Der Terroranschlag von Halle erschüttert Deutschland. Ein offenkundig durchgeknallter Fanatiker, den nur die massive Eingangstür daran hindert, am höchsten jüdischen Feiertag ein Blutbad in einer Synagoge anzurichten, der im Mordrausch anschließend wahllos auf Zufallsopfer schießt, zwei Menschen tötet und weitere schwer verletzt: Kein rechtlich denkender und sittlich empfindender Mensch, der diese abscheuliche Tat nicht aus tiefstem Herzen verurteilt, mit den Betroffenen trauert, den Überlebenden rasche und vollständige Gesundung wünscht und sich solidarisch an die Seite seiner jüdischen Mitbürger stellt.
Es war richtig und notwendig, daß Bundeskanzlerin, Bundespräsident und Ministerpräsident sich entweder umgehend an den Ort des Verbrechens begeben oder anderweitig den verstörten und eingeschüchterten Bürgern ein Signal der Verbundenheit gegeben haben.
Und dennoch bleibt ein fader Nachgeschmack. Denn an anderen Terrororten, angefangen mit dem Schauplatz des Weihnachtsmarktanschlags am Berliner Breitscheidplatz, hat man die politischen Spitzen des Landes und namentlich die Kanzlerin eben so kurz nach der Tat nicht gesehen, und andere Attentatsopfer und Terrorüberlebende haben weder einen Händedruck der Kanzlerin noch auch nur ein Wort der Anteilnahme aus den Führungsetagen der Republik erhalten.
Einseitige Verengung des Blickfelds
Den Vorwurf der Scheinheiligkeit kann man deren Vertretern, die jetzt so prompt nach Halle eilen, nicht ersparen. Nicht einem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der in diesem Fall Flagge zeigt, aber an anderen Tagen das israelhassende Regime in Teheran und dessen Vertreter hofiert. Und auch nicht all jenen, die wie die Kanzlerin Betroffenheit, Empörung und Anteilnahme offenkundig nur dann zum Ausdruck bringen können und wollen, wenn die Täter ins Raster passen und die Kriterien „Deutscher“ und „rechtsextrem“ erfüllen.
Es gibt rechtsextremen Antisemitismus und rechtsextreme Gewalt in Deutschland. Das auszublenden wäre ebenso unredlich und gefährlich wie die einseitige Verengung des Blickfelds auf diesen Teil des Problems. Denn es gibt eben auch linksextremen und islamischen Terror und Antisemitismus in Deutschland, und die Bedrohung wird oft genug als Alltagsphänomen hingenommen und heruntergespielt. Es ist erst wenige Tage her, daß ein Syrer in Hessen versucht hat, ein Lkw-Massaker zu verüben; daß zudem ein weiterer mit einem Messer bewaffneter Syrer versucht hat, in eine Synagoge in Berlin einzudringen, und nach seiner Verhaftung zeitweise wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.
Wer rechtsextremen Antisemitismus in den höchsten Akkorden anprangert, aber die anti-israelische Pogromstimmung auf den alljährlichen „Al-Quds-Demos“, judenfeindliche Parolen brüllende Arabermobs und als „Antizionismus“ getarnten linken Judenhaß achselzuckend übergeht und kleinredet, sich nicht einmal zum Verbot der Terrororganisation Hisbollah in Deutschland durchringen kann und antisemitische Propaganda und Organisationen im Nahen Osten mit deutschen Steuer- und Stiftungsgeldern füttert, dem gerät das vielbeschworene „Nie wieder!“ zur hohlen Phrase und zur Zweckdemagogie.
Parteitaktische Diffamierung
Erst recht, wenn führende Repräsentanten von Union, SPD, Grünen und Linken in Bund und Ländern das tun, was sie sonst bei jeder Gelegenheit der AfD unterstellen, und die Horror-Tat von Halle für billigste parteitaktische Diffamierung ausschlachten. Die beflissenen Rauner, die der AfD pauschal „Mitschuld“ unterstellen, wissen wohl, daß ihre Denunziation infam und ohne jede sachliche Begründung ist, und tun es trotzdem nach dem Prinzip, irgendwas werde schon hängenbleiben. Mit „unanständig“ ist diese Taktik, um des kleinkarierten vermeintlichen Vorteils willen in den geistigen Bürgerkrieg zu ziehen, noch zurückhaltend umschrieben.
Judenhaß und extremistische Gewalt bekämpft man nicht mit pauschaler und willkürlicher Vogelfreierklärung des politischen Gegners. Die wirksame Auseinandersetzung beginnt damit, daß jeglicher Terrorismus und jede Ausprägung extremistischer Gewalt klar beim Namen genannt wird.
Die Aufforderung, Scheuklappen und einseitige Fixierungen abzulegen und der Versuchung zu widerstehen, nicht opportun erscheinende Fakten wohlfeil auszublenden, richtet sich dabei durchaus an alle Seiten. Phrasengebäude à la „Antisemitismus darf keinen Platz haben“ und der reflexhafte Ruf nach noch mehr staatlicher und halbstaatlicher Volkspädagogik helfen jedenfalls nicht weiter.