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Linksextremismusexperte Karsten D. Hoffmann: „Die militante Linke ist eine Gegenmacht zum Rechtsstaat“

Linksextremismusexperte Karsten D. Hoffmann: „Die militante Linke ist eine Gegenmacht zum Rechtsstaat“

Linksextremismusexperte Karsten D. Hoffmann: „Die militante Linke ist eine Gegenmacht zum Rechtsstaat“

Linksextreme Randale, Karsten D. Hoffmann
Linksextreme Randale, Karsten D. Hoffmann
Ergebnis einer linksextremen Krawallnacht in Berlin, Karsten D. Hoffmann Fotos: dpa / privat / JF-Montage
Linksextremismusexperte Karsten D. Hoffmann
 

„Die militante Linke ist eine Gegenmacht zum Rechtsstaat“

Die Krawalle in Leipzig haben die öffentliche Aufmerksamkeit kurzzeitig auf die linksextreme Szene gelenkt. Doch nur auf große Randale-Events zu schauen, sei der falsche Fokus, meint der Politologe Karsten D. Hoffmann. Der linksextreme Aufstand vollziehe sich nicht gewaltsam, sondern als kontinuierliche Beeinflussung des demokratischen Prozesses. Ein Interview.
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Die mehrere Nächte andauernden Krawalle in Leipzig haben den Fokus der Öffentlichkeit kurzzeitig auf die linksextreme Szene der Stadt gelenkt. Doch Leipzig ist kein Einzelfall und auch in Zukunft wird es zu solchen Straftaten kommen, meint der Politikwissenschaftler Karsten D. Hoffmann im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT. Er hat viele Jahre über die linksextreme Szene geforscht. Nun hört er auf. Wir haben nachgefragt, warum.

Herr Hoffmann, hat sich das Linksextremismus-Problem in Deutschland erledigt?

Karsten D. Hoffmann: Es wird immer Menschen geben, die sich zu politischen Zwecken über Recht und Gesetz hinwegsetzen. Und das wird immer ein Problem sein.

Warum hören Sie dann auf, darüber zu forschen?

Hoffmann: Man tut sich selbst keinen Gefallen damit. Sie können eigentlich keine sachliche öffentliche Diskussion führen, weil das Thema derart emotional aufgeladen ist. Sie müssen mit Drohungen und Beschimpfungen rechnen. Das passiert Leuten, die sich mit anderen militanten oder extremistischen Strömungen befassen, natürlich genauso. Der Unterschied liegt darin, daß diese Kollegen gesellschaftlichen Rückhalt erfahren.

Aber es gibt nur wenige Sozialwissenschaftler, mit denen man sich über linke Militanz austauschen könnte. Es gibt kaum Literatur, auf die man aufbauen könnte. Es gibt sehr wenige bezahlte Jobs. Es gibt nur sehr wenige Institutionen, die sich mit linker Militanz befassen. Das gesellschaftliche Engagement ist insgesamt dürftig. Sie finden zwar in jedem Ortsvorstand von Grünen und SPD zwei oder drei Leute, die sich in irgendeinen „Antifa“-Arbeitskreis einbringen, aber mit linker Militanz befaßt sich kaum jemand.

Ist das auch der Grund dafür, daß nach den aktuellen linksextremen Ausschreitung in Leipzig eine deutschlandweite Empörung ausbleibt?

Hoffmann: Es gibt ja einige kritische Berichte darüber, aber sie bleiben folgenlos, weil so etwas eben nur kurz thematisiert wird. Die Kontinuität fehlt. In Leipzig geht es ja nicht allein um die Ausschreitungen vom vergangenen Wochenende. Hier hat sich in den vergangenen Jahren eine der aktivsten und aggressivsten linken Szenen Deutschlands herausgebildet. Da hätte man doch ein größeres Engagement der Politik, aber auch der Universitäten, erwartet.

„Forschung kratzt bisher nur etwas an der Oberfläche“

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über militante Linke, die meisten Forscher an den Universitäten hätten versagt – ein harter Vorwurf. Wie kommen Sie zu dem Urteil?

