Nun also auch er. Jörg Meuthen hat den Vorsitz der Alternative für Deutschland hingeschmissen und die Partei verlassen. Er stellt sich damit in die Reihe seiner Vorgänger und setzt eine seltsame Tradition fort, die es so nur in der AfD – und so ähnlich nur in anderen, allerdings weit weniger erfolgreichen – deutschen Parteien rechts der Mitte gibt: Vorsitzende, die sich im Zorn davonmachen, sobald ihnen (gefühlt oder tatsächlich) die Gefolgschaft aufgekündigt wurde.
Wie die Bilder sich gleichen: Bernd Lucke, einer der Gründungsvorsitzenden, Mahner und Warner vor einem Rechtsruck, der schließlich in der Macht-Schlacht von Essen seiner Mitvorsitzenden Frauke Petry unterlag und wie ein geprügelter Hund von dannen zog. Wenig später dann erlitt Petry selbst ein ähnliches Schicksal, scheiterte mit ihrem auf strikte Realpolitik und gegen den „Flügel“ zielenden „Zukunftsantrag“ – und mußte sich von ihrem Kontrahenten und Co-Vorsitzenden beim Parteitag in Köln abservieren lassen. Es war Jörg Meuthen, der sanft die Seele der AfD streichelte, vor „spalterischen“ Alleingängen warnend, bejubelt von den Delegierten. Lang ist’s her.
Meuthens „Köln“ war Dresden, spätestens der Parteitag mit dem Dexit-Beschluß machte die Erosion seiner Macht deutlich. Und wiederum war es ein Co-Vorsitzender, diesmal Tino Chrupalla, der sich dagegen als Versöhner mit dem Gespür für die Wünsche der Parteibasis profilieren konnte.
„Ihre Zeit in der AfD ist vorbei!“
Dabei hatte sich bisher keiner so lange an der Spitze der AfD, dieses „gärigen Haufens“ (Alexander Gauland) halten können, wie der Europaabgeordnete aus Baden-Württemberg. Das hatte er auch geschafft, weil er in den unzähligen und bisweilen nervenaufreibenden internen Konflikten immer wieder neue Bündnisse eingegangen war – und aufgekündigt hat, um neue zu schmieden. Dazu gehörte, daß der zeitweilige Kyffhäuser-Pilger Meuthen zum ärgsten Widersacher des „Flügels“ wurde, dessen formale Auflösung er schließlich erzwang.
Genugtuung, ja Freude, werden nun diejenigen in der AfD verspüren, die lange schon dachten, was der „Sozialpatriot“ Jürgen Pohl beim Parteitag in Kalkar 2020 ins Saalmikrofon brüllte: „Herr Doktor Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei!“ Seinerzeit ging der Gescholtene noch als Sieger vom Platz, konnte eine Mehrheit, wenn auch eine knappe, hinter sich sammeln. Doch es lag auch an Meuthen selbst, daß sein Triumph am Niederrhein letztlich zum Pyrrhussieg geriet.
Immer häufiger hörte man selbst von denen, die ihm inhaltlich nahestanden, den Vorwurf, der Bundesvorsitzende agiere zunehmend im Alleingang, ohne Absprachen, ohne erkennbare Strategie. Die Pflege interner Animositäten überwiege das Ziel, einen gemeinsamen Modus vivendi für die Gesamtpartei zu finden. „Beratungsresistent“ – das Wort fiel oft in Verbindung mit Meuthens Namen.
Kritik an mangelnder Führungskompetenz
Der wiederum sah sich zusehends im Stich gelassen. Man mußte weder enger Vertrauter noch Psychologe sein, um mitzubekommen, wie leid es der Wirtschaftsprofessor in jüngster Zeit war, an der Spitze der AfD zu stehen. Das bestärkte indes seine Kritiker nur noch mehr, die ihm vorwarfen, er komme seiner Aufgabe zu führen nicht genug nach.
