Die SPD hat es nicht leicht. Eben noch hieß es: Sorgt für Minderheiten in Spitzenpositionen, Frauen, Schwule, Transen, fördert die Emanzipation und schafft das urbane, aufgeklärte, autonome Individuum, den neuen Menschen des 21. Jahrhunderts! Und jetzt steht wieder der schuftende kleine Mann im Mittelpunkt. Der Würseler von gegenüber, die Familie, in der Vater und Mutter ihren Nachwuchs anständig großziehen wollen (und sollen). Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Wer kennt sich da noch aus?
Was sich sagen läßt: Manchen Auswüchsen geht es an den Kragen. Immer ein Zeichen, daß allmählich Schluß ist mit lustig. Man könnte daher auch der Ansicht sein, die Juristin und frühere hessische SPD-Ministerin Christine Hohmann-Dennhardt verliere ihren Posten als Vorstand „Integrität und Recht“ bei der Volkswagen AG gerade zur rechten Zeit. Wenn da nicht die dumme Geschichte mit der Abfindung wäre. Für ihre 13 Wolfsburger Monate zahlt VW ihr nämlich „on top“ 12 bis 15 Millionen Euro. Ob so viel Geld gerechtfertigt ist?
Karrieresprünge mit dem Zeitgeist im Rücken
Hohmann-Dennhardt ist der Beweis dafür, wie prächtig es sich mit dem Zeitgeist im Rücken durchs Leben segeln läßt. Das Ressort „Integrität und Recht“ war ursprünglich 2011 bei Daimler eigens auf Druck aus den USA hin eingerichtet worden. Nach Bestechungsvorwürfen der US-Börsenaufsicht galt „Compliance“ – Gesetzestreue – als höchstes Gebot.
Böse Zungen behaupten seither, Hauptzweck der Übung sei, die Beweglichkeit der europäischen Konkurrenz auf den internationalen Märkten zu beschneiden. Im Herbst 2015, als in den USA der Abgas-Skandal aufgeflogen war, kam dann auch Volkswagen an die Reihe. Integrität und Recht genossen endgültig Oberwasser. Es war ein Entgegenkommen der Stuttgarter, daß Hohmann-Dennhardt ihren Vertrag vorzeitig beenden konnte und nach Wolfsburg ging.
Die Autobauer schlugen bei der Gelegenheit zwei Fliegen mit einer Klappe. Nicht nur in Sachen „Compliance“, auch beim Anteil weiblicher Vorstände wurden Punkte gemacht. Pech nur, daß der niedersächsische SPD-Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Olaf Lies Ende 2015, als der Anstellungsvertrag mit Hohmann-Dennhardt ausgearbeitet wurde, nichts von der „populistischen Wende“ des heutigen Kanzlerkandidaten Martin Schulz wußte.
Glaubwürdigkeitsproblem der SPD
Woher auch? Sonst hätte er vielleicht gezögert, die großzügige Abfindungsvereinbarung für Hohmann-Dennhardt durchzuwinken. Jetzt kann Schulz, während er gegen überzogene Vorstandsbezüge und soziale Ungleichheit wettert, für die Würseler Doppelverdiener eintritt und ihr Recht auf ein anständiges Netto, zusehen, wie seiner Parteifreundin die Millionen überwiesen werden.
Der Vorgang veranschaulicht die Bredouille, in der beide Ex-Volksparteien stecken. Plötzlich bemerkt man erstaunt: Die Zielgruppe „potentielle weibliche Aufsichtsräte“ reicht von der Größe her für Wahlsiege gar nicht hin. Und dasselbe gilt für alle anderen Minderheiten. Was hinzukommt: Die Mehrheit, das Stimmvieh, fühlt sich irgendwann verarscht. Dieser Zustand ist längst eingetreten. Ob die Wähler der alten Mutter SPD je wieder abnehmen, daß ihr die Aldi-Kassiererin näher am Herzen liegt als die emanzipierte Frau Professor? Christine Hohmann-Dennhardt ist ihrer Partei da jedenfalls keine Hilfe.