Hoffmann: Es geht nicht um die Wenigen, die sich mit linker Militanz befassen. Ich denke, daß dieses Thema an den Universitäten sehr viel größere Beachtung finden müßte, weil durch die militanten Aktionen erheblich Einfluß auf den demokratischen Prozeß genommen wird. Aber bisher hat die Forschung nur etwas an der Oberfläche gekratzt. Arbeiten, die sich mit konkreten militanten Gruppen auseinandersetzen, gibt es kaum. Ich könnte aber auch niemandem guten Gewissens empfehlen, sich auf dieses Themenfeld zu spezialisieren. Wer sich mit linker Gewalt befaßt, dem wird schnell unterstellt, er wolle damit rechte Gewalt verharmlosen.

Das ist natürlich Unsinn, aber für jemanden, der eine akademische Laufbahn einschlagen möchten, kann das schnell zum Problem werden. Es ist zudem sehr viel schwieriger und aufwändiger, dieses Thema zu bearbeiten statt andere, weil die Akteure kein Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Und es reicht nicht, sich in eine Bibliothek zu setzen und Quellen auszuwerten. Man muß in die Szeneviertel gehen und dort über Monate und Jahre Daten zusammentragen.

Sie haben viele Jahre die linksradikale Szene in Hamburg, eine der Hochburgen in Deutschland, beobachtet. Was ist Ihnen hinsichtlich Aufbau, Arbeit und Kommunikation aufgefallen?

Hoffmann: Wenn eine so große Szene in einem überschaubaren Gebiet entsteht, dann werden schnell die ideologischen Differenzen sichtbar. Da wird intern sehr viel gestritten bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen gerade mit sogenannten Antiimperialisten. Außenstehende vermuten oft einen hierarchischen Aufbau der Szenen, aber das widerspräche völlig ihrer Ideologie. Dennoch arbeiten sie sehr professionell, wenn es etwa um die Organisation von Demonstrationen geht inklusive Mobilisierung, Organisation von Schlafplätzen, Rechtsbeistand, sogar ein eigener Sanitätsdienst wird gewährleistet. Auch der Kulturbetrieb, also die regelmäßigen Veranstaltungen, die Werkstätten und Archive, und daß jeden Tag irgendwo günstig veganes Essen angeboten wird, das ist schon beeindruckend – gerade weil hier niemand von oben dirigiert, sondern weil sich jeder selbständig seine Lücke sucht.

Wie finanziert sich die Szene?

Hoffmann: Kommt darauf an, was finanziert werden soll. Eine militante Gruppe, die gelegentlich mal einen Farbangriff verübt und ein Bekennerschreiben veröffentlicht, die hat ja gar keine besonderen Ausgaben. Für die linken Zentren sind Abendveranstaltungen eine wichtige Geldquelle. Wenn die am Abend 500 Gäste haben – meist völlig normale Leute – dann bleibt ein erheblicher finanzieller Überschuß, denn da wird ja nichts versteuert. Dann gibt es aber auch Organisationen wie die Rote Hilfe, die Mitgliedsbeiträge erheben, mit denen dann die Verteidigung bei Strafverfahren finanziert wird.

Haben Sie den Eindruck, die Stadt Hamburg fördert die Szene direkt oder indirekt?

Hoffmann: Da gab es sicherlich einige zweifelhafte Entscheidungen. Zum Beispiel als das Gebäude „Rote Flora“ 1995 komplett niedergebrannt war und man den „Besetzern“ das Geld aus der Feuerkasse zum Wiederaufbau gab. Man kann sich mit solchen Zuwendungen Ruhe erkaufen nach dem Motto: Gib den Leuten ein Haus und sie machen weniger Streß auf der Straße. Wenn man eine solche Maßnahme in ein Gesamtkonzept einbetten würde, mit dem Ziel, militante Szenen zurückzudrängen, dann würde ich das durchaus als sinnvoll ansehen. Ich kann aber kein solches Konzept erkennen.

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Sie verstehen Ihr neues Werk als Diskussionsgrundlage. Aber ist es nicht längst Konsens, daß Extremismus aller Art bekämpft gehört? Was gibt es da zu diskutieren?

Hoffmann: Ich denke nicht, daß Sie mit der These, Linksextremismus müsse bekämpft werden, bei SPD, Grünen und Linkspartei auf einheitliche Zustimmung stoßen würden. Aber mir geht es nicht um Begriffe. Mir geht es um Rechtsbrüche, um Gewalttaten, die aus politischen Motiven verübt werden. Und ja, da gibt es noch sehr viel zu besprechen. Vor allem, welchen Einfluß diese Taten auf den demokratischen Prozeß haben. Wir schauen immer auf die großen Randale-Events wie G20-Gipfel oder den 1. Mai – aber das ist der völlig falsche Fokus!

