Ohne den Euro wäre Deutschland ärmer. Die Deutschen profitieren vom Euro. Der Euro beschert uns Wachstum und Wohlstand. Selten haben Politiker so unverfroren gelogen, wie bei dem Märchen vom Nutzen des Euro für die Deutschen. Sie vergleichen die momentane reale wirtschaftliche Situation mit hypothetischen Szenarien, die nach ihrer Ansicht ohne den Euro entstanden wären. Sie unterstellen dabei Entwicklungen, deren Verwirklichung zwangsläufig zu schlechteren Zuständen führen muß, deren Wahrscheinlichkeit jedoch die Nullmarke nicht nur streift, sondern nahezu durchschlägt. Jede Alternative zum Euro, insbesondere die Wiedereinführung der D-Mark, wird per Diktat zur virtuellen Katastrophe deklariert. Der angebliche Nutzen des Euros wird aber damit ins Nirwana verschoben – der buddhistische Zustand, in dem „alle mit der Vorstellung vom Dasein verbundenen Faktoren“ erloschen sind (Wikipedia).
Virtuelle Vergleiche sind schon seit längerem ein probates Mittel der Politik. Meistens sind sie mit Drohungen verbunden: „Wenn der Euro scheitert, zerbricht die Europäische Union.“ – „Wenn die gemeinsame Währung zerbricht, ist der Friede in Europa gefährdet.“ Gelegentlich werden die hypothetischen Vergleiche mit Zahlen untermauert, vor allem wenn es um virtuelles Sparen geht. Haushaltsdefizite werden gesenkt, indem die Neuverschuldung um mehrere Milliarden Euro niedriger als entsprechende Vergleichspläne angesetzt wird. Verwirrenderweise wird dies dann auch noch als „Sparen“ verkauft, obwohl in beiden Fällen nicht gespart wird, sondern nur unterschiedlich hohe neue Schulden gemacht werden.
Pseudowissenschaftliche Propaganda …
Besonders verwerflich sind die Nirwana-Vergleiche, wenn sie mit scheinbar wissenschaftlichen Untersuchungen verbrämt werden. Ökonomische Pseudo-Fakten werden konstruiert, die auf willkürlichen Annahmen beruhen und dann mit seriösen Methoden weiterbehandelt werden. Befaßt sich mit einem solchen Propagandagebäude auch noch eine verdeckt staatliche Organisation, ist der wissenschaftliche Skandal perfekt. Ein Paradebeispiel dafür bietet die jüngste „Analyse“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der Hausbank des Bundes und der Länder für die Vergabe von Fördermitteln, mit dem Titel „Abschätzung des quantitativen Vorteils des Euro für Deutschland gegenüber einer fiktiven D-Mark“.
Geboten wird „die überschlägige Berechnung des Vorteils, den die deutsche Wirtschaft als Mitglied der Eurozone gegenüber einer Situation mit eigener Währung (D-Mark) und eigener Notenbank in den letzten beiden Jahren hatte“, also zunächst allein der Zeitraum nach der Lehmann-Pleite herausgepickt, in dem der deutschen Wirtschaft insbesondere wegen der Lohnzurückhaltung der Beschäftigten eine besonders effiziente Wirtschaftsperiode bescheinigt werden konnte. Die Phantasterei der KfW kommt „zu dem Ergebnis, daß Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone in den letzten beiden Jahren einen Wachstumsvorteil zwischen 2 und 2,5 Prozentpunkten (zusammen über beide Jahre, also etwa 1 bis 1,25 Prozentpunkte pro Jahr) und damit im Bereich von 50 bis 60 Mrd. EUR realisiert hat“.
… wie gewünscht zurechtgebacken
Die KfW-Spezialisten picken sich nicht nur einen Wachstumszeitraum aus, in dem nach dem scharfen Einbruch der Wirtschaft im Jahr zuvor schon zwangsläufig statistisch-technisch hohe Wachstumsraten vorliegen mußten, sie vergleichen in ihrem alternativen Szenario auch eine Situation, in der sie fiktiv mit der Wiedereinführung der D-Mark einen Außenwertgewinn von 15 Prozent und einen Anstieg des Zinssatzes der Notenbank postulieren. Daß eine Wiedereinführung der D-Mark zu einer Aufwertung führen könnte, mag ja noch plausibel sein, die Höhe ist jedoch reine Willkür. Falsch ist aber die sichere Schlußfolgerung einer daraus resultierenden Wachstumsschwäche. Selbst wenn der Export beeinträchtigt würde, die Importe werden auf jeden Fall günstiger. Der Gesamteffekt bleibt somit ungewiß.
Wissenschaftlich schwer bedenklich ist auch die zweite Annahme, daß der Zinssatz steigt. Die erhöhte Attraktivität der D-Mark führt im Gegenteil zu einem verstärkten Angebot an Krediten, sowohl von ausländischen als auch von inländischen Gläubigern, so daß der Zinssatz tendenziell sinkt. Die KfW-Gefälligkeitsgutachter kommen jedoch in Vermischung ihrer beiden Phantasieeffekte zu der Festlegung, das Wachstum der deutschen Wirtschaft würde bei einer Rückkehr zur D-Mark um 2 bis 2,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen. Warum nicht gleich 4 oder 5 Prozent? Vielleicht aus wissenschaftlicher Bescheidenheit. Auch so kommen sie auf einen „Wachstumsvorteil“ durch den Euro in Höhe von 50 bis 60 Milliarden, nur für die betrachteten zwei Jahre. Immerhin eine neue Märchen-Variante nach den zahlreichen Pseudo-Einsparungen der letzten Jahre. Abzuholen ist der Phantasie-Gewinn des Euro aber auch nur im Nirwana.