitätsbediensteten, die ihre wissenschaftliche Karriere maßgeblich „antifaschistisch“ motivierten Arbeiten verdankte. Seine Studienreihe „Deutsche Zustände“ wurde nun zehn Jahre lang von einem spendablen Konsortium aus VW-Stiftung, Freudenberg-Stiftung und Möllgaard-Stiftung finanziert.
Auch so können testamentarisch überlassene Unternehmensprofite kanalisiert werden. Und es wäre naiv anzunehmen, daß diejenigen, die einem Heitmeyer Geld geben, nicht auch genau wüßten, was sie dafür erhalten. Zu den Kooperationspartnern gehörten die Wochenzeitung Die Zeit und der Suhrkamp-Verlag. Unlängst konnte Heitmeyer auch seine Gedanken breit in einem Spiegel-Interview (Nr. 50/2011) darlegen, auf das hier eingegangen werden soll.
Heitmeyers empirisches Verfahren ist so simpel wie altbekannt. Man kennt es von der berühmten Sinus-Studie zum Rechtsextremismus von 1980 und der 1979 vom Sozialwissenschaftler Werner Habermehl veröffentlichten Befragung „Sind die Deutschen faschistoid?“ Die Quelle des Verfahrens liegt wiederum bei der von Theodor W. Adorno entwickelten „F-Skala“: Man stellte Personen bestimmte Fragen. Und wenn sie bestimmte Antworten gaben, machte der aufgeklärte Sozialforscher seine Häkchen und hob den Finger: „Hier haben wir eine faschistische Einstellung vorliegen.“
Die „F-Skala“ ist schlicht „Schema F“
Die Frankfurter Rundschau erklärt die „F-Skala“ treffend: „Wer beispielsweise der Aussage zustimmt, ’wenn die Menschen weniger reden und mehr arbeiten würden, könnte es uns allen besser gehen‘, der zeigt Vorbehalte gegen Intellektualität. Oder wer findet, ’wichtige Lehren muß man stets mit Leiden bezahlen‘, der muß als autoritär unterwürfig gelten. Und wer sagt: ’Vertraulichkeit erzeugt Geringschätzung‘ oder: ’Es wird immer Kriege und Konflikte geben, die Menschen sind nun einmal so‘, der gibt sich als zynisch-destruktiv zu erkennen.“
Tagesstimmungen, persönliche Erfahrungen und die Interpretation der Fragen durch den Befragten spielten keine Rolle. Die „F-Skala“ ist schlicht „Schema F“. Da etwa „zynisch-destruktives“ Verhalten von den Forschern negativ bewertet wird, kann man rasch anhand einiger Antworten Menschen in negative Schubladen stecken. Günter Maschke äußerte mir gegenüber einmal, daß man zum Beispiel Jürgen Habermas perfekt anhand der „F-Skala“ als „faschistoiden Charakter“ entlarven könne.
Heitmeyer nun behauptet, aus seiner Studie herauslesen zu können, daß die Gesellschaft „vergiftet“ sei: „Die Ökonomisierung der Bewertung von Menschen ist unmenschlich. Zuwanderer, Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Behinderte, all diese Menschen sind nach diesen Maßstäben weniger wert.“ Abgesehen davon, daß Heitmeyer im Umkehrschluß Zuwanderung auch ohne ökonomischen Nutzen für die Aufnahmegesellschaft fordert, erklärt er nicht, wie sich solche Herabwertung konkret negativ äußert. „Die zunehmende soziale Spaltung zersetzt das Miteinander“, behauptet er, eine Erklärung sucht er aber keinesfalls in der Aufspaltung traditioneller Beziehungen zugunsten einer anonymen „Vielfaltsgesellschaft“.
Schablonenhaftes Schwarz-Weiß-Schema
Perfide ist Heitmeyers Vorwurf an die deutsche Gesellschaft natürlich deshalb, weil diese sich bislang mit hohen Steuerlasten einen teuren Sozialstaat unterhalten hat, wie er in 90 Prozent der Länder der Erde nicht ansatzweise zu finden ist. Wenn also diese Gesellschaft „vergiftet“ ist, was sagt dann Heitmeyer erst zur sozialen Spaltung in Brasilien, Rußland oder Indien? Nichts. Statt dessen verbreitet er ein schablonenhaftes Schwarz-Weiß-Schema. Hier die Opfer, die (undifferenziert vermengte) Gruppe der „Zuwanderer, Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen, Behinderten“, die in unserer Gesellschaft sozial diskriminiert und bedroht würde. Dort die „menschenfeindlichen“ Deutschen, dem „Statusdenken“ verhaftet.