Alle Menschen sehen diese Gewalttaten und fast alle finden sie falsch. Was sie nicht sehen, sind die tagtäglichen Übergriffe, die dafür sorgen, daß sich Menschen aus der Politik zurückziehen, daß Wirte ihre Räume nicht mehr zur Verfügung stellen und daß möglicherweise im Ergebnis Menschen anders wählen als sie es ohne diese Beeinflussung getan hätten. Das ist ja eine zentrale These meines Buches: Der „kommende Aufstand“ ist hier nicht als gewaltsamer Umsturzversuch gemeint, sondern als kontinuierliche Beeinflussung des demokratischen Prozesses. Die militante Linke ist eine „Gegenmacht“ zum Rechtsstaat.

Ein gesellschaftliches Bewußtsein schaffen

Laut dem aktuellen Bundesverfassungsschutzbericht nahmen die linksextremen Straftaten 2019 um 40 Prozent zu. Woran lag das?

Hoffmann: Tendenzen kann man in einer solchen Statistik nur über sehr lange Zeiträume, also mehrere Jahre, erkennen. In diesem Fall hört es sich nach einem dramatischen Anstieg an. Tatsächlich liegen die Zahlen auf lange Sicht auf einem gewöhnlichen Niveau. Die Zahl der Gewalttaten und Körperverletzungen ist 2019 sogar um 20 Prozent zurückgegangen. Aber die Zahl der linksmotivierten Gewaltdelikte liegt heute im Schnitt deutlich höher als nach der Jahrtausendwende. Und Anlaß zur Sorge gibt auch, daß der Verfassungsschutz erst kürzlich davor warnte, daß die Herausbildung terroristischer Strukturen im Linksextremismus als möglich angesehen wird.

Also dürfen wir in den kommenden Jahren mehr Gewalttaten von Links erwarten?

Hoffmann: 2021 wird ein Superwahljahr mit Bundestagswahl, aber auch diversen Landtags- und Kommunalwahlen. Da wird es sicherlich zu einer Vielzahl von Straftaten kommen. Darüber hinaus kann niemand die politischen Entwicklungen prognostizieren. Gewalt ist ein Spiel mit dem Feuer. Und wir wissen spätestens seit dem Tod von Benno Ohnesorg …

… dem Westberliner Studenten, der 1967 von einem Stasi-Spitzel erschossen wurde, woraufhin die Studentenbewegung Zulauf bekam und sich radikalisierte …

Hoffmann:… daß ein einziger derartiger Fall massive Folgen haben und auch ein Grund für die Entstehung terroristischer Strukturen sein kann.

Was raten Sie der Politik im Umgang mit den militanten Linken?

Hoffmann: Man kann der Politik nur etwas raten, wenn sie auch bereit ist, das Problem als solches anzuerkennen. Es wäre wichtig, ein gesellschaftliches Bewußtsein zu schaffen für die Gefahren, die von linker Militanz ausgehenden. Dazu brauchen wir eine gezielte Förderung von Forschungsarbeiten und unabhängigen Recherchegruppen, denn allein mit den Sicherheitsbehörden kann man diesem Problem nicht Herr werden. Darüber hinaus gäbe es eine Vielzahl sinnvoller Maßnahmen, etwa die Bereitstellung von Entschädigungsfonds für Opfer politischer Gewalt oder von kommunalen Veranstaltungsräumen für Parteien und Vereine. Ich stelle in meinem Buch eine ganze Reihe von Ideen vor – aber man muß es eben auch wollen.

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Dr. Karsten D. Hoffmann (geb. 1977) ist Politikwissenschaftler. Seine Dissertation über die Rote Flora wurde mit dem Preis der Deutschen Hochschule der Polizei ausgezeichnet. Im GHV-Verlag ist kürzlich sein neues Buch „Gegenmacht“ erschienen.

Ergebnis einer linksextremen Krawallnacht in Berlin, Karsten D. Hoffmann Fotos: dpa / privat / JF-Montage
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