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Bildungssystem: Sechs, setzen!

Bildungssystem: Sechs, setzen!

Bildungssystem: Sechs, setzen!

Schulklasse
Schulklasse
Grundschulklasse in Sachsen Foto: picture alliance/ dpa
Bildungssystem
 

Sechs, setzen!

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung sorgt unter Bildungspolitikern fürn Aufregung. Der Bedarf an Schulplätzen wurde – auch wegen der Einwanderungskrise – deutlich unterschätzt. Der Lehrermangel verdeutlicht das Versagen in den Kultusministerien. Ein Kommentar von Josef Kraus.
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Es ist jedes Jahr das gleiche Problem: Die Personalversorgung unserer Schulen paßt – bei Unterschieden je nach Bundesland, Schulform und Unterrichtsfächern – mal hier nicht und mal dort nicht. Warum? Weil sich die 16 deutschen Länder in den vergangenen Jahren trickreich über die Runden gerettet haben.

Die in manchen Bundesländern exekutierte Verlängerung der Unterrichtsverpflichtung von Lehrern um eine Unterrichtsstunde pro Woche, die Erhöhung der durchschnittlichen De-facto-Klassenstärke um einen Schüler sowie die Kürzung der Wochenstundenzahl je Klasse um eine Unterrichtsstunde hat jeweils drei bis vier Prozent des Lehrerbedarfs retuschiert.

Schweinezyklus trat ein

Durch diese drei Maßnahmen wurde in mehreren deutschen Ländern in der Summe ein Lehrerbedarf von zehn Prozent verschleiert bzw. vernichtet. Gerne hat man sich auch mit befristeten Lehrerverträgen und mit – kaum angenommenen – Programmen für Quereinsteiger über die Runden gerettet.
Zudem haben die Kultusminister es versäumt, deutlich zu machen, in welchen ihrer Länder, in welchen Lehrämtern und in welchen Fächern Bedarf bzw. wo es ein Überangebot an Bewerbern gibt. Man hat sich eher damit begnügt, pauschal vor dem Lehrerberuf zu warnen oder pauschal dafür zu werben. Die Folge war, daß das in der Volkswirtschaft bekannte Phänomen des Schweinezyklus eintrat.

Es kommt hinzu, daß seit der Übergabe der Besoldungskompetenzen vom Bund an die Länder manche meinten, im Schulbereich sparen zu können. Die Folge war, daß etwa Berlin oder Sachsen-Anhalt zu wenige Bewerber bekamen. Bayern aber hat – außer in den Fächern Mathematik, Physik, Informatik – eigentlich immer genügend Bewerber und kann in anderen Fächern sogar „exportieren“. Eigentlich ja ein sinnvolles Marktgeschehen.

Nun also hat die Bertelsmann-Stiftung auch dieses Thema aufgegriffen und vorgerechnet, daß deutschlandweit bis 2025 rund 24.000 Lehrer an Grundschulen und bis 2030 rund 27.000 Lehrer für die Jahrgangsstufen 5 bis 10 fehlen werden. Für solche Berechnungen braucht man weder eine Stiftung noch einen Taschenrechner. Denn das Problem mit dem Lehrernachwuchs ist seit Jahrzehnten bekannt.

Lehrermangel ist kein Schicksalsschlag

Daß keine Abhilfe gegen den immer wieder auftretenden Lehrermangel geschaffen wurde, ist nicht der Bertelsmann-Stiftung anzukreiden, die sich diesem Thema jetzt erstmals widmet. Nein, schuld an einer unzulänglichen Personalplanung sind die meisten Schulminister, die so tun, als komme ein Lehrermangel plötzlich wie ein Schicksalsschlag daher.

Die Minister haben es nämlich nicht geschafft, ihre Personalpolitik langfristig zu planen; über den Tellerrand einer vier- oder fünfjährigen Legislaturperiode haben sie kaum geblickt. Dabei wäre es doch ziemlich einfach: Fünf Prämissen bestimmen den Lehrerbedarf. Auf deren Basis könnte man eine solide Lehrerbedarfsprognose erstellen – sogar differenziert nach Bundesländern, Lehrämtern und Unterrichtsfächern.

Die erste Prämisse ist die Altersstruktur der aktiven Lehrerschaft. Diese ist jedem Schulminister für sein Land nach Schulformen und Unterrichtsfächern sehr exakt bekannt. Also kennt er auch den Ersatzbedarf. Die zweite Bedingung für den Lehrerbedarf sind die Schülerzahlen. Auch sie sind auf längere Sicht abschätzbar. Die Gymnasiasten, Realschüler, Hauptschüler und Gesamtschüler des Jahres 2027/2028 etwa sind heute schon geboren. Die Schüler des Jahres 2033/34, die dann eine berufliche Schule besuchen werden, sind ebenfalls schon geboren.

Die Kultusminister sind am Zug

Weitere drei Prämissen des Lehrerbedarfes sind politisch relativ gut prognostizierbar, weil es politische Setzungen sind. Denn es ist die Politik, die entscheidet, wie hoch die wöchentlichen Pflichtstunden-Maße der Lehrer sein sollen, wie viele Unterrichtsstunden pro Woche eine bestimmte Jahrgangsstufe erhalten soll und wie groß die durchschnittliche Klassengröße sein soll. Kein Unternehmen in der freien Wirtschaft, die konjunkturellen Zyklen unterliegt, hat so stabile Planzahlen, wie sie die Kultusministerien haben.

Die Kultusminister sind also längst am Zug. Sie müssen die Sache endlich differenzierter als bislang anpacken, vor allem auch differenzierter als die Bertelsmänner. Dazu gehört unter anderem, daß die zuständigen Stellen sich endlich Klarheit verschaffen, wie viele schulpflichtige Flüchtlinge wir an Deutschlands Schulen haben. Da ist mal von 200.000, mal von 400.000 die Rede. Es muß doch möglich sein, diese Zahlen zu erfassen. Denn für 200.000 dieser Heranwachsenden braucht man etwa 20.000, für 400.000 40.000 Lehrer.

Schluß sollte auch sein mit dem Gerede von der „demographischen Rendite“ eines Schülerrückgangs. Das ist Quatsch, denn erstens kann ein Geburtenrückgang – zumal einer wie in Deutschland – gesamtgesellschaftlich nie eine Rendite abwerfen. Und zweitens bräuchten die Schulen eigentlich eher eine mindestens 105prozentige Lehrerstundenversorgung, damit endlich kein Unterricht mehr ausfallen muß und damit vor Ort Förderkurse für besondere bedürftige Schüler – schwache und Spitzenschüler – eingerichtet werden können. Das wäre mal eine echte Reform, die angesichts der vielen zurückliegenden Deformationen des Schulwesens den Titel „Reform“ wirklich verdiente.
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Josef Kraus war Direktor an einem süddeutschen Gymnasium und langjähriger Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

Grundschulklasse in Sachsen Foto: picture alliance/ dpa
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