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„Ich glaube an mein Land“

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Frau Stocker, erinnern Sie sich? Stocker: An die WM 2006? Deutschland, ein Sommermärchen. Stocker: Ja, das war schön. Sie waren achtzehn … Stocker: .. und gerade mit meiner Ausbildung fertig. Und dann kam die schwarzrotgoldene Deutschlandwelle. Stocker: Ich erinnere mich, als ich damals die erste deutsche Fahne an einem Auto gesehen habe. Ich war beeindruckt und dachte: „Klasse! Wo bekomme ich auch so eine her?“ Bald hatten auch wir eine, und es wurden immer mehr. Und natürlich haben wir auch an unserem Einsatzfahrzeug vom Roten Kreuz – wo ich mich in meiner Freizeit unter anderem engagiere – eine angebracht. Am Ende war ein Auto ohne Fahne ein Außenseiter. Kommt das jetzt wieder? Stocker: Oh, ich hoffe sehr darauf! Täglich sieht man ja schon mehr und mehr deutsche Fahnen an Autos und Häusern. Aber – um ehrlich zu sein – ich befürchte, ganz so wie vor zwei Jahren wird es diesmal nicht. Warum nicht? Stocker: Das erste Mal ist eben immer etwas ganz besonderes. Vor zwei Jahren waren doch alle total überrascht von dem Jubel und der Stimmung. Die schwarzrotgoldene Welle war erst gar nicht abzusehen – und dann war sie plötzlich da und wuchs sogar während der WM immer weiter an. Jetzt haben alle für die Europameisterschaft natürlich Riesenerwartungen. Stocker: Eben. Und selbst wenn es eine tolle EM wird – können die überhaupt noch erfüllt werden? Andererseits sollten wir uns davon nicht die Laune verderben lassen. Selbst wenn das erste Mal nie zu wiederholen ist, kann es doch auch beim zweiten Mal toll werden. Wir sollten dem Patriotismus auch in diesem Sommer eine Chance geben. Schauen wir, was kommt, und freuen wir uns über das, was wir haben. Ich wette trotz allem auf einen Super-Deutschlandsommer! War der Deutschlandsommer 2006 Ihre erste patriotische Erfahrung? Stocker: In diesem Maß auf jeden Fall. Und es war toll! Leider ist in Deutschland Patriotismus in diesem Ausmaß ja nur beim Fußball möglich. Warum? Stocker: Viele Deutsche scheinen sonst nicht sehr stolz auf ihr Land zu sein. Für Sie gilt das nicht? Stocker: Nein, ich habe kein Problem damit, Deutsche zu sein. Im Gegenteil, ich glaube an mein Land. Was meinen Sie damit? Stocker: Daß ich es nicht peinlich finde, zu sagen, daß ich eine Deutsche bin, auch nicht, darauf stolz zu sein. Ich glaube an die Zukunft meines Landes. Was heißt das konkret? Stocker: Daß ich hier mein Zuhause und meine Zukunft sehe. Zwar mache ich derzeit per Fernstudium mein Abi nach, um die Möglichkeit zu haben, eventuell später noch zu studieren, aber vor allem möchte ich mal heiraten, eine Familie gründen und Kinder kriegen. Zunächst aber wollen Sie nach Westafrika gehen. Stocker: Ja, ich habe mich entschieden, meinen Beruf als Bankkauffrau aufzugeben und eine Ausbildung als Krankenschwester zu beginnen. Auch wenn ich dann wohl härter arbeiten muß, aber ich möchte mit Menschen zu tun haben – in der Bank geht es nur um Zahlen. Nach der EM gehe ich aber zuerst nach Ghana. Ich werde dort ab Juli für drei Monate in einem Waisenhaus arbeiten. Ist das eine Voraussetzung für Ihre Ausbildung zur Krankenschwester? Stocker: Nein, ich tue das freiwillig. Ich bin erst zwanzig und habe noch Zeit, und ich habe mir das schon immer gewünscht, denn mich interessieren die Entwicklungsländer. Die Menschen dort leben in so unvorstellbar ärmeren Verhältnissen als wir. Bei uns gibt es fast alles, dort fast nichts – und dennoch sind die Menschen auch dort glücklich, vielleicht sogar glücklicher als wir. Dieses Leben möchte ich kennenlernen, und ich möchte den Leuten dort helfen. Der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate sagte 2006 zum Thema Patriotismus in dieser Zeitung: „Äthiopien ist arm, chaotisch und vom Bürgerkrieg gezeichnet – keiner schaut bewundernd zu uns auf. Trotzdem danken wir Gott jeden Tag voller Stolz: ‚Herr, danke, daß ich ein Äthiopier bin! Ich wollte nichts anderes sein‘!