Wenige Tage nach dem islamistischen Attentat in Wien, bei dem ein schwer bewaffneter IS-Anhänger vier Menschen tötete und 22 verletzte, spielt die Tat in den meisten hiesigen Medien nur noch eine untergeordnete Rolle. Dies liegt natürlich auch an dem Kopf-an-Kopf-Rennen um das Weiße Haus. Aber auch die neuesten Corona-Wasserstandsmeldungen und andere, leichtere Themen scheinen vielen deutschen Medien wichtiger zu sein, als der schwerste Terroranschlag, den unsere österreichischen Nachbarn je erlebt haben.
Man möchte es wegen der klischeehaften Redundanz und der Erbärmlichkeit des Umstands selbst kaum noch aussprechen oder schreiben, aber: Es war für viele Medienvertreter wohl einfach mal wieder der falsche Täter. Man kann sich jedenfalls nur schwer vorstellen, daß ein solches Massaker durch einen Rechtsextremen bereits in derselben Woche nur noch irgendwo versteckt hinter Meldungen über Neuseelands „Außenministerin mit Tattoo“ (taz) oder „DFB paßt Corona-Hygienekonzept an – ein bißchen“ (Spiegel) auftauchen würde.
Auch in den sozialen Medien hält sich die Betroffenheit über die Toten in Wien in Grenzen. Statt zu trauern oder das islamisch motivierte Attentat klar als solches zu verurteilen, diskutieren vor allem Linke – sogar in Österreich selbst – lieber darüber, ob die Polizisten, die in der Terror-Nacht im Einsatz waren, wirklich als Helden zu bezeichnen sind oder ob sich Menschen mit Migrationshintergrund, die an diesem Abend Leben gerettet haben, nicht viel eher diesen Helden-Status verdient hätten. Auch die üblichen Appelle gegen eine Instrumentalisierung des Attentats „von Rechts“ und die damit schon regelrecht zwanghaft verbundenen Beschwörungen, daß es jetzt vor allem darum ginge, den Zusammenhalt der offenen und vielfältig-bunten Gesellschaft zu stärken, ließen freilich nicht lange auf sich warten.
„Das hat doch nichts mit einer Religion zu tun“
Der Gipfel der hippiehaften Naivität wurde von Werner Sejka, einem Nachrichtensprecher des österreichischen Privatsenders Puls 24 erklommen. In einem persönlichen Statement, auf das sein Arbeitgeber offenbar so stolz war, daß er daraus einen Video-Tweet machte, predigte der Moderator seinem Publikum: „Es gibt radikale Menschen, es gibt Terroristen, die haben genau ein Ziel, daß wir uns spalten lassen. Daß wir uns trennen lassen in Christen, Juden, Muslime whatever.“ Diesen „Würschtel“ solle man den „Stinkefinger“ zeigen. Ansonsten müßten die Menschen in Wien und ganz Österreich aber ganz klar sagen: „Da greift uns nicht eine Religion an, da greifen uns Depperte an“. Es sei „völlig wurscht, ob Muslime, Christen, Juden“. Er forderte: „Da reichen wir einander die Hände und sagen – das wollen wir nicht“.
💬 „Das ist ein Vollidiot, den brauchen wir gemeinsam nicht. Wir halten zusammen. Schleich di, du Orschloch. Hätte nie gedacht, dass ich das mal im Fernsehen sagen darf.“
Anchor @wernersejka über die Stadt Wien und den Zusammenhalt in Österreich, #puls24 #wienATTACK pic.twitter.com/CrGGRoGP6U
— PULS 24 (@puls24news) November 3, 2020
Der Islam-Blitzexperte weiß natürlich, was diese Leute alle zu wissen glauben: „Das hat doch nichts mit einer Religion zu tun.“ Auch wenn sich diese Attentäter stets auf „irgendeine Religion“ berufen. Der Attentäter, der sich auf die Religion berufen hat, auf die sich die meisten Attentäter der letzten Jahrzehnte berufen haben, sei lediglich ein „Vollidiot“. Die „einzige Botschaft“, die diese Terroristen verstünden, sei der Zusammenhalt und daß die Menschen sich nicht trennen lassen und „womöglich voreinander Angst bekommen“.
Plumpe Banalisierung des Attentäters von Wien
Am Ende ruft der Journalist unter dem Gekicher seiner Kollegin dem Attentäter von Wien und anderen potentiellen Terroristen noch ein herzhaft wienerisches „schleich dich, du Arschloch“ zu und freut sich dabei, daß er „das im Fernsehen einmal sagen darf“. Daß damit dann aber wirklich „auch alles gesagt“ sei, machte der Hippie im Maßanzug sicherheitshalber schon zu Beginn seiner etwas über zwei Minuten langen Banalisierung des Bösen klar.
Den zusätzlichen Schmerz, den ein derart verharmlosender und dabei durch und durch zynisch-ideologischer Umgang mit der Tat den Hinterbliebenen der Opfer bereitet, vermag sich wohl kaum jemand vorzustellen. All jene Ideologen, die hierbei jegliche Empathiefähigkeit verloren zu haben scheinen, sollten allerdings genau das dringend versuchen.