Zum Beispiel Irak: Die Fernsehnachrichten darüber verbindet der deutsche Zuschauer mit dem Gesicht und dem stets unaufgeregten Sprechduktus des Weitgereisten, der am 9. März seinen achtzigsten Geburtstag feiert und an dem sich sogar der unsägliche TV-Inquisitor Michel Friedman schon festrannte. Peter Scholl-Latour wird befragt, weil er sein Wissen nicht nur aus dem Hörsaal bezogen, sondern es „an der Front“ erfahren hat. Er ist keinem Krieg aus dem Weg gegangen. Seit einem halben Jahrhundert erklärt er Krisen und Kriege, Religionen, Kulturen und Herrschaftssysteme, fängt sie in Fernsehfilmen ein und in immer wieder neuen Büchern. Sein Vietnam-Bestseller „Der Tod im Reisfeld“ begründete seinen Ruf. Geboren wurde er 1924 in Bochum. In der lothringisch-saarländischen Arztfamilie hing auch ein Napoleonbild im Herrenzimmer. Aufgewachsen an Ruhr, Saar, in Metz und am Jesuitencollège im schweizerischen Freiburg im Uechtland, wollte er als Junge Entdeckungsreisender werden und träumte sich etwa als David Livingstone nach Afrika. Aus dem Traum erwacht, wurde er 1943 Soldat, zuerst Fallschirmjäger der Wehrmacht, nach dem 8. Mai 1945 des französischen Expeditionskorps für Indochina, dem Commando Parachutiste Ponchardier. Keiner außer ihm weiß so genau, wie es dazu kam. Stand er wie viele seiner Kameraden vor der Alternative, einem schlimmen Schicksal nur durch den Kriegsdienst für Frankreich zu entgehen? Oder bewog ihn Leichtsinn, wie er sagt? „Danach“ studierte er in Deutschland, in Paris und in Beirut Philologie und Orientkunde, arbeitete als Journalist und verdingte sich 1953/54 als Pressechef der Saarregierung – ausgerechnet des Separatisten Johannes Hoffmann. Dann wechselte er zur ARD, für die er nach Afrika ging, schließlich als Fernsehchef nach Köln und als Korrespondent nach Paris. 1983 ließ er sich als Chefredakteur für den Stern engagieren. Doch die Mesalliance wurde schnell wieder geschieden. So bestieg er den fliegenden Teppich, mit dem er seither die Erde und ihre Krisen umkreist – einer der letzten großen Journalisten alter Schule. Schon längst ist Peter Scholl-Latour eine Instanz, fast schon ein Mythos, einer der ganz wenigen mit einem Gespür für das deutsche, französische, europäische Schicksal. Seit Indochina war er Chronist des Rückzugs der Europäer, die einst die Welt beherrschten. Er leidet darunter, daß ein Volk 100 Milliarden für einen neuen Telefonstandard verjuxt, aber nicht in der Lage ist, drei Milliarden mehr für die eigenen Streitkräfte aufzubringen. Er kann nicht fassen, daß sich die Europäer mit dem Bevölkerungsschwund ihrer Ureinwohner abfinden, während um sie herum die Geburtenexplosion anhält. Und er hält denen, die uns regieren, die Mahnung des französischen Denkers Paul Valéry vor: „Im Abgrund der Geschichte ist Platz für alle.“ Und er weiß doch genau, daß sie ihn nicht verstehen.