Seit dem Knall von Thüringen ist die Bundespolitik in schneller Bewegung. Die von Merkel höchstpersönlich zurückgepfiffene Wahl des FDP-Mannes Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Landes setzte eine Kettenreaktion in Gang. CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer war als machtlos überführt und kündigte ihren Rückzug an. Dies wiederum entfesselte umgehend das Wettrennen der Aspiranten für Parteivorsitz und Kanzleramt: Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und seit Dienstag auch Norbert Röttgen laufen sich warm, um AKK und Merkel zu beerben.
Als heißeste Kandidaten galten bislang Laschet und Merz. Laschet mit der Autorität als Ministerpräsident und Parteichef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes bringt das größte Gewicht auf die Waage – zudem wird er als „Modernist“ und Merkelianer als bester Moderator von künftig wahrscheinlichsten schwarz-grünen Bündnissen gehandelt. Merz wiederum steht im Auge seiner Fans am stärksten für einen Bruch mit Merkel und die Sehnsucht nach „Back to the roots“ in der CDU, die Zeit, bevor Merkel das Profil der Partei im Windkanal bis zur Unkenntlichkeit abschliff.
Abschottung zur AfD
Nach Thüringen blickt die „kritische Öffentlichkeit“ aber vor allem darauf, ob es der CDU gelingt, Risse in der „Brandmauer“ zur AfD zu schließen. Hermetisch dicht soll diese sein – während man nach links still und leise Abgrenzungsbeschlüsse selbst zu SED-Erben in den Reißwolf schiebt.
Um die von oben inbrünstig propagierte totale Abschottung zur AfD durchzuexerzieren, richtet sich das Schlaglicht innerhalb der CDU seit der vergangenen Woche auf die Werte-Union, in der sich wackere konservative Gegner des Merkel-Kurses zusammengeschlossen haben – zuletzt über 4.000 Mitglieder. Prominentester Kopf: Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.
Geisel linker Vorgaben
Angesichts der Macht- und Koalitionsoptionen in Ländern und Bund spricht alles dafür, daß das Adenauer-Haus die CDU weiter auf künftige Bündnisse mit den Grünen konditioniert und präventiv Störenfriede und Hindernisse aus dem Weg räumt: Die Werte-Union ist dabei bremsender Ballast. Sie dokumentiert die programmatischen Defizite von CDU und CSU, die erst zu einem Vakuum führen konnten, in das die AfD seit sieben Jahren erfolgreich vorstößt.
Die Abgrenzungswelle in der CDU macht die Partei indes noch stärker zur Geisel linker Vorgaben. Die Werte-Union stand für eine Emanzipation aus dieser Gefangenschaft. Einzelne AfD-Politiker taten nun der säuberungswütigen CDU-Spitze den Gefallen und machten vertrauliche Treffen gegenüber der Presse öffentlich – keine Empfehlung für künftige Verständigungen über Parteigrenzen hinweg. Diese Gesprächskanäle sind aber nötig, um irgendwann endlich andere Mehrheiten zu organisieren.
JF 9/20