Friedrich Merz ist wieder da. Am Wahlabend warf er den ersten Stein und kritisierte die „nicht optimale Wahlkampfstrategie“ Angela Merkels als ursächlich für das Unions-Debakel. Merz konnte sich das leisten – gegen den Trend hatte er bei der Verteidigung seines Direktmandats sogar noch vier Prozentpunkte zugelegt. Nicht nur im Hochsauerlandkreis steht der 1955 in Brilon geborene Rechtsanwalt und Finanzfachmann besser da als seine eigene Partei. Den Unionsdurchschnitt überragt er sowohl an Körperlänge als auch durch rhetorisches Talent und eine in Politikerkreisen selten gewordene Stringenz der Gedankenführung. Das Fernsehpublikum konnte sich von den Qualitäten des überzeugten Ordnungspolitikers beim Streitgespräch mit Oskar Lafontaine überzeugen: Merz argumentierte den parolendreschenden Neokommunisten glatt an die Wand und lieferte damit das wohl interessanteste TV-Duell dieses fernsehgeschwätzigen Wahlkampfes und eine der wenigen sehenswerten „Sabine Christiansen“-Sendungen überhaupt. Wohl unter diesem Eindruck nötigten in letzter Minute einige schwarze Granden ihre Kanzlerkandidatin, das frühere Aushängeschild ihrer Bundestagsfraktion als Tandempartner Paul Kirchhofs in das „Kompetenzteam“ ihres verkorksten Wahlkampfs aufzunehmen. Späte Genugtuung, hatte doch Merkel selbst einst die steile Karriere des Sauerländers beendet. Die Stationen: 1989 Europaparlament, 1994 Bundestag, 1996 Obmann im Finanzausschuß, 1998 Fraktionsvize, 2000 Nachfolger Wolfgang Schäubles als Fraktionschef. Doch schon zwei Jahre später mußte er den Sessel wieder räumen, damit die Parteichefin auch im Bundestag Oppositionsführerin werden konnte. Merz grollte, ging aber wieder als Vize ins Geschirr. Im November 2003 wurde sein an Kirchhof angelehntes Steuerkonzept Teil des Parteiprogramms. Doch schon ein Jahr später war die „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ komplett zerredet – ein Lehrstück über Merkels Umgang mit Reformern. Es spricht für Merzens Unabhängigkeit, daß er schließlich im Oktober 2004 sämtliche Ämter in Fraktion und Partei aufgab, deren Präsidium er seit 2002 ebenfalls angehörte, und in die freie Wirtschaft ging. Doch was ein sturer Sauerländer ist, läßt sich nicht einfach abservieren. Merz, Familienvater und Mitglied einer katholischen Studentenverbindung, ist ein Konservativer nach Lebens- und Denkungsart, der nicht nur in Finanzdingen große Würfe wagt. Mit seiner „Leitkultur“-Forderung hatte er als Fraktionschef die Wertedebatte angestoßen, vor der die Union sich beharrlich drückt, und einen Ausweg aus der bedrückenden sittlichen Leere seiner Partei gesucht. Merz hat Mut zum Tabubruch, warnt auch mal vor der „Einwanderung in die Sozialsysteme“ und hängt bei Gegenwind nicht gleich sein Mäntelchen in denselben. Der letzte konservative Mohikaner in der abgemeierten Zeitgeist-Union geht wieder auf den Kriegspfad. Es wird interessant.