„Macht euren Dreck doch alleene!“ Das Motto, mit dem sich der letzte sächsische König der Legende nach in der Revolution 1918 von seinen ehemaligen Untertanen verabschiedet haben soll, mag auch Meuthen, dem in Baden lebenden Westfalen, in den Sinn gekommen sein. Und auch er würde es – nicht nur, aber gewiß besonders – in Richtung Sachsen adressieren.
Ausschlaggebend dürfte zum Schluß die Kür des Bundespräsidentschaftskandidaten diese Woche gewesen sein. Auch dabei wieder ein fröhliches Gegeneinander an der Spitze der AfD. Daß sich Tino Chrupalla und Alice Weidel mit ihrem Wunsch Max Otte schließlich durchsetzten, verstand Meuthen als Affront. Denn Otte hatte, obschon kein AfD-, sondern bis Dienstag CDU-Mitglied, stets gegen die von Meuthen vertretene Wirtschaftspolitik Stellung bezogen.
Daß Otte dann auch noch im Bundestag, vor der Fraktion, als Kandidat der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, machte noch einmal deutlich, wo das Kraftzentrum der AfD liegt.
Ein Massen-Exodus ist unwahrscheinlich
Die Worte, die Meuthen seiner nunmehr zur Ex- gewordenen Partei hinterherschleuderte, kann der Verfassungsschutz genüßlich als Bestätigung seiner Thesen von der sich immer weiter radikalisierenden Truppe auffassen und den Geschiedenen damit zum Kronzeugen für die Behauptung machen, die AfD stehe nicht auf dem Boden des Grundgesetztes.
Also genau des Vorwurfs, der mit Hilfe von teuren Spitzenanwälten auch im Namen Jörg Meuthens aus der Welt, und vor allem aus den Jahresberichten des Inlandsgeheimdienstes geschafft werden sollte. Im Kölner Bundesamt und in der von ihm beauftragten Rechtsanwaltskanzlei könnte man mit Blick auf die Verhandlungen vor dem Kölner Verwaltungsgericht Anfang März nach diesem Freitag glatt versucht sein, schon mal den Champagner kalt zu stellen.
Mit der Art seines Abgangs hat der Ex-Vorsitzende gerade diejenigen vor den Kopf gestoßen, die seinen Kurs vom Grundsatz her gutgeheißen und ihn unterstützt haben. Meuthen ist weg, die AfD wird bleiben. Ein Exodus wie weiland 2014 beim Auszug Bernd Luckes ist eher unwahrscheinlich. Schon Frauke Petry folgten weit weniger Getreue. Die Partei ist mittlerweile strukturell gefestigter, hat eine Art eigenen „Mainstream“, jenseits der alten Pole von „gemäßigtem Lager“ und „Flügel“.
Narrativ vom bürgerlichen Aushängeschild
Absehbar ist dennoch, daß jetzt das Narrativ munter verbreitet wird, mit dem wirtschaftsliberalen Professor verschwinde das letzte bürgerliche Aushängeschild (oder Deckmäntelchen) der AfD. Aber selbst wenn sich genug Argumente dagegen aufbieten lassen: Ein Image kann bestimmend, gar wahlentscheidend sein, egal, ob es zutrifft oder nicht. Nicht bei der Kernklientel, wohl aber bei dem einen oder anderen, der schwankt. Und dieses Narrativ dürfte der Partei vor allem dort schaden, wo in diesem Jahr Landtage gewählt werden – in vier westdeutschen Ländern.
Den Anspruch, die AfD müsse „nach wie vor auch eine Partei für Wertkonservative wie für Liberale, Christsoziale und unorthodoxe Linke“ sein und dürfe nicht zur „Partei der Wüteriche“ werden, hatte ja im übrigen nicht Jörg Meuthen postuliert, sondern einer, der am Ende zu dessen Widersachern gehörte, der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland.