Es war der 6. Januar 2021, spät abends um 23 Uhr als Bodo Ramelow zu seinem iPhone griff und empört anfing zu tippen. Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump hatten an dem Tag das Kapitol in Washington gestürmt und es sah manches danach aus, als würde Trump seine Wahlniederlage möglicherweise immer noch nicht akzeptieren.
„Die Bilder aus Washington sind schockierend“, verurteilte Ramelow die Vorgänger auf Twitter. „Da klebt ein Präsident an seinem Amt und versteckt sich hinter Menschen, denen die Demokratie egal ist. Unglaublich und beschämend“, sei dies, beklagte der Linken-Politiker gegenüber der Twitter-Gemeinde.
Rund sechs Monate später hat Ramelow seinen Tweet aus dem Januar gelöscht. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Möglicherwiese liegt es daran, daß ihn ausgerechnet AfD-Fraktionschef Björn Höcke an seine belehrenden Worte von damals erinnerte.
Demokratie wird zur Auslegungssache
Aus Gründen. https://t.co/XtKZEamVbk
— Björn Höcke (@BjoernHoecke) July 16, 2021
Vielleicht hat Ramelow aber auch erkannt, daß ihm der Tweet nun auf die Füße fallen könnte. Denn Ramelow klebt längst selbst an seinem Amt und die sonst viel beschworene Demokratie scheint für ihn zur Auslegungssache geworden zu sein.
Ein kleiner Rückblick: Schon bei der Landtagswahl 2014 verpaßte es die Linkspartei mit Ramelow als Spitzenkandidat, stärkste Kraft zu werden. Auf Platz 1 landete mit deutlichem Vorsprung die CDU. Dennoch gelang es der Linkspartei mit SPD und Grünen, eine knappe parlamentarische Mehrheit zu schmieden, mit der sich Ramelow zum Ministerpräsidenten des Freistaats wählen lassen konnte. Im Verlauf der Legislaturperiode sicherte dann ausgerechnet ein ehemaliger AfD-Abgeordneter, der zur SPD-Fraktion übergetreten war, Ramelows Regierungsmehrheit.
Nach der Landtagswahl 2019 war es mit dieser dann aber endgültig vorbei. Zwar wurde die Linkspartei die größte Fraktion im Parlament, trotzdem verfügte sie mit SPD und Grünen nicht über die notwenige Stimmenanzahl, um Ramelow im Amt zu halten.
Die weiteren Geschehnisse sind bekannt: Ramelow hielt sich für unersetzlich, scheiterte in den ersten beiden Wahlgängen und unterlag dann mit einer Stimme Thomas Kemmerich von der FDP. Da dieser aber auch mit den Stimmen der AfD gewählt worden war, war die Aufregung groß. Vom Zivilisationsbruch war die Rede, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltete sich persönlich ein und forderte, die Wahl müsse rückgängig gemacht werden. Am Ende trat Kemmerich zurück.
Mehrheitsloser Landesvater von fremden Gnaden
Linkspartei, SPD, Grüne und CDU einigten sich auf eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter der Führung Ramelows, damit ein Haushalt für das Jahr 2021 beschlossen werden könne und der Freistaat handlungsfähig bleibe. Danach sollte sich der Thüringer Landtag auflösen und den Weg für Neuwahlen frei machen. Wie besprochen, konnte sich Ramelow so am 4. März im dritten Wahlgang zum Ministerpräsident wählen lassen, da die FDP-Fraktion die Abstimmung boykottierte und ihm die CDU durch Enthaltung zur einfachen Mehrheit verhalf.
Die Neuwahlen sollten im April 2021 stattfinden, wurden aber wegen der Corona-Krise auf die Bundestagswahl am 26. September verschoben. Doch davon wollen Ramelow und die Linkspartei nun nichts mehr wissen. Der für diesen Montag vorgesehene Antrag auf Neuwahlen kam im Parlament gar nicht erst zur Abstimmung, da die Linksfraktion ihre zugesagte Unterstützung zurückzog.
Als Vorwand gab sie an, einige CDU-Abgeordnete hätten den Antrag ebenfalls nicht unterstützen wollen, weshalb dieser für eine Mehrheit möglicherweise auf Stimmen der AfD angewiesen wäre. Mit der könne und wolle man aber nicht gemeinsam stimmen, womit die Sache für die Linkspartei vom Tisch war.
Zwar hätte Ramelow auch die Vertrauensfrage stellen und so den Weg für Neuwahlen freimachen können, doch daran verschwendete der mehrheitslose Landesvater von fremden Gnaden keinen Gedanken. Und so wird Ramelow aller Voraussicht nach bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 regieren. Das sei eine gute Nachricht für Thüringen, ließ der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, die Bürger im Freistatt wissen. Ob die das allerdings genauso sehen, ist fraglich.
Als Ramelow am 4. März 2020 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, bezeichnete seine Partei das als „Sieg für die Demokratie“. Genau die scheint Ramelow jetzt aber herzlich egal zu sein. Daß Macht vergänglich ist, weiß auch er und will sie deshalb so lang wie möglich auskosten. Sein Tweet von einst könnte den Trump aus Thüringen dabei nur stören.