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Der Mobil-Schizo und sein Daimonion

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Der Mobil-Schizo und sein Daimonion

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Sie stehen auf der Straße, an der Ampel, vor der Ladenkasse – und plötzlich beginnt jemand zu quatschen. Vor Ihnen, neben Ihnen, jedenfalls ganz in Ihrer Nähe. Mal beginnt`s mit einem erfreuten „Hallo“, mal mit einer Beschimpfung. Sie fühlen sich spontan angesprochen, drehen sich um – aber, er redet nicht mit Ihnen. Ein Dritter ist allerdings auch nicht da! – Moment!

Anderes Beispiel: Ein Mensch geht über die Straße, redet vor sich hin. Ist er Schauspieler, der seinen Rollentext lernt? Nein, für solches Textlernen spricht er zu intentional. Aber was dann?
Solche Leute erinnern an Schizophreniepatienten, die beim Spaziergang imaginäre Gespenster anbrüllen, auf daß sie endlich verschwinden!

Aber die Leute aus genannten Beispielen fühlen sich nicht belästigt. Die haben Frieden gemacht mit ihrem Daimonion. Gewiß, sie tragen Anzeichen der Schizophrenie, hören eine Stimme, die jede Distanzierung verbietet, die ihnen wichtiger ist als die physisch-aktuelle Situation um sie herum. Selbst wenn sie einen Heiratsantrag machen oder erhalten: Meldet sich die Stimme, brechen sie ab, lauschen und antworten nur noch ihr – während die potentielle Braut ungeduldig der Wiederkehr in die Realität (und auf die Fortsetzung des Heiratsversprechens) harrt. Zwar sind diese Stimmen kein Produkt des eigenen Gehirns – aber Schizophrene glauben schließlich auch an externe Ursachen für ihre Erscheinungen.  

Flexible Kommunikation im Krieg

Der wahre Unterschied ist: Diese neue Form von Schizophrenie ist medizinisch noch nicht registriert. Zumindest gilt das Nutzen von Mobiltelefonen bislang nicht als psychiatrische Erkrankung. Egal ob mit oder ohne Kopfhörer. Letzterer verstärkt den Schizo-Effekt übrigens um ein Vielfaches.

Als die österreichische Schauspielerin Hedwig Kiesler – in Hollywood unter dem Namen Hedy Lamarr zum Weltstar avanciert – in den 40er Jahrem die technische Grundlage für das Mobiltelefon kreierte, hatte sie keine böse Absicht. Sie wollte den alliierten Soldaten flexible Kommunikation im Krieg ermöglichen. Leider kam ihre Erfindung Jahrzehnte später auch im globalen Wirtschaftskrieg zum Einsatz  (wovon sie selbst finanziell übrigens nicht profitierte). Auch für dessen „Flexibilität“ erwies sich das technische Meisterstück als brauchbar. Seitdem ist der flexible Mensch immer erreichbar.

Der Geschäftspartner oder Arbeitgeber wurde zum Daimonion, zur Geisteskrankheit, die einen stets überfallen durfte – für die alles stehen und liegen blieb. „Der Octopus“ (Frank Norris) kann jetzt in Sekundenschnelle seine Fangarme ausbreiten. Pawlowsche Konditionierung mit Klingelton – der sich in tausend Varianten downloaden läßt. Der Mobil-Schizo war geboren. Und wehe, ein solcher Teilnehmer des Daimonion-Netzes geht deshalb zum Psychiater, stellt sein Handy ab oder schmeißt es gar weg. Für nichts müßte man sich mehr rechtfertigen.

Konversation sofort unterbrochen

Jedem Live-Gespräch unterliegt seitdem ein latenter Streß – könnte doch bei einem der Teilnehmer jederzeit plötzlich das Handy klingeln, woraufhin die Konversation sofort unterbrochen wird. Der Angeklingelte versinkt dann für unbegrenzte Zeit im Bannkreis der Stimme. Sogar Jean Baudrillard, der Philosoph virtueller Realitätsverluste, empfand solches Verhalten als „Unverschämtheit“. Inzwischen kriegt selbst der Gesprächspartner ein schlechtes Gewissen, falls sein Gegenüber übermenschliche Willenskraft beweist und „sein bestes Stück“ einfach klingeln läßt: „Willst du nicht rangehen? … Könnte doch was wichtiges sein“, druckst er dann herum.

Aber jammern nutzt mal wieder gar nichts. Man muß die Strukturen für sich selber nutzen. Ich teile beispielsweise wichtige Dinge niemals mehr live mit! Je wichtiger die Sache, um so sicherer ruf ich den Betroffenen auf seinem Handy an. Selbst wenn er sich im Nebenzimmer aufhält, nur wenige Meter von mir entfernt. Lediglich unwichtige Dinge kriegen die Mobil-Schizos unmittelbar zu Gehör. So weiß ich, daß sie für mein Anliegen alles stehen und liegen lassen. Für mich – ihren Daimonion.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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