Er war einer der letzten „Falken“ im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB): 2011 als damals jüngster Präsident der Bundesbank ins Amt gekommen, ist Jens Weidmann jetzt „aus persönlichen Gründen“ zurückgetreten. Wirklich überraschend kommt das nicht. Denn die Geldpolitik der EZB hat praktisch nichts mehr damit zu tun, was 1992 im Vertrag von Maastricht vereinbart worden war.
Verbot der monetären Staatsfinanzierung, Vorrang für die Geldwertstabilität, politische Unabhängigkeit – nach nicht einmal 30 Jahren ist das alles Makulatur. Stattdessen handelte die EZB unter Mario Draghi und seiner Nachfolgerin Christine Lagarde immer ungenierter wie früher die Banca d´ Italia und die Banque de France. Wenn der Staat Geld brauchte, wurde es einfach gedruckt, mit entsprechend inflationären Folgen.
In der Zeit flexibler Wechselkurse vor dem Euro verlor so der Franc mehr als 60 Prozent und die Lira sogar über 80 Prozent an Wert gegenüber der D-Mark. Angeblich war dies das Werk finsterer Spekulanten, denen mit der Einführung einer gemeinsamen Währung das Handwerk gelegt werden sollte. Die wirkliche Ursache war aber die unseriöse Geldpolitik, und so wird mit dem Euro inzwischen wieder genau die gleiche Politik betrieben.
Auf verlorenem Posten
Bundesbankpräsident Weidmann hatte das immer wieder kritisiert, stand damit aber im EZB-Rat letztlich auf verlorenem Posten. Unter den 19 Zentralbankpräsidenten erhielt er allenfalls aus den Niederlanden und Österreich noch Unterstützung. Alle anderen gehörten zu den sogenannten Tauben, also den Verfechtern einer eher lockeren Geldpolitik. Auch im Direktorium der EZB wurde ein Falke nach dem anderen erlegt.
Zuerst trat 2012 der damalige deutsche Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, zurück. Er begründete das unter anderem mit der Griechenland-Rettung, wodurch die Grundlagen der Währungsunion „auf den Kopf gestellt worden“ seien. Schon damals empfahl er den Bürgern, ihr Vermögen besser in Gold und Silber statt in Euro anzulegen.
Im Jahr 2019 verließ auch Sabine Lautenschläger überraschend das EZB-Direktorium, wo sie für die Bankenaufsicht zuständig gewesen war. Auch sie galt als Kritikerin des allzu laschen Kurses unter Draghi und wurde ersetzt durch Isabel Schnabel. Obwohl deutsche Ökonomin, ist letztere eher den geldpolitischen Tauben zuzurechnen, womit auch von dieser Seite keine Unterstützung für Weidmann mehr zu erwarten war.
Inflationäre Politik nimmt zu
In seinem sehr diplomatisch formulierten Abschiedsstatement muß man zwischen den Zeilen lesen. Es sei wichtig, so Weidmann, „nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren“. Man darf wohl davon ausgehen, daß die zuletzt sprunghaft angestiegene Inflationsrate ihm den Abschied nicht gerade schwerer gemacht hat.
Sehr viel deutlicher waren vor exakt zwei Jahren sechs ehemalige Notenbanker geworden. Darunter waren neben Jürgen Stark auch der ehemalige Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger und der langjährige Chefvolkswirt der Bundesbank und später der EZB, Otmar Issing. In ihrem gemeinsamen Memorandum forderten sie die EZB auf, endlich die Zinsen zu erhöhen und den uferlosen Ankauf von Staatsanleihen zu beenden. Ganz offen mutmaßten sie, daß letzterer wohl eher der Unterstützung überschuldeter Mitgliedsstatten als der Abwehr angeblicher Deflationsgefahren diene.
Schon damals befürchteten sie, daß die EZB die Kontrolle über die Preisentwicklung zu verlieren drohe. Inzwischen hat sich dies bewahrheitet, ohne daß allerdings entsprechende Konsequenzen gezogen würden.
Stattdessen hält die EZB an ihrer inflationären Politik weiterhin fest und ergänzt sie neuerdings sogar noch um ein klimapolitisches Mandat, das ihr indessen niemals verliehen wurde. Die Taubenfraktion hat damit auf der ganzen Linie gesiegt. Mit den Folgen wollte Weidmann wohl seinen Namen später nicht mehr in Verbindung gebracht sehen.
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Prof. Dr. Ulrich van Suntum ist Volkswirt, lehrte von 1995 bis 2020 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und war Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (der sogenannten Wirtschaftsweisen).