Am 70. Gründungstag der DDR, den 7. Oktober, haben die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), und ihr Thüringer Kollege Bodo Ramelow (Linkspartei) kundgetan, daß sie den Begriff „Unrechtsstaat“ für die DDR ablehnen. Das hat scharfe Kritik ausgelöst, was in der antifaschistisch und links-rot-grün konditionierten Bundesrepublik längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist.
Dabei wird übersehen, daß beide Politiker ganz unterschiedlich argumentieren. Schwesig begründet ihren Widerspruch ausschließlich auf der sprachlich-formalen Ebene, während sie in der Sache eindeutig bleibt, indem sie sagt: „Die DDR war eine Diktatur. Es fehlte alles, was eine Demokratie ausmacht: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen, das Recht auf Opposition.“
Sie bestreitet überhaupt nicht den Unrechtscharakter der DDR, denn die „Diktatur“ schließt das „Unrecht“ ein. Es geht ihr ausschließlich um den Begriff, der „von vielen Menschen, die in der DDR gelebt haben, als herabsetzend empfunden“ würde. Er wird im Osten wahrgenommen als kommunikative Überwältigung durch den Westen und verstärkt das Gefühl, der Fremdbestimmung und Fremdzuschreibung und in der Konsequenz einer Abwertung ausgesetzt zu sein.
Schwesigs Intervention ist diskutabel
Im Kontext des deutsch-deutschen Machtgefälles impliziert der „Unrechtsstaat“ den Vorwurf, im falschen deutschen Staat gelebt und das falsche Leben geführt zu haben, gemäß dem verbreiteten Diktum, daß ein richtiges Leben im falschen gar nicht möglich sei.
In dem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß beide deutsche Staaten in ihren historischen Ursprüngen gleichermaßen legitim (beziehungsweise illegitim) waren. Die BRD und die DDR waren Ergebnisse der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und Gründungen ihrer jeweiligen Siegermächte, welche ihre politisch-rechtliche Ausformung und Ausrichtung bestimmten.
Der Unterschied liegt anderswo: In der Bundesrepublik wurde die Legitimation durch das Staatsvolk nachgereicht durch die sukzessive Akzeptanz der staatlichen Institutionen und der freiwilligen Teilnahme an staatlichen Prozeduren wie den Wahlen. In der DDR hat es eine vergleichbare Legitimierung nie gegeben; 1989 wurde der Staat durch die Bevölkerung delegitimiert.
Schwesigs Intervention ist immerhin diskutabel. Ganz anders der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, der seinen Einwand so begründet: „Die DDR war eindeutig kein Rechtsstaat. Der Begriff ‘Unrechtsstaat’ aber ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-Herrschaft und dem mutigen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seiner Verwendung des Rechtsbegriffs ‘Unrechtsstaat’ in den Auschwitz-Prozessen verbunden.“
Banalisierung der Maueropfer
Das ist beinharte Antifa-Logik: Was damals antifaschistisches Recht war, kann heute kein totalitäres Unrecht sein. Eine scheinbare Rechtfertigung finden Ramelow und Genossen in einem Bonmot des Freiburger Historikers Ulrich Herbert, das auch vom stets zu Späßen aufgelegten Gregor Gysi stammen könnte: „Die eine Diktatur produzierte Leichenberge, die andere Aktenberge.“
Das ist eine Banalisierung der Maueropfer und der zerstörten Leben, die sich mit Namen wie Bautzen, Hoheneck oder dem Militärgefängnis Schwedt verbinden. Banalisiert und ignoriert werden auch die historischen Voraussetzungen der DDR. In ihr von der sowjetischen Siegermacht übernommene Staatsfundament waren bereits zehntausende Leichen eingelassen.
Die Sowjets errichteten ab 1945 in ihrer Zone zahlreiche sogenannte Speziallager, für die sie auch ehemalige Konzentrationslager der Nazis nutzten, so das in Ramelows Thüringen gelegene Lager Buchenwald. Dort wurden keineswegs nur NS-Täter interniert, sondern auch bürgerliche Gegner der Kommunisten und Sozialdemokraten, die sich dem Zusammenschluß ihrer Partei mit der KPD widersetzten, sowie „objektive Gegner“, die ganz einfach das Pech hatten, sogenannten Ausbeuterklassen anzugehören.
Der Hauptzweck der Lager bestand darin, Systemgegner auszuschalten und Furcht zu verbreiten. Die Zahl der Internierten schwankt zwischen 120.000 bis 180.000, mehr als 40.000 starben, davon die meisten an Hunger und Seuchen. Allein das Speziallager Buchenwald verzeichnete 7.000 Toten.
DDR-Führung verzichtete nicht aus Überzeugung auf Terror
Als die Sowjetunion 1950 die Gefangenen an die DDR übergab, wurden die Bedingungen keineswegs besser. Der Schriftsteller Walter Kempowski zum Beispiel, den 1948 ein sowjetisches Militärtribunal gerade achtzehnjährig zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, wurde erst 1956 entlassen. Unter der SED war das Thema tabu.
Überhaupt kann die DDR nur im Kontext des sowjetischen Imperiums angemessen beurteilt werden. Die kommunistischen Führer, die 1945 aus dem sowjetischen Exil in die Ostzone zurückkehrten, um den Sozialismus nach Deutschland zu tragen, wußten aus eigener Anschauung, daß das stalinistische System ein mörderisches war. Trotzdem betätigten sie sich als seine Satrapen.
Es war nicht ihr Verdienst, nur ihr Glück, daß Stalin aus taktischen Gründen einen Großen Terror wie in den dreißiger Jahren für inopportun hielt, und die Schauprozesse, die in den anderen kommunistischen Satellitenländern stattfanden, in der DDR stornierte. Es gibt keinen überzeugenden Grund anzunehmen, daß die SED-Kommunisten sich damals einer von Stalin befohlenen Steigerung des Terrors verweigert hätten.
Leuten wie Ramelow, die das entweder ignorieren oder als halb so schlimm abtun, ist nicht über den Weg zu trauen.