Als Student hatte ich noch die Gelegenheit, fronterfahrene Zeitzeugen des letzten Weltkriegs kennenzulernen. Man konnte einiges lernen von der Generation dieser Landser und Leutnants, die als Zwanzigjährige an allen Fronten gekämpft, als Dreißigjährige dieses Land wieder mit aufgebaut und als Sechzigjährige überall in den Parteien und Vereinen noch ein gewichtiges Wort mitzureden hatten – dümmliche „Befreiungs“-Rhetorik ging einem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker damals noch nicht so einfach durch, es gab ja Gleichaltrige, die es aus ihren Erfahrungen besser wußten.
Wenn man ihnen zuhörte, konnte man nicht nur erfahren, daß die Kriegswirklichkeit in der Regel etwas komplexer ist als volkspädagogische Guido-Knopp-Schwarzweißmalereien, die neuerdings auch nachkoloriert dargeboten werden. Man bekam auch mit, daß es selbst in einem Weltbürgerkrieg so etwas wie die übernationale Kameradschaft der Frontsoldaten gibt.
Man respektierte den tapferen Tommy, Ami oder Iwan; uneingeschränkte Verachtung hatte man dagegen für „Etappenschweine“. Die Schlaumeier und Drückeberger, die es sich weitab vom Schuß gutgehen ließen und keine Gelegenheit verpaßten, die kämpfende Truppe zu schikanieren, lebten in einer anderen Welt, auch wenn sie derselben Armee angehörten.
Zu allen Epochen und in jeder Armee
Der Typus des Etappenschweins gedeiht in Kriegszeiten zu allen Epochen und in jeder Armee. Der scheidende Wehrbeauftragte Reinhold Robbe beschreibt in seinem letzten Bericht eine zeitgemäße Spielart: Den Bürokratiehengst in der Wehrverwaltung, der beispielsweise einem schwerverletzt in die Heimat zurückgeflogenen Stabsgefreiten noch im Krankenhaus einen Bescheid zustellen läßt, wonach er wegen seines vorzeitigen Rücktransports gefälligst den vorab gezahlten Auslandsverwendungszuschlag für den Rest des Monats zurückzuerstatten habe.
Da seien in der Bundeswehrführung wohl noch nicht alle „in der Einsatzwirklichkeit angekommen“, schreibt Robbe über derlei „kleinliche Unsensibilität“. Für das Gros der politischen Klasse gilt das erst recht. Oder was soll man von Politikern halten, die einen im Felde stehenden Oberst wochen- und monatelang durch die Mühle drehen, weil er mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln im Rahmen seines Auftrags kriegsmäßig gehandelt hat?
Und wie soll man Politiker nennen, die wortreich im Bundestag und vor jedem Mikrofon lamentieren, dabei seien auch „Zivilisten“ (vulgo: Plünderer oder Taliban-Hiwis) getötet worden, die sich aber winden und sträuben, den eigenen Gefallenen ein würdiges öffentliches Gedenken oder wenigstens Dank und Anerkennung zu zollen? Eben: Etappenschweine.
Massenflucht der Mediziner
Robbe tut das nicht. Sein seit Jahren verfolgtes Hauptthema ist die Krise des Sanitätsdienstes, dem inzwischen ein Fünftel der Bundeswehrärzte fehlt. Für die Massenflucht der Mediziner macht Robbe allerdings nicht etwa seine Politikerkollegen verantwortlich, die durch jahrelange mutwillige Unterfinanzierung und systematische Demontage der Wehrpflichtarmee das Ansehen der Bundeswehr gründlich ruiniert haben, – er wirft statt dessen dem Inspekteur des Sanitätswesens „klares Versagen“ vor.
Kann der Wehrdienstverweigerer Reinhold Robbe das wirklich so eindeutig beurteilen? Und warum mußte er sich noch vor wenigen Wochen mit Tatarenmeldungen über angeblichen „Mißbrauch“ in die Schlagzeilen drängen, der sich bei näherem Hinsehen als unappetitliches, aber undramatisches Jungmänner-Initiationsritual entpuppte? Der Truppe hat er damit keinen Gefallen getan.
Es ist eben wohl doch so: Auch als Wehrbeauftragter lebt der Berufspolitiker Reinhold Robbe, der vom Zivildienst über die Betriebsratsarbeit zur SPD-Karriere kam, weiter in seiner Welt – in der Etappe. Je länger die Bundeswehr im Einsatz steht, desto tiefer wird die Kluft zwischen der Politiker- und der Soldatenwelt.