Offenbar brauchen wir Fremde, um mit der Nase darauf gestoßen zu werden, wie schön es bei uns in Deutschland ist. Für diese Ausgabe führten wir ein Gespräch mit Marron C. Fort, einem in Boston geborenen und einer kreolischen Familie entstammenden amerikanischen Germanistikprofessor, der 1988 deutscher Staatsbürger wurde. Er pflichtet dem türkischstämmigen Schriftsteller Akif Pirinçci bei, der in seinem Bestseller „Deutschland von Sinnen“ seiner neuen Heimat eine Liebeserklärung macht. Fort erklärt, er habe „mit Bestürzung feststellen müssen, wie wenig Bewußtsein die Deutschen für ihre eigene Kultur haben“.
Es sind jedoch weniger die Bürger als vor allem die tonangebenden Eliten, die ein gespaltenes Verhältnis zur eigenen Nation haben. Aus einer Art Selbstekel heraus wird das Fremde höher gehoben, gilt das eigene Land als „spießig“, rückwärtsgewandt, langweilig, dröge. Es gilt nicht als Glück, sondern als Strafe, Deutscher zu sein. Zugleich sorgt eine im Zuge der Globalisierung sich wie ein Schleier über die Wahrnehmung legende „Weltkultur“ (zu besichtigen in den Einkaufspassagen mit den immer gleichen Ketten, Marken und Schnellrestaurants) dafür, daß das Besondere der eigenen Region aus dem Blick gerät.
Wir vergessen oft, wie unglaublich grün Deutschland ist
Vor zwei Jahren startete der Film „Deutschland von oben“ in den Kinos, eine mit atemberaubenden Luftaufnahmen arrangierte Hommage an unsere Heimat. Es war ein selten positiver, ungetrübter Blick in den Spiegel, der oft verhangen scheint. Durch das Autofahren prägt sich bei uns ein von breiten Asphalttrassen zersiedeltes Bild eines scheinbar uferlosen Gewerbegebietes ein. Wir vergessen oft, wie unglaublich grün Deutschland ist, wie pittoresk die an Perlenschnüren aufgezogenen Dörfer und Kleinstädte sind.
Eine beliebte negative Selbstbeschreibung der Deutschen ist, wir seien „provinziell“. Dabei liegt eine Stärke Deutschlands darin, daß sich die Kultur nicht auf eine alles beherrschende Hauptstadtmetropole konzentriert, sondern auf einen unschätzbaren regionalen Reichtum. Dieser drückt sich in Hunderten Dialekten und Traditionen aus, die bis heute lebendig sind. So schwach das Nationalgefühl ausgeprägt ist, so stark sind die regionalen Identitäten – auf denen der krampfhaft verdrängte Patriotismus letztlich gründet.
Zuwanderer erinnern uns daran, unser Land zu lieben
Gelingt die Integration derzeit nicht in das abstrakt „Deutsche“, weil dies mit unseren nationalen Komplexen verstellt ist, so oft viel schneller in das Bayerische, Schwäbische, Hessische, Sächsische oder Westfälische. Das bodenständige Brauchtum, die Feste, der Karneval, die Schützenfeste, die regionale Küche – an ihr kommt man nicht vorbei, wenn man heimisch werden will in Deutschland.
Es ist merkwürdig, daß uns Zuwanderer daran erinnern, unser Land zu lieben und uns mit uns endlich auszusöhnen.
JF 16/14