“ Stocker: Das ist doch schön. Ja. Stocker: Das zeigt vielleicht auch, warum es bei uns mit dem Patriotismus nicht so richtig klappt. Wenn die Leute weniger nach Karriere, Geld und Selbstverwirklichung schauen würden, dann wären sie vielleicht glücklicher und auch entspannter mit ihrem Land. Dann wüßten sie vielleicht auch soziale Werte wie ihre nationale Gemeinschaft mehr zu schätzen. Mancher warnt vor zuviel deutschem Patriotismus und verweist dabei auf unsere Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus. Stocker: Es stimmt schon, natürlich ist damals viel Schlimmes passiert, auf das man wirklich auf keinen Fall stolz sein kann. Ich finde aber nicht, daß man dafür unsere Generation bis heute in Haftung nehmen kann. Zum Glück haben mir weder meine Eltern noch meine Lehrer so etwas je beigebracht. Aber im Fernsehen sieht man zuweilen in der Tat anderes, da wird mitunter versucht, uns ein schlechtes Gewissen einzureden. Was denken Sie darüber? Stocker: Daß das Schwachsinn ist. Was meinen Sie damit? Stocker: Na ja, die anderen Nationen waren ja nun auch nicht gerade heilig. Denken Sie nur zum Beispiel an Rußland. Es wird aber oft so getan, als gäbe es nur in unserer Geschichte negative Seiten. Über Untaten der anderen redet man eher nicht. Aber ich glaube, das nimmt ab: Mein Eindruck ist, früher sind Jugendliche stärker darauf gedrillt worden, sich schuldig zu fühlen, nur weil sie Deutsche sind. Was bedeutet der Fußball für Sie? Stocker: Ein Gefühl der Gemeinschaftlichkeit: der Mannschaft mit den Fans und der Fans untereinander. Alle haben zusammen ein Ziel, halten zusammen, wünschen sich das gleiche. Man fühlt sich aufgehoben. Ein bißchen ist es wie beim Patriotismus. Sie meinen, Nation im kleinen? Stocker: Vielleicht stimmt das. Bei der WM 2006 waren ja plötzlich auch diejenigen unter meinen Bekannten, die sich nie zuvor für Fußball interessiert haben, wie elektrisiert: daß wir weiterkommen, daß wir gewinnen. Und sie waren furchtbar enttäuscht, als es dann im Halbfinale gegen Italien doch nicht geklappt hat. Fußball ist eben unser deutscher Nationalsport. Und ich finde es schade, daß so viele junge Deutsche heute keinen Kontakt mehr zum Fußball haben. Handy, Computer, neue Medien, das ganze breitgefächerte Freizeitangebot, die vielen neue Individual-Sportarten machen dem Fußball Konkurrenz. Aber ich glaube, wir geben damit etwas preis. Denn nur Fußball schafft heute das große Gemeinschaftserlebnis, das uns spüren läßt, das wir alle zusammengehören. Außerdem lernt man beim Fußball Mannschaftsgeist, sich der Mannschaft einzuordnen, sich für den gemeinsamen Sieg unterzuorden, sich nicht nur für sich, sondern um einer Sache willen anzustrengen. Das hat man ja auch in dem Film „Das Wunder von Bern“ gesehen, daß der Fußball mehr als nur Sport ist: was er für eine Gemeinschaft – wie die Deutschen nach dem Krieg – zu leisten vermag. Machen Sie sich manchmal Sorgen um Deutschland? Stocker: Sicher, wenn man zum Beispiel liest, daß wir immer weniger, die Angehörigen anderer Nationen bei uns aber immer mehr Kinder bekommen, dann macht mir das schon Sorgen. Warum? Stocker: Deutschland ist doch nur Deutschland mit seinen deutschen Bewohnern. Wenn es immer so weitergeht, gibt es irgendwann die erste Stadt, in der es praktisch keine Deutschen mehr gibt. Ich fände das schade. Irgendwann in der Zukunft müßte man dann den Kindern auf Fotos zeigen, wie einmal die Deutschen ausgesehen haben. Tun die Politiker genug, um die Gefahr abzuwenden? Stocker: Sie tun sicher etwas, aber man hat das Gefühl, viel zuwenig. Etwa, was die Zuwanderung angeht, oder die Deutschen anzuregen, wieder mehr Kinder zu bekommen. Da besteht einfach ein Mißverhältnis, das dazu führt, daß es in unserem eigenen Land immer weniger Deutsche und immer mehr Menschen aus dem Ausland gibt, die zudem auch nicht unsere Kultur übernehmen, sondern natürlich ihre Kultur mitbringen. Denken Sie viel darüber nach? Stocker: Eigentlich nicht so. Nur weil Sie jetzt danach fragen. Die meisten Leute, die ich kenne, denken genauso, aber in der Regel redet man nicht viel darüber. Die Leute sind meist mit ihren Alltagsdingen beschäftigt. Ich natürlich auch. Zum Beispiel gerade mit den Vorbereitungen auf die EM. Und, ist schon alles fertig? Stocker: Ich bin bereit. Wie sieht Ihr Fan-Kostüm aus? Stocker: Es besteht aus einer schwarzrotgoldenen Bemalung im Gesicht, einer kleinen Fahne zum Jubeln und einer großen Deutschlandfahne als Rock um die Hüften gewickelt sowie einem Hemd mit dem Aufdruck „Germany“. Nicht „Deutschland“? Stocker: Na ja, Länderspiele sind internationale Turniere, und dann können die anderen Fans lesen, wo wir herkommen. Und was ist Ihr Tip? Stocker: Jetzt nach dem guten Spiel gegen Serbien hoffe ich sehr auf das Halbfinale. Das Finale aber, das wäre natürlich ein Traum! Nicole Stocker Die junge Bankkauffrau aus Eiselfing bei München ist schon von klein auf Fußballfan und Anhängerin der deutschen Nationalmannschaft. Geboren 1987 in Wasserburg am Inn, hat sie selbst zwei Jahre im Verein gekickt, ist aktives Mitglied im FC Bayern München Fanclub „13 Höslwanger“, einer der größten bayerischen Fanvereinigungen, und hofft, die deutsche Elf beim Viertelfinale der Euro 2008 in Basel, für das sie Karten ergattern konnte, persönlich anfeuern zu können. weitere Interview-Partner der JF

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