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Meinung: Die Geopolitik der Islamisten

Meinung: Die Geopolitik der Islamisten

Meinung: Die Geopolitik der Islamisten

Palästinenserin mit Messer und Koran
Palästinenserin mit Messer und Koran
Palästinenserin mit Messer und Koran: Die Ambivalenz einer Religion Foto: picture alliance/landov
Meinung
 

Die Geopolitik der Islamisten

Man könne den Islam nicht mit radikalen Islamisten gleichsetzen, heißt es nun wieder einmal. Die wahren Muslime würden beten, die anderen schießen. Aber beide rufen Allahu Akbar, die einen in der Moschee, die anderen in der Konzerthalle Bataclan. Die Wahrheit ist: Der Koran rechtfertigt auch Gewalt. Ein Gastbeitrag von Jürgen Liminski.
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Der 13.November 2015 wird in der Geschichte Europas vermerkt werden als der Tag, an dem der Krieg gegen den radikalen Islam offen ausbrach. Mehr als 130 Tote, Angriffe an sieben Orten der heimlichen Hauptstadt Europas – kann eine Kriegserklärung offener sein? Es bedurfte dafür auch nicht der Selbstbezichtigung des Islamischen Staates, schleichend war der Krieg schon lange im Gang.

Denn die radikalen Islamisten (manche reden auch stark vereinfachend von den orthodoxen Islamisten, die Grenzen sind fließend) unterteilen die Welt in drei „Häuser“, die die Geschichte aus ihrer Sicht darstellen. Das „Haus des Friedens“ (dar al salam) ist das Gebiet unter islamischer Herrschaft, das „Haus des Krieges“ (dar al harb), umfaßt die von Nicht-Muslimen beherrschten Räume. Für die übrige Welt gilt die Formel Dar al sulch, das Haus des Waffenstillstandes.

Die Geopolitik des radikalen Islam

Diesem Haus gilt höchstes Interesse. Es ist überall da, wo Muslime leben aber nicht herrschen, in Afrika, in Europa, gerade in Westeuropa, auch in Asien. Dort wird investiert in Moscheen, in Koranschulen, in Publikationen – und in Waffen.

In diesem Haus des Waffenstillstands soll man losschlagen wenn die Zeit reif ist für die Sure 47: „Wenn ihr den Ungläubigen begegnet, schlagt ihnen das Haupt herunter und richtet unter ihnen ein großes Gemetzel an“. Genau das ist am elften September 2001 in Amerika geschehen oder am 7.7. 2005 in London oder am 11.3.2004 in Madrid. Und jetzt am 13. November in Paris. Der Waffenstillstand ist beendet.

Diese „Geopolitik“ des radikalen Islam wird jetzt wieder vernebelt werden von gutmeinenden Politikern, Prälaten und Publizisten. Man dürfe den Islam nicht gleichsetzen mit diesen radikalen Islamisten. Letztere seien nur Terroristen. Die wahren Muslime würden beten, die anderen schießen.

Die Ambivalenz des Korans rechtfertigt viele Denkrichtungen

Aber beide rufen Allahu Akbar, die einen in der Moschee, die anderen in der Konzerthalle Bataclan, als sie wahllos in die Menge der jungen Leute schossen. Beide schöpfen aus den gleichen religiösen Quellen. Es ist die Ambivalenz des Koran, die beide Denkrichtungen rechtfertigt. Die Terroristen des Islamischen Staats zitieren in ihren Videos immer den Koran, das gleiche tat Osama bin Laden.

Es ist an der Zeit, daß islamische Vereinigungen in Europa sich nicht nur von den Gewalttaten der Terroristen distanzieren, sondern auch von den Suren, die zur Gewalt aufrufen. Wenn sie wirklich glaubwürdig sein wollen, dann reicht es nicht, sich als Opfer der Gewalt ihrer Glaubensbrüder zu sehen.

Sie müssen auch die Wurzel ihres Glaubens von der Gewalt befreien und das heißt eben, den Koran nicht mehr als sakrosanktes, unantastbares Wort Allahs zu begreifen, sondern als interpretierbaren Text mit einem historischen Kontext. Dafür gibt es Ansätze, aber nur in einigen westlichen Ländern. In den islamisch geprägten Staaten des Vorderen und Mittleren Orients ist dieses Denken verboten.

Die Zeit des Waffenstillstands ist vorbei

Die Geopolitik der drei Häuser wird in der Diplomatie offiziell nicht angewandt. Aber man darf vermuten, daß dies nur Taktik ist, jedenfalls für orthodoxe Muslime. Es spielt auch keine Rolle mehr. Die Zeit des Waffenstillstands ist vorbei. Europa muss sich dem Terror und der Ambivalenz des Islam stellen.

Für Frankreich bedeutet das, daß der Krieg auch offen geführt wird. Das haben Präsident und Premier noch am Samstag versprochen. Frankreich befinde sich im Krieg und werde diesen Krieg gewinnen, ließ sich martialisch Premier Manuel Valls vernehmen. Mit ein paar Luftangriffen auf islamistische Stellungen in Syrien ist es allerdings nicht getan. Ebenso wenig mit emotionalen Erklärungen aus Elysee und Matignon.

Die Franzosen erwarten jetzt Taten. Kaum jemand hat Verständnis dafür, daß der erste identifizierte Terrorist vom Geheimdienst als potentieller Gewalttäter geführt wurde. Er gehörte zur Liste „S“, auf der die gefährlicheren Terroristen geführt werden. Man fragt sich: Warum wurde er nicht beschattet? Wie konnte überhaupt eine solche umfassende Operation mit sieben gleichzeitig erfolgten Angriffen organisiert werden ohne daß die Sicherheitsdienste Wind davon bekamen?

