Wer über den Mannheimer Weihnachtsmarkt am Wasserturm schlenderte, der kam seit eh und je an recht prominenter Stelle an einem Stand vorbei, an dem mit den Jahren immer seltener ein Kunde zu sehen war. Es war die Verkaufsstelle für den Brockhaus, die große Enzyklopädie.
Wem nichts für die Verwandtschaft eingefallen war, der fand hier bis kurz vor Toresschluß noch die Möglichkeit, das weihnachtliche Geschenkproblem mit einem buchstäblich gewichtigen Präsent zu lösen oder in einem geplanten, jährlichen Ritual den ortsansässigen Großverlag mit dem Erwerb eines weiteren Bandes der aktuellen Ausgabe zu fördern.
In diesem Jahr wird das vermutlich anders sein. Am Mittwoch dieser Woche hat das in Mannheim ansässige Bibliographische Institut & F.A. Brockhaus AG, kurz Bifab, auf seiner Hauptversammlung offiziell den Brockhaus aus dem Firmennamen gelöscht. Man hat sich in „Bibliographisches Institut AG“ umbenannt.
Die Marke Brockhaus, einer der bekanntesten deutschen Markennamen überhaupt, wurde an den Konkurrenten Bertelsmann verkauft. Ob es weiter eine Enzyklopädie in Buchform geben wird, ist ungewiß.
Auch ein Ende deutscher, bürgerlicher Bildungskultur
Man spricht viel von Internet und Wikipedia als Ursache dieses Verfalls. Was es umsonst und stets aktualisiert im Netz gibt, wollen immer weniger Käufer schwarz auf weiß, teuer und schwer nach Hause tragen. Daran mag etwas Wahres sein, aber die ganze Antwort ist es nicht.
In dem Verfall des Brockhaus drückt sich auch die nachlassende Wertschätzung von Bildung überhaupt aus. In einem gedruckten Lexikon fand der Leser immer mehr als er suchte, selbst nach außen hin.
Einen Brockhaus oder auch eines der Exemplare der gepflegten Konkurrenz im Wohn- oder Arbeitszimmer stehen zu haben, galt als Statussymbol wie als Selbstverpflichtung des Haushalts und seiner Bewohner, ein gewisses Niveau zu erreichen. Das wird in dieser Form nicht mehr nachgefragt. Die in einem Lexikon verkörperte Aussicht, es könnte einen prägenden Bildungskanon geben, hat an Reiz verloren.
Somit geht mit dem Ende des Brockhaus auch ein Ende deutscher, bürgerlicher Bildungskultur einher. In Mannheim nimmt man es gelassen, selbst bei den Brockhaus-Mitarbeitern. Dies nicht, weil es keine Katastrophe wäre, sondern weil es eine seit langem absehbare Entwicklung war. Der Weihnachtsmarkt wird wohl einen weiteren Freßstand verkraften müssen.