Im Februar dieses Jahres verfaßte ich die Kolumne „Die asoziale Branche“ und manch einer kritisierte diese Verallgemeinerung. Nach einem halben Jahr der Ruhe und Gelassenheit hinsichtlich dieses Themas können wir mal wieder einen Blick auf die Versicherungsbranche werfen und ich erlaube mir, auf die Kritik von damals zu antworten.
Einen Leser hat es angewidert, „wenn ein eitler, korrupter und unterwürfiger Berufsstand“ (er meinte wohl Rechtsanwälte, wahrscheinlich auch insbesondere mich!) über Versicherungsvermittler herzieht und sich auf dessen Kosten profiliert. Ein anderer Leser findet es asozial, wenn man den Versicherungsvertrieb per se als eine Bande von Betrügern, aber die Versicherungsmakler als Heilsbringer darstellt.
Sie haben Recht! Auch bei uns Rechtsanwälten gibt es gute und schlechte, ehrliche und unehrliche. Ich kenne genügend hilfsbedürftige Kollegen, bei denen ich mich frage, wie die es überhaupt schaffen, den richtigen Eingang des Gerichts zu finden. Dennoch muß es einem als Mitglied eines „eitlen, korrupten und unterwürfigen Berufsstandes“ gestattet sein, andere Berufsbranchen und deren Vorgehensweise und deren Know-how zu kritisieren. Eine Profilierung erfolgt dadurch meines Erachtens nicht – zumindest genauso viel oder wenig, als wenn man dumme Journalisten kritisiert.
Alles für die Provision
Menschliche Abgründe, wie zum Beispiel die Nutzung von Prostituierten (die sehr gut aussehenden Prostituierten waren jedoch nur für Vorstände reserviert!) auf einer Geschäftsreise als Anreiz für Versicherungsvertreter lassen wir außen vor, denn das betrifft die Versicherungsnehmer und ihre Versicherungsverträge nur indirekt.
Viel schlimmer ist, daß Außendienstmitarbeiter auch dieses Versicherungskonzerns Rentenversicherungen an Arbeitnehmer vermittelt haben, obwohl sie aufgrund bestehender Rahmenverträge eigentlich einen besseren Versicherungsvertrag hätten anbieten können.
Warum haben sie das nicht getan? Weil es für den besseren Versicherungsvertrag weniger Provision für den Versicherungsvertreter gegeben hätte. Aufgrund Geldgier wurden also mehrere tausend Arbeitnehmer mit schlechteren Rentenversicherungen ausgestattet. Was nützt es mir dann als Arbeitnehmer (das hatte auch ein anderer Leser hervorgehoben wissen wollen), wenn der Außendienstmitarbeiter der Versicherungsgesellschaft bei der IHK registriert ist?
Fehlende interne Kontrolle
Was nützt es mir, wenn der Vertreter eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung hat oder seine Versicherungsgesellschaft ihn für Schäden freistellt? Am Ende berät trotzdem manch einer aufgrund des größeren Profits wegen absichtlich falsch und der Versicherungskunde merkt noch nicht einmal, daß er betrogen wurde.
Schuld daran sind im Endeffekt fehlende interne Kontrollen bei den Versicherungsgesellschaften und falsche Vergütungssysteme und Leistungsanreize.
Ein typisches, kurzes Beispiel aus der Praxis: Man wird angerufen (Telefonwerbung ist verboten!) und wird gefragt, ob man sich eine „geschäftliche Zusammenarbeit“ (Das ist gelogen!) vorstellen könne. Wie diese Zusammenarbeit aussehen könne, würde beim ersten persönlichen Gespräch erörtert. Bei diesem Gespräch wird man gefragt, wie denn die persönlichen Ziele in der nahen und fernen Zukunft aussehen würden und wie viel Geld man den „im Alter“ benötige.
Nachdem man eine monatliche Rentenerwartung genannt hat, wird einem erklärt, daß die Zukunft finanziell düster aussehe, wenn man jetzt nicht eine Lebensversicherung mit einer monatlichen Prämie von X Euro abschließen würde. Meiner Erfahrung nach wird dann vom Vertreter noch nicht mal die richtige Versicherungsart angeboten, sondern das Produkt, welches die Versicherungsgesellschaft in diesem Monat vorgibt.
Hauptsache, am Ende des Monats stimmen die Zahlen
Müssen also im August aufgrund der Vorgabe des Vorgesetzten noch Unfallversicherungen an den Mann oder die Frau gebracht werden, wird der Vertreter (obwohl eigentlich die Altersversorgung das Thema war) um jeden Preis auch noch eine Unfallversicherung anpreisen:
Hauptsache, am Ende des Monats stimmen seine Zahlen! Nachdem man sich erfolgreich gegen diese Drückerkolonne gewehrt und keinen Vertrag unterschrieben hat, wird einem noch vorgeworfen, man habe kostenlos eine Allfinanzberatung erhalten (wer wollte denn einen Termin?). Aus Dankbarkeit (oder warum auch immer!?) solle man gefälligst die Namen und Adressen von Freunden oder Verwandten aufschreiben, die dann auch in den „Genuß dieser Beratung“ kommen würden.
Solange solche Strukturen und Vorgehensweisen durch Versicherungsgesellschaften in Deutschland gefördert oder zumindest gebilligt werden, muß sich der einzelne Versicherungsvertreter nicht über den Ruf seiner Branche wundern.