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Entlarvt

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Jetzt ist es raus: Die Deutschen sind mit sich im Reinen. Schon seit längerem hörte man aus dem Allensbacher Umfrageinstitut Andeutungen in diese Richtung; in dieser Woche hat die Geschäftsführung sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort gemeldet und den Befund bestätigt.

Alle Umfragen deuten darauf hin, daß die Bundesdeutschen in überdeutlicher Mehrheit zufrieden mit sich und ihrem Land sind, stolz auf den Wiederaufbau nach 1945, auf die heutige Wirtschaftsleistung, den Sozialstaat, erfreut über die Revolution von 1989, den Euro, zufrieden damit, auf der Welt als das beliebteste Land zu gelten und anderes mehr in diese Richtung.

Selbst die stetig sinkenden Zahlen der Wahlbeteiligung und die immer geringere Bereitschaft zur Übernahme von öffentlichen Ämtern und Ehrenämtern seien kein Ausdruck von Resignation oder Verdruß, sondern von wohliger Zufriedenheit.

Ein Befund mit Sprengkraft

Das ist ein Befund, der Sprengkraft in sich trägt. Was wurde und wird in Deutschland nicht alles an politischen Diskursen über Systemgefährdung, extremistische Neigungen und antidemokratische Verführbarkeit der Bevölkerung geführt, oder andersherum: über Unterdrückung und Resignation durch Politische Korrektheit, Ausplünderung durch die Europäische Union oder schleichende Desintegration wegen der Zuwanderung und des demographischen Wandels.

Den Deutschen scheint das so wenig zu elektrisieren wie die Schweinegrippe oder die Aussicht auf schönere Sommer wegen der angeblichen Klimaerwärmung. Wo wirklich ein Problem ist, wird man es nach seiner Ansicht schon in den Griff kriegen.

Soll man das für wahr halten? Es wäre jedenfalls eine stimmige Erklärung für die viele Entwicklungen in diesem Land, beispielsweise für das Ende der seit den sechziger Jahren gepflegten Hetze der jeweils jüngeren Generation über die Eltern, oder auch dafür, daß das inhaltsleere Politikgeschwätz des Berliner Alltags auf so wenig störende Zwischenrufe stößt.

Komödie mit knapp hundert Darstellern

Insgesamt ist die Komödie mit knapp hundert Darstellern doch ganz nett bespielt, sagen sich die Bürger, neuerdings sogar wieder mit adligen Heldenimitatoren. Wer das anders sieht, der geht halt zur richtigen Oper oder widmet sich seinen Geschäften und Freundeskreisen, die Karawane läßt er weiterziehen. Sprengkraft hat der Allensbach-Befund natürlich wegen der Aussichten für einzelne Parteien, ihr Mobilisierungspotential zu verlieren.

Was bleibt vom Bonn-Berliner Politikbetrieb übrig, wenn ihm nicht mehr die Fiktion des unaufgeklärt-böse gerechtigkeitslüsternen Volks gegenübersteht, dessen mutmaßliche Hitze seine Ballonblase bisher aufrecht gehalten hat? Die SPD trifft es derzeit am meisten. Wen interessiert Polemik über „soziale Kälte“ in einem Land, das Geld im Wert von gefühlten 120 Prozent aller Staatshaushalte Afrikas zusammengenommen allein für soziale Zwecke ausgibt?

Es wäre andererseits für diesen Fall eine völlig neue Substanz für deutsche Politik gegeben, für sich noch keine Bezeichnung gefunden hat. Der letzte Bundestagswahlkampf versuchte deshalb noch gelegentlich, auf der Schiene des Lagerwalhkampfs zu reiten. Es sollte ein „bürgerliches Lager” geben, das gegen ein „linkes Lager” stehe. Für den Bundesbürger sind das längst Hohlformeln. Er erkennt das Politiksystem richtig als Einheit aus Scheinkonkurrenten, und er erkennt es sogar als solches als berechtigt an. Er ist entlarvt, der gute alte Michel. Soll er sich ruhig mal zurücklehnen. Er hat es verdient, die letzten hundert Jahre waren ziemlich anstrengend.

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