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Buchbesprechung: Naive Vorstellung

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Buchbesprechung
 

Naive Vorstellung

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Springer AG, enthüllt mit„Freiheitsfalle“seine verhinderte Definiton der Freiheit. Statt einer tieferen Reflexion über die europäische Moderne findet der Leser nur eine Gleichsetzung der Freiheit mit dem amerikanischen Muster. Von Karlheinz Weißmann.</i
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Einweihung der Freiheitsstatue (Ölgemälde von Edward Moran): Naive Vorstellung von Freiheit, die mit Amerika gleichgesetzt wird Foto: Wikimedia

Der Titel „Freiheitsfalle“ ist irreführend, vielleicht hat aber auch nur die vorgefaßte Meinung des Rezensenten zu dieser Wahrnehmung beigetragen. Denn seine ursprüngliche Erwartung war die, hier würde sich jemand mit der Freiheit als Falle auseinandersetzen, also etwa den Gefährdungen unserer individuellen wie kollektiven Existenz durch ein Zuviel an Freiheit, die Vergötzung der Freiheit, die Ablösung der Freiheit von jeder sittlichen Bindung etc. Aber das alles ist nicht oder nur am Rande das Thema Mathias Döpfners.

Bei dem, was der Vorstandsvorsitzende der Springer AG zwischen zwei Buchdeckel hat bringen lassen, handelt es sich um einen Dauerhymnus auf die Freiheit, Freiheit dabei verstanden im einfachsten Sinn als die Möglichkeit, ohne Zwang das eigene Leben nach Gutdünken zu gestalten. Daß er Freiheit als Letztwert versteht, rechtfertigt Döpfner mit dem Hinweis auf deren Bedrohtheit im 20. Jahrhundert, zu dessen späten Kindern – Jahrgang 1963 – er gehört. Die Erfahrung der Totalitarismen versteht er als dauernde Warnung an das Menschengeschlecht. Wer das Wesen des Kommunismus oder des Nationalsozialismus verstanden habe, der könne keinen Zweifel daran haben, daß die freiheitliche – also liberale – Ordnung ein unbedingt verteidigenswertes Gut sei.

Geringer Reflexionsgrad der europäischen Moderne

Dessen heutige Gefährdung hat nach Döpfner mit den akuten Bedrohungen „des Westens“ durch Islamismus, Staatskapitalismus (China!) und Politikverdrossenheit zu tun: „Zum einen: Der Freiheitsbesitzer genießt die Freiheit, er nimmt sie als Naturgesetz hin und verkennt oder verharmlost oder merkt nicht, daß man ihm nehmen könnte, was er besitzt. Zweitens: sobald er merkt, also dann, wenn Freiheitsberaubungen evident sind, verteidigt er die Freiheit mit einem strukturellen Nachteil gegenüber denjenigen, die sie angreifen.“

Vieles von dem, was Döpfner vorträgt, wird kein Mensch guten Willens bestreiten. Wenn man seine Ausführungen trotzdem mit wachsendem inneren Widerstand liest, hat das zum einen mit dem geringen Reflexionsgrad zu tun, zum anderen mit der merkwürdigen Verkürzung der Geschichtsbetrachtung. Die europäische Moderne ist jedenfalls nicht zureichend erfaßt, wenn man sie mit der Dialektik von Freiheit und Unfreiheit, Liberaler Demokratie und Totalitarismus beschreibt. 

Der Realität näher kommt man mit der Annahme, daß ein altliberales Modell durch den Ersten Weltkrieg in seine finale Krise geriet und der Versuch, es durch die Massendemokratie zu ersetzen, im Anlauf scheiterte, worauf Kommunismus und Faschismus (im weiteren Sinn des Wortes) reagierten. Vereinfacht könnte man sagen, daß nach der Beseitigung eines Konzepts, das auf Freiheit in Bindung beruhte, eines trat, das schrankenlose Freiheit versprach und ein anderes, das auf die folgende Desorientierung mit totaler Bindung reagierte.

Die naive Gleichsetzung des nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzten amerikanischen Musters mit „Freiheit“, wie sie Döpfner vornimmt, mag den Grundsätzen seines Verlags entsprechen, hat aber mit den tatsächlichen Kräfteverhältnissen, diplomatischen, militärischen und ökonomischen Prozessen nichts zu tun.

Eine naive Vorstellung verkennt die Bedrohungslage

Der Versuch, offenbar an anderer Stelle und zu anderen Zwecken veröffentlichte Texte über den Mauerfall, Richard Wagner, den 11. September, Thomas Manns „Felix Krull“, den Crash und Gustave Courbet unter das Oberthema zu zwingen, macht die Sache nicht besser. Wirklich ärgerlich sind aber die Schlußabschnitte, in denen es noch um die Zukunft der Freiheit im digitalen Zeitalter gehen soll. Was da an Erwägungen vorgestellt wird, erreicht nirgends den Grad an Durchdringung der Materie, den man erwarten würde, wenn sich jemand ein so großes Thema stellt. Wer Freiheit „nicht definieren“ will und auch „keine Handlungsanweisungen geben“, der muß an dieser Sache scheitern.

Im Grunde zeigt sich hier aber nur noch einmal das eingangs erwähnte Problem: Die naive Vorstellung von Freiheit, nirgends überprüft, führt dazu, daß auch keine Auskunft darüber gegeben werden kann, ob der Mensch des 21. Jahrhunderts tatsächlich unfreier sein muß als seine Vorfahren, und ob nicht die Bedrohungslage eine ganz andere ist, als die von Döpfner behauptete.

JF 52/11

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