Der Journalist Deniz Yücel ist ein exponierter Vertreter der vom hiesigen Establishment gehätschelten Version des „Hate Speech“, der Haßsprache. Mit seiner tadellosen, auf den Prinzipien rotgrüner Rechtschaffenheit fußenden Allerweltsdeutschenverachtung hat sich der intellektuell eher schmalschultrige, aber hart an seiner rhetorischen Muskulatur arbeitende Deutsch-Türke von der altmodischen Berliner taz-WG in die trendige Selbsthilfegruppe für betreutes Schreiben bei der Welt emporgeschuftet. Im kippenden Ökosystem der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit versucht Yücel, die gewaltige Lücke zu schließen, die der schmerzlich vermißte Maxim Biller hinterließ, dem in den späten 1990ern die Puste für die regelmäßige Teilnahme an den helldeutschen Haßmeisterschaften ausging.
Yücel indes belegte 2012 und 2013 trotz erdrückender Konkurrenz vordere Plätze in den Kategorien Sarrazin- und Papstbeschimpfung. 2011 hatte er bei „Deutschland sucht den Superhater“ die Endrunde erreicht, indem er in der taz frohlockte: „Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaftlich (so mit Zahlen und Daten) und amtlich (so mit Stempel und Siegel) erwiesen: Deutschland schafft sich ab!“ – „Woran Sir Arthur Harris, Henry Morgenthau und Ilja Ehrenburg gescheitert sind, (…) übernehmen die Deutschen nun also selbst.“ – „Der baldige Abgang der Deutschen ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.“ – „Nun, da das Ende Deutschlands ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald in der Mitte Europas entstehen wird: Zwischen Polen und Frankreich aufteilen? (…) Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen Bedürftigen schenken? (…) Egal. Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.“
„Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal“
Das klingt wie Volksverhetzung, ist aber keine, sondern Satire. Außerdem kann man, wie die Staatsanwaltschaft Hamburg soeben bestätigte, eine „Köterrasse“ überhaupt nicht verhetzen, nicht einmal beleidigen, gerade als Deutsch-Türke nicht – zumindest solange sie die Bevölkerungsmehrheit stellt. Und danach, seien wir ehrlich, ist es doch völlig unnötig! Hätte Yücel etwas Ähnliches über die Türken geschrieben, wäre wahrscheinlich sogar in Deutschland ein Staatsanwalt tätig geworden. Aber hätte, hätte, Dönerkette …
Derzeit sitzt unser Pißdeutscher – Pardon, kleiner Yücel-Scherz – unser Paßdeutscher in einem türkischen Gefängnis und murmelt fünfmal am Tag „Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal“ vor sich hin. Er wurde inhaftiert, weil er kritisch über Erdoğans Umwandlung des Landes in ein Sultanat berichtet hat. Nicht ganz so kritisch wie über Thilo Sarrazins Versuch, Deutschlands Selbstabschaffung ohne eine Spur von Begeisterung zu thematisieren, aber Sarrazin ist ja auch ein schlimmer Finger und der stolze Türke Erdoğan viel leichter reizbar als ein exkommunizierter deutscher Sozifunktionär.
Unappetitlich, doch feige offenbar nicht
Immerhin: Obschon in seiner Aversion gegen Deutschland so etwas wie ein Ehrenmitglied der AKP, stellte sich Yücel gegen Erdoğans Janitscharenpolitik und wurde deshalb eingelocht. Angeblich, weil er sich mit Vertretern des – aus staatstürkischer Sicht – „Feindes“ getroffen hat, der PKK. Außerdem wirft man ihm Verbindungen zu einer linksextremen türkischen Hackergruppe vor. Der Mann mag unappetitlich sein, feige ist er offenbar nicht.
Im Fall Deniz Yücel zeigt sich die Problematik der doppelten Staatsbürgerschaft. Eingesperrt wurde er als türkischer Staatsbürger. Da er den deutschen Paß besitzt, auch wenn der bei ihm daheim womöglich die meiste Zeit im Giftschrank liegt, müssen die deutschen Behörden gegen die Verhaftung protestieren, solange kein triftiger Grund für sie vorliegt. Doch auch als türkischer Staatsbürger wäre Yücel, gälte Recht, so lange unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist.
Um das zu entscheiden, sind die Gerichte da. Allerdings ist von türkischen Gerichten unter dem lupenreinen Autokraten Erdoğan keine unpolitische Rechtsprechung mehr zu erwarten. Insofern wären die Proteste deutscher Offizieller gegen Yücels Inhaftierung auch dann vollkommen angebracht, wenn er keinen deutschen Paß besäße.
Freiheit des Wortes ist unteilbar
Vollkommen unangebracht ist wiederum die aktuelle Häme von rechts gegen den Journalisten, die darauf hinausläuft, seinen derzeitigen Aufenthaltsort als angemessen, als eine Art längst fällige Lektion zu empfinden. Wer so etwas vorträgt, verschafft indirekt auch dem „Kampf gegen Rechts“ eine gewisse Legitimation, denn auch der lebt von der unzivilisierten Grundannahme, es gebe strafwürdige Meinungen.
Die Freiheit des Wortes ist unteilbar. Das Recht gilt auch für unappetitliche Zeitgenossen. Es gilt auch für Deutschlandhasser. „Hetze“ und „Haß“ sind keineswegs per se Straftatbestände, sondern erst, wenn sie Persönlichkeitsrechte berühren. Nicht Yücel gefährdet die Meinungsfreiheit in Deutschland, sondern Heiko Maas, Manuela Schwesig und all die anderen Zeloten des Maulkorbzwangs tun dies.
Was wäre bei Akif Pirinçcis Verhaftung?
Was uns zu jener frommen Schar zivilgesellschaftlich engagierter Landeskinder führt, die sich derzeit vehement für die Freilassung Deniz Yücels einsetzen. Man stelle sich vor, Akif Pirinçci wäre in der Türkei wegen Hetze gegen den Islam und das Türkentum eingesperrt worden – ob all diese Guten und Gerechten dann auch eifrig seine Freiheit forderten? Würden sie nicht vielmehr sagen: Das hat er nun davon …? Und sich heimlich freuen, daß die Nervensäge endlich mundtot gemacht wurde?
Das ändert nichts daran, daß unsere Guten mit ihrer Solidarität für Yücel richtigliegen. Nur dieses „Je suis Deniz“ geht wohl doch zu weit. Der Zivilisierte soll ohne Wenn und Aber für die Meinungsfreiheit plädieren, aber er muß sich nicht gleich mit ihren Exkrementen einreiben.
JF 11/17