Es war kurz nach dem Wochenzeitungsstart der JUNGEN FREIHEIT 1994, als mich Frank Schirrmacher anrief. Er lud mich zu einem Gespräch nach Frankfurt ein. Ich kam in sein Büro, er war erst kurz zuvor Nachfolger von Joachim Fest als Herausgeber der FAZ geworden. Ihn interessierte, was mich als damals 27jährigen trieb, aus Berlin ein überregionales Zeitungsprojekt zu starten.
Es war die Zeit, als Rainer Zitelmann als Cheflektor des Ullstein-Verlages mit einem konservativ-nonkonformen Programm Furore machte und er kurz darauf mit Heimo Schwilk und Ulrich Schacht die Samstagsbeilage „Geistige Welt“ der Welt übernahm.
Wie in vielen Nachrufen jetzt beschrieben, zeichnete Schirrmacher zweifellos ein Gespür für Trends aus. Er sah, daß etwas publizistisch unter jungen Konservativen in Bewegung war, was vielleicht auch für die FAZ relevant sein könnte. Ich habe im Gespräch mit Schirrmacher damals eindringlich dafür geworben, daß die FAZ publizistisch einen Weg bahnen müsse für eine Erweiterung des Parteienspektrums.
Für konservative Federn schlossen sich die Türen
Daß es nicht nur einer Ausdifferenzierung auf der Linken bedürfe, sondern auch eine demokratische „Rechte“ vonnöten sei. Schirrmacher hörte sich alles neugierig an, er schien aber zu einem anderen Ergebnis zu kommen.
Die diskriminierende und – wie das Bundesverfassungsgericht erst nach einem von uns angestrengten zehnjährigen, aufwendigen Prozeß 2005 schließlich bestätigte – verfassungswidrige Erwähnung der JF in den Verfassungsschutzberichten von NRW ließ Schirrmacher später kalt. Er sah keinen Anlaß, publizistisch gegen diese Praxis vorzugehen.
Im Gegenteil. Mehrfach sekundierten Autoren des von ihm verantworteten Feuilletons den Vorwurf, die JF bewege sich außerhalb des Verfassungsbogens. Das Feuilleton öffnete sich währenddessen weit für Autoren aus dem linksradikalen Milieu, während sich Türen für konservative Federn schlossen.
Es braucht keinen Mut, ein Blatt nach links zu öffnen
Frank Schirrmacher hatte andererseits ein Gespür für die historische Krise Europas und Deutschlands. Mit den Büchern „Methusalem-Komplott“ und „Minimum“ gelang es ihm, dem Land eine überfällige Debatte über seinen demographischen Niedergang aufzuzwingen. Nur folgten daraus keine politischen Konsequenzen. Als diese von anderen realpolitisch eingefordert wurden, ließ Schirrmacher diese von seinem Feuilleton kujonieren.
In Nachrufen wird sein Mut zu geistiger Freiheit gelobt. In einem Land, das an der öden Übermacht der linken Intelligenz erstickt, bedarf es keines Mutes, ein Blatt ausgerechnet nach links zu öffnen. Wir trafen uns 1998 bei der Beerdigung des von ihm verehrten Ernst Jünger in Wilflingen. Wenn wir uns später noch einmal auf den Gängen der Frankfurter Buchmesse begegneten, glaubte ich auf seiner Seite Verlegenheit darüber zu spüren, daß etwas ungeklärt geblieben war.
JF 26/14