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Meinungsfreiheit: Verlernt zu erzählen

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Auf der Suche nach zu löschenden Inhalten Foto: picture alliance /Tobias Hase/dpa
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Meinungsfreiheit
 

Verlernt zu erzählen

„Eine Zensur findet nicht statt“, so heißt es im Artikel 5 des Grundgesetzes. Doch Nicht-Linke können ein Lied davon singen, wie es um die freie Meinungsäußerung bestellt ist. Was kann getan werden? Ein Kommentar von Dushan Wegner.
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„Eine Zensur findet nicht statt“, so heißt es im Artikel 5 des Grundgesetzes, und es reizt mich dieser Tage, jene schillernde Verneinung der Zensur sarkastisch zu ergänzen: „Eine Zensur findet nicht statt – wir nennen sie nämlich anders!“ Regierungen und Social-Media-Konzerne werden sich gegen den Vorwurf verwahren, sie betrieben „Zensur“, das täten nur „die Bösen“, und sie seien doch „die Guten“ – man verbiegt Begriffe und Zuständigkeiten, um die Zensur nicht „Zensur“ zu nennen.

Wer Meinungen verbieten will, ohne es Zensur zu nennen, der könnte etwa den Begriff des Verbietens zurechtbiegen. In Deutschland wurde die Entscheidung über die Löschung verbotener Inhalte an private Firmen ausgelagert. Social-Media-Plattformen erhalten Hilfe von „Faktenfindern“ mit spannenden Geldquellen.

Man fühlt sich ans Denken der DDR erinnert, wo das Wort Zensur früh zensiert wurde, die Zensur aber durch ineinandergreifende Taktiken wie etwa „Papierknappheit“ bei Mißliebigen und Förderung der Angepaßten betrieben wurde. Während man erreicht, was Zensur erreichen soll, nämlich das Ausblenden machtstörender Äußerungen (meist) ohne Gerichtsverfahren, streitet man den Zensurvorwurf ab, denn wie der Mafiaboß, der den Mord nicht wörtlich anordnete, hat der Staat nicht wörtlich gesagt: „Diese Meinung ist verboten!“

Zweifel wird zur Nicht-Meinung

Wo man die Meinungsäußerung eben doch direkt und präventiv verbieten will, da manipuliert man heute den Begriff der „Meinung“. Störende Meinungen können mit dem Propagandawort „Haß“ belegt und so zur Nicht-Meinung erklärt werden. „Haß ist keine Meinung“, heißt es, und die Äußerung der Meinung wird damit aus dem Schutz als Grundrecht herausgenommen. Wo störend auf logische oder faktische Fehler im öffentlichen Handeln hingewiesen wird, etwa bei den US-Wahlen oder Covid-19, da legt man eine offizielle Wahrheit fest, nennt jeden Zweifel daran eine Lüge und erklärt den Zweifel damit zur Nicht-Meinung. Etwas aber zu verbieten, was gar keine Meinung ist, das sei doch keine Zensur!

Ich debattiere nicht mehr die Frage, ob Zensur eben Zensur ist, wenn sie ihr Ziel hinterrücks erreicht oder ihren Gegenstand umdefiniert. Ich debattiere nicht mehr die Frage, ob Zensur stattfindet – ich frage mich vielmehr, wie ich als nicht-linker Essayist heute (mit) Zensur umgehe.

Ich klinge geradezu marxistisch, wenn ich nicht-linken Publizisten schon seit Jahren empfehle, ihre Produktionsmittel in die eigene Hand zu nehmen und ihre Texte mindestens begleitend auf einem selbst-gehosteten Blog zu veröffentlichen, sich untereinander zu vernetzen und mit ihren Lesern direkt zu kommunizieren.

Das Erzählen von Geschichten verbreitet Ideen

So muß sich der Autor „nur“ an die „harten“ Gesetze halten, was in Deutschland ja (noch) sinnvoll möglich ist. Es ist ein Ratschlag, den ich auch weiterhin gebe, doch es ist nur eine technische Zwischenlösung, ein Hinauszögern des Absehbaren. Ich würde es für einen Fehler halten, der Zensur nur mit medientechnischen Lösungen zu begegnen (selbst wenn Anwälte dazukommen, welche für viel Geld die technischen Lösungen eine Zeitlang verteidigen).

Ich denke in diesen Tagen immer wieder an das Bonmot von Karl Kraus, wonach Satiren, die der Zensor versteht, mit Recht verboten würden – in diesem süffisanten Spruch ist kluger Rat enthalten! Jene, die sich heute „Linke“ und „Gute“ nennen, haben uns Nicht-Linken oft etwas Nicht-Technisches voraus, das wir schon mal belächeln und dann ignorieren könnten, weil es uns so „ätherisch“ klingt – sie nennen es das „Narrativ“.

Seit es Menschen gibt, haben diese einander Geschichten erzählt, ob die kleinen Geschichten des Alltags oder die ganz große eigene Geschichte (in beiderlei Sinnen des Wortes). Das Erzählen von Geschichten verbreitet Ideen weit wirksamer als Argumente und korrigierende Anmerkungen es können – und es kann ein Weg an der Zensur vorbei sein (wenn auch kein sicherer, man denke an die „Druckgenehmigungsverfahren“ der DDR – doch selbst an denen ließen sich Geschichten vorbeimogeln).

Wir müssen lernen, Geschichten zu erzählen

Vom „Marsch durch die Institutionen“ der 1968er über die Fotos kulleräugiger Flüchtlingskinder bis zur Greta-Hysterie: Die Linke weiß starke Geschichten zu erzählen. 2015 haben Nicht-Linke auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Offenhaltens der Grenzen hingewiesen – Linke und regierungsnahe Journalisten fluteten derweil die Debatte mit herzzerreißenden Geschichten. Selbst wenn Geschichten als Lügen enttarnt werden, siehe Relotius-Skandal, wirken sie weiter: Das linke Narrativ wird entlarvt, die politische Auswirkung bleibt.

Wo waren die starken Narrative der Nicht-Linken bezüglich der Folgen und tatsächlichen Geschehnisse um 2015? Wo sind unsere stark erzählten Geschichten zu den Folgen des Lockdowns?

Die Kunst des Geschichtenerzählers ist nicht nur eine wichtige Technik, um überhaupt gehört zu werden, gutes Erzählen ist seit Jahrtausenden die zuverlässigste Art, so zu schreiben, daß der Zensor es nicht versteht. Mit Geschichten hat Äsop die Zensur seiner Zeit umgangen, mit der Kraft von Geschichten wurden Sekten zu Weltreligionen. Wir werden wieder lernen müssen, Geschichten zu erzählen, die das Herz versteht, der Zensor aber gar nicht mitbekommt.

Eine Zensur findet nicht statt, so heißt es, und wenn wir so gut zu erzählen lernen, daß der Zensor es nicht versteht, dann stimmt es auch (manchmal).

JF 53/20 – 1/21

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