Anhand von Meinungsäußerungen einiger Fragebogenausfüller schlußfolgert Heitmeyer also einfach eine real stattfindende Ausgrenzung von Personengruppen. Für Grautöne ist da kein Platz. Daß gerade Nachkommen von Zuwanderern oft auf Status fixiert sind – seien es getunte Autos, Muskeln oder dicke Goldketten –, wird ausgeblendet (oder möglichenfalls gar nur dem negativen Einfluß der deutschen Gesellschaft angelastet). Ebenso, daß sich Gruppen junger „Südländer“ in der Vergangenheit mehrfach an Obdachlosen und Behinderten vergriffen haben.
Auf die Frage, wie sich die Lage „für einen in Deutschland lebenden Ausländer“ verändert habe, antwortet Heitmeyer mahnend: „Er lebt in einer Gesellschaft, die insbesondere Muslime skeptisch bis feindselig betrachtet.“ Interessanterweise kommt er beim Wort „Ausländer“ sofort auf Muslime, nicht aber auf Vietnamesen, Dänen oder Dominikaner. Ebenso fragt er nicht, ob es vielleicht konkrete Gründe für die Skepsis gegenüber Muslimen geben könnte, die mit dem Verhalten von Muslimen hier und in der muslimischen Welt zu tun haben. Nein, die Schuld liegt scheinbar nur bei den von Abstiegsangst ergriffenen Kleinbürgern, die diesmal nicht NSDAP wählen, aber zur „Abwertung der Schwächeren“ greifen, selbst wenn jene als Bande pöbelnder Jugendlicher auftreten.
Die alte Publikumsbeschimpfung vom „Extremismus der Mitte“
Schnell wird klar, daß es um die alte Publikumsbeschimpfung vom „Extremismus der Mitte“ geht. Beim scheinbaren Zwickauer Mord-Trio urteilt Heitmeyer – obwohl die Untersuchungen noch gar nicht abgeschlossen sind –, daß Terrorismus am Werk gewesen sei, der seine „Legitimation zur Gewalt aus einem Vorrat an menschenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung“ speise. Dann sagt er: „Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft bei Menschen, die rechtspopulistisch denken, haben (…) zugenommen.“ Die reale Gewalt von Vertretern der radikalen Linken, die seit Jahrzehnten Körperverletzungsdelikte gegen Polizisten und Andersdenkende begehen, verschweigt er brav, ebenso die Gewalt von Migranten, etwa des islamistischen Attentäters Arid Uka vom Frankfurter Flughafen.
Doch Heitmeyer holt noch weiter aus und stellt den Suggestiv-Zusammenhang zwischen Terrorzelle, Gewaltbilligung und „rechtem Denken“ innerhalb weniger aufeinanderfolgender Sätze her: „Etwa zehn Prozent der Gesellschaft denken durch und durch rechts. (…) Auf den Lesungen von Herrn Sarrazin tobte das bürgerliche Publikum im Lodenmantel“. „Rechtpopulistisch“ ist also faktisch „menschenfeindlich“. Man kann sich ausmalen, wenn einfachere Geister irgendwann darauf kommen könnten, daß man für „Menschenfeinde“ andere Lösungen finden sollte, als ihnen nur mit Umfragebögen auf die Schliche zu kommen.
Die Fassade linksliberaler Wissenschaft
Sein Gegenrezept zum „Klassenkampf von oben“ ist altbekannt und heißt Sozialismus. Hinter der Fassade linksliberaler Wissenschaftlichkeit liegt oft der alte marxistische Schlauch, der den Wein der allumfassenden sozialen Gleichheit befördern soll.
Heitmeyer: „Wir müssen die soziale Gleichheit verbessern und die Gleichwertigkeit der Menschen herstellen.“ Derjenige, „der oben auf der Statusleiter sitzt“ solle „genauso behandelt“ werden wie „derjenige, der unten sitzt“. Abgesehen davon, daß solche Kritik am Neoliberalismus naiv und menschenfremd (also auch „menschenfeindlich“) ist, sie ist auch verlogen. Denn könnte zum Beispiel ich mein Recht auf Gleichbehandlung einfordern und vom Spiegel verlangen, daß ich ebenso wie der „Sozialforscher“ zwei Seiten für ein wohlwollendes Interview zur Verfügung gestellt bekomme? Und würde die Uni Bielefeld mir bitte das gleiche Gehalt wie Heitmeyer zukommen lassen? Notfalls könnten wir ja seines gerecht teilen.
Immerhin einen wirklich nachdenkenswerten Punkt erwähnt Heitmeyer. Er sagt, dabei die Jugendgewalt herunterspielend, daß es die „ab 60jährigen“ seien, „die besonders feindselige Einstellungen aufweisen.“ Heitmeyer selbst ist 66 Jahre alt.