Zwei Wochen nach der Entscheidung des AfD-Bundesvorstandes, den Brandenburger Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz wegen falscher Angaben über sein Vorleben in der rechtsradikalen Szene aus der Partei zu werfen, lichtet sich allmählich der Pulverdampf. Der Konflikt hatte schon länger geschwelt, jetzt hat sich AfD-Sprecher Jörg Meuthen mit einer Mehrheit im Vorstand gegen Kalbitz und seine Unterstützer durchgesetzt.
Selbstverständlich ging es dabei nicht nur um Fragen der Parteilinie, sondern auch um Machtfragen. Aber es wäre zu einfach, hier nur die übliche Konkurrenz um Posten und Einfluß am Werk zu sehen. Denn der „Fall Kalbitz“ hat dazu gezwungen, ein grundsätzliches Problem auf die Tagesordnung zu setzen, das seit Gründung der AfD 2013 einer definitiven Lösung harrt: Wie soll die Grenze nach Rechtsaußen gezogen werden? Wo soll die rote Linie verlaufen, die verhindert, daß die AfD den Weg vieler ähnlicher Gruppierungen nimmt und wieder in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet?
Das sehen naturgemäß nicht alle so. Ein Argument ist oft zu hören, wenn die AfD sich von problematischen Inhalten oder Personen trennt: Das werde sowieso nicht „honoriert“, das „Establishment“ wolle weder eine gemäßigte noch eine radikale AfD – es wolle gar keine AfD. Ein weiteres Argument, das regelmäßig auftaucht, ist, solche Entscheidungen würden nur getroffen, „um weniger anzuecken“ oder aus „Ängstlichkeit“. Die „Aufrechten“, die keine Furcht vor dem Verfassungsschutz hätten, seien dagegen die Standfesten und Mutigen. Im Umkehrschluß wird am Ende die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zum Gütesiegel der wahren Patrioten.
Mangel an Mut
In der Tat ist in unserem Land die Feigheit vor politischer Auseinandersetzung, das Ausweichen vor Konflikten weit verbreitet. Vor allem in bürgerlichen Kreisen trifft man auf einen erschreckenden Mangel an Mut, eine regelrechte Weigerung, im privaten und beruflichen Umfeld seine Meinung offen zu äußern. Diese Feigheit kann sich aber auch zeigen, wenn gegen Radikalisierung nicht das Wort erhoben wird, man sich statt dessen leise verabschiedet oder unterwirft, indem man den Lautstarken das Feld überläßt.
Die Sorge vor einer solchen Entwicklung dürfte die Mehrheit im AfD-Vorstand bewegt haben. Bei näherem Hinsehen ist eine Partei, deren Repräsentanten sympathisch und gewinnend auftreten, die das Eis brechen, um Unentschlossene zu erreichen und Vorbehalte zu überwinden, die einer Phantasie Raum gibt, die andere politische und gesellschaftliche Mehrheiten vorbereitet, auf einem Weg, der nicht nur anstrengender und intellektuell herausfordernder ist als eine radikale Rhetorik.
Eine solche Partei ist auch für das Establishment viel gefährlicher als eine Formation, die sich durch Auftreten, Wortwahl und Forderungen freiwillig ins Abseits stellt.
JF 23/20