Über einen Monat währt der Krieg um die Ukraine, und seine Folgen reichen immer weiter. Der jüngste Monatsbericht des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt, wie tiefgreifend dieser Krieg auf die Deutschen wirkt. Seit 1949 mißt Allensbach die Stimmungslage: „Nie war das Zukunftsvertrauen so tief erschüttert wie zur Zeit“, resümiert die FAZ.
Hätten die Gräben, die der Streit um die Corona-Politik in zwei Jahren aufgerissen hat, nun langsam wieder zugeschüttet werden und neuem Optimismus Platz machen können, so polarisieren jetzt Streitfragen zum Angriff Rußlands auf die Ukraine die Bevölkerung – und auch Leser dieser Zeitung. Das ist aus vielen kontroversen Leserzuschriften zu lesen.
Der Krieg zertrümmerte viele Trugbilder: Daß wir von Freunden umgeben seien und keine Armee mehr brauchen. Daß Energieversorgung nichts mit nationaler Sicherheit zu tun hat. Wie stark die russische und wie unterlegen die ukrainische Armee ist. Daß es in der Außenpolitik um Werte gehe statt um Interessen. Und so weiter.
Skandalös wäre es, den Krieg in der Ukraine zu verlängern, um einen „Regime Change“ in Moskau herbeizuführen.
Biden will Putin loswerden
Wer hat den längeren Atem in diesem Weltkonflikt? Welche Seite ist länger bereit, massive wirtschaftliche Folgen zu tragen? Den Defätismus, mit dem Ukrainer teilweise von unseren Zuschauerrängen vom ersten Kriegstag zur Kapitulation und Unterwerfung aufgefordert wurden, finde ich empörend. Der Kampf des ukrainischen Volkes um seine nationale Freiheit ist heroisch und muß uns beschämen.
Genauso skandalös ist es, wenn der Krieg absichtlich angeheizt und verlängert werden sollte, um andere Ziele zu verfolgen. US-Präsident Joe Biden ruinierte seine jüngste Rede in Warschau mit dem Satz, „um Gottes Willen“ dürfe Putin „nicht an der Macht bleiben“. Kämpfen die Ukrainer ab sofort also nicht mehr für ihre Freiheit, sondern für eine Beseitigung des Autokraten in Moskau und erhalten dafür Waffenlieferungen?
Ein fataler Satz, der von US-Diplomaten bis jetzt nicht wieder eingefangen werden konnte. Der britische Historiker Niall Ferguson wirft Washington sogar vor, den Krieg bewußt zu instrumentalisieren, um einen Regierungswechsel im Kreml herbeizuführen. Das wäre tatsächlich abenteuerlich und würde die jetzige Einheit der westlichen Staaten, die Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine erreicht hat, wieder sprengen.
Man kann deshalb nur hoffen, daß es bald eine diplomatische Lösung und einen für alle Seiten gesichtswahrenden Waffenstillstand mit einer dauerhaft tragfähigen Perspektive für eine Friedenslösung gibt. Die letzten Wortmeldungen von ukrainischer und russischer Seite lassen Hoffnung keimen.
JF 14/22