Laxe Justiz bestärkt Islamisten

Die Erklärung ist einfach, nicht nur für die Opposition, auch für die Experten der inneren Sicherheit in den Ministerien. Seit den Attentaten auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt im Januar stehen die Sicherheitsdienste in ständiger, höchster Alarmbereitschaft. Premier Valls und sein Innenminister Cazeneuve verlangen ihnen mehr ab als sie leisten können.

Denn zu der physischen Erschöpfung und dem mangelnden Personal kommen zwei Faktoren hinzu, die die Anschläge vom 13. November nur noch zu einer Frage der Zeit machten. Der erste ist die wachsende Zahl an gewaltbereiten Islamisten in Frankreich und Europa. Man schätzt sie in Frankreich derzeit auf rund 50.000. Es ist unmöglich, sie alle lückenlos zu beschatten. Hier rächt sich bitter, daß die Regierung Hollande in den letzten Jahren nicht analog zur wachsenden Terror-Gefahr mehr Geld in die Geheim-und Sicherheitsdienste investiert hat. Ein politischer Fehler mit Spätwirkung.

Hinzu kommt, zweitens, die laxe Justiz. Nicht wenige der von Polizei und Sicherheitsdiensten in Untersuchungshaft oder auch vor Gericht gebrachten Kriminellen und potentiellen Terroristen sind Tage später wieder auf freiem Fuß. Das gilt auch für einen der Attentäter in der Konzerthalle Bataclan. Er war achtmal verurteilt worden, musste aber kein einziges Mal ins Gefängnis.

Hollande steht mit dem Rücken zur Wand

Immer wieder wird einsitzenden Schwerkriminellen Freigang gewährt, den sie dann zur Flucht nutzen. Begründet wird das oft mit der Überfüllung der Gefängnisse. Das stimmt. Aber es stimmt auch, daß die Justizministerin Christine Taubira die Pläne der bürgerlichen Vorgängerregierung zum Bau neuer Gefängnisse sofort gestoppt und ad acta gelegt hat.

Die physische Überforderung und die laxe Justiz haben den Unmut bei den Sicherheitskräften derart gesteigert, daß sie vor zwei Wochen mit zehntausend Beamten und Angestellten vor dem Justizministerium demonstrierten und die politische Opposition wieder einmal den Rücktritt Taubiras forderte.

Sollte sich herausstellen, daß ein weiterer der Attentäter vom 13. November von der Politik des Wohlwollens gegenüber Kriminellen profitierte, dürfte die Ministerin nicht mehr zu halten sein, auch wenn sie als Galeonsfigur der ideologischen Linken einen erheblichen Teil der Wählerschaft für die Sozialisten bindet. Drei Wochen vor den Regionalwahlen, einem landesweiten Test, wäre in der jetzigen Stimmungslage ihre Entlassung eher ein Befreiungsschlag als ein Risiko. Verloren ist die Wahl für die regierenden Sozialisten sowieso.

Die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen wird sinken

Die vielen Solidaritätsbekundungen aus aller Welt und die Drohtöne von Premier Valls können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Regierung Hollande mit dem Rücken zur Wand steht. Die Verhängung des Ausnahmezustands – zum ersten Mal seit dem Algerienkrieg vor mehr als fünfzig Jahren – haben den Hautgout der Hilflosigkeit.

Da hilft es auch nicht, daß man Mitte August einen Anschlag auf ein Rockkonzert vereitelt hatte. Im Gegenteil, man war gewarnt und es stellt sich die Frage, warum es keine Wachen gab bei dem Konzert in Bataclan. Denn solche Orte westlicher Partykultur sind für Islamisten „haram“, unreine Orte, die es zu vernichten gilt.

Noch liegen viele Antworten im Dunkeln, die Ermittlungen vor allem in Belgien, bringen Planung und Verlauf der Anschläge nur tröpfenweise ans Licht. Sicher ist heute schon dies: Frankreich wird keinen einzigen weiteren Flüchtling aufnehmen, egal woher er kommt. Die Bereitschaft war schon vor den Anschlägen minimal. Jetzt ist sie null.

Häuserkampf der dritten Art

Das umso mehr, als der zweite identifizierte Attentäter mit einer Flüchtlingsgruppe aus Syrien nach Frankreich gekommen sein soll. Die Stimmung in der Flüchtlingskrise ist endgültig gekippt. Das dürfte auch für Deutschland gelten, da kann die Bundeskanzlerin noch so freundlich sagen, man habe alles im Griff und Innenminister de Maiziere noch so brav verkünden, es bestehe kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen den Anschlägen und der Flüchtlingskrise.

Auch er weiß, daß mit den Flüchtlingsströmen vermutlich hunderte Islamisten ins Land geschleust wurden. Ehrlicher ist da ein Wort von ihm aus früheren Tagen, als er nach vereitelten Anschlägen verkündete: „Bis jetzt haben wir nur Glück gehabt.“

Die Geopolitik der drei Häuser gilt für Europa nicht mehr. Frankreich und auch Deutschland stehen im Krieg gegen den Islamismus. Der Figaro titelt: „Krieg mitten in Paris“. Die Terroristen sind in der Tat intra muros, innerhalb der Mauern. Hier erwarten die Franzosen Taten, nicht nur in Syrien. Zum Beispiel Razzien in den Banlieus oder Druck auf die islamischen Verbände zu mehr Zusammenarbeit. Es wird ein Häuserkampf der dritten Art.

Palästinenserin mit Messer und Koran: Die Ambivalenz einer Religion Foto: picture alliance/landov
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