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Abkühlung im Norden

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Als der alternde Schriftsteller Alexander Sowtschick, eingeladen, bei den „Deutschen Wochen“ in den USA aus seinen Werken zu lesen, im Institut in New York eintrifft, dem die Organisation dieser Veranstaltung oblag, findet dort gerade eine Plakatausstellung statt, „sauber gerahmt und akkurat nebeneinander gehängt, wie beschissen die Zustände sind, unter denen man in der Bundesrepublik zu leben gezwungen ist. Nazihaft verseucht das ganze Land, von oben bis unten. (…) Einzelne Amerikaner sahen sich die Exponate nachdenklich an, das Kinn in der Hand. Hätten sie gar nicht gedacht, daß die Bundesrepublik so nazistisch verseucht ist. (…) Die Plakate waren um die ganze Welt gewandert, von Indonesien bis Mexiko, Berlin, Paris und Kopenhagen, damit es auch der letzte Eskimo kapiert.“ Und dann stößt Sowtschick überall, wohin er in den USA kommt, auf die Produkte deutscher Kulturpropaganda, mit deren Hilfe den Amerikanern klargemacht werden soll, daß die Deutschen ein Volk von Verbrechern seien. Mit mildem Hohn schildert Walter Kempowski in seinem jüngsten Roman „Letzte Grüße“ (JF 4/04), was seinem Alter ego an deutschem Schuldfanatismus und an Sühnebesessenheit begegnet. Ins Ausland transportierte Produkte eines deutschen Vergangenheits-Bewältigungs-Ticks sollen, wie die Macher weismachen wollen, das neue, bessere Bild der Deutschen vermitteln und erreichen, daß man uns im Ausland nunmehr achtet und liebt. Zumindest in Dänemark scheint das nicht ganz gelungen zu sein. Von Jahr zu Jahr nimmt bei unseren nördlichen Nachbarn das Interesse an Deutschland und der deutschen Sprache ab, stellte das staatliche Evaluierungs-Institut in einem Untersuchungsbericht fest. Immer weniger dänische Schüler wählen Deutsch als zweite Fremdsprache (nach Englisch). Und studieren wollen die jungen Dänen Deutsch schon überhaupt nicht. Zur Zeit gibt es in Dänemark nicht mehr als 463 Germanistikstudenten, im Jahr 2002 schrieben sich nur 121 neue Kommilitonen ein. „Schlimmer noch: es müsse künftig wahrscheinlich mit einer noch geringeren Zahl gerechnet werden“, schreibt die deutsche Zeitung in Dänemark Der Nordschleswiger. Damit sei der schon in der ersten Studie 1995 als „klein“ bezeichnete Bereich der Deutsch-Ausbildung in Dänemark noch weiter geschrumpft. Die dänische Regierung macht sich deswegen Sorgen, denn aus wirtschaftlichen Gründen braucht man mehr Dänen, die die deutsche Sprache beherrschen. Was noch vor wenigen Generationen normal war – daß sich fast jeder gebildete Däne auf deutsch verständigen konnte -, ist heute die Ausnahme. Untersuchungen gelangen zu dem Schluß, daß es nicht nur der Schwierigkeitsgrad ist, der die Dänen davon abhält, in der Schule Deutsch zu lernen. Die Deutschen haben auch ein zunehmend schlechteres Image in den Augen vieler Dänen. In einer Untersuchung an einem Gymnasium und einer Handelsschule in Apenrade wurden 150 Gymnasiasten und Handelsschüler befragt, welche Eigenschaften sie den Deutschen zuschreiben. In Apenrade, das von der Grenze zu Deutschland gerade einmal 23 Kilometer entfernt liegt, sind 75 Prozent der Schüler der Meinung, daß die Deutschen „häßlich“ sind. Die Hälfte stimmt der vorgelegten Eigenschaft zu, die Deutschen seien „langweilig“. Erhebliche Aufregung verursachte nicht nur im deutsch-dänischen Grenzland, sondern in ganz Dänemark der Ausspruch eines dänischen Spitzenhandballers, der sowohl in der dänischen Nationalmannschaft als auch in dem deutschen Handballverein SG Flensburg-Handewitt als Profi spielt. Bei der Europameisterschaft erregte sich Joachim Boldsen: „Es gibt niemanden, der so wie die Deutschen als unschuldige Schweine auftritt. Das liegt an ihrem Volkscharakter, daß sie nicht zugeben können, Schweine zu sein.“ Die Zeitung Der Nordschleswiger nannte das eine „strafwürdige Volksverhetzung“. Es hat denn auch in der dänischen Presse korrigierende Leserbriefe, aber auch manche Zustimmungen gegeben. Inzwischen macht sich die dänische Regierung Sorgen um die schwindende Deutsch-Kompetenz in Dänemark angesichts der Tatsache, daß Deutschland für Dänemark mit klarem Abstand der wichtigste Handelspartner sowohl beim Im- als auch beim Export ist. Nun hat der staatliche Humanistische Forschungsrat einen Betrag von 4,8 Millionen Kronen ausgesetzt für ein Forschungsprojekt über die Bedeutung Deutschlands für Dänemark. Der Pro-Rektor der Universität in Odense, Flemming Just, erläutert, es gehe darum, seinen dänischen Landsleuten Deutschland näherzubringen, so daß sie sich politisch, wirtschaftlich und auch sprachlich wieder mehr für Deutschland interessieren. Allerdings dürfte die deutsche Seite ein erhebliches Maß an Schuld an dieser Entwicklung tragen. Ein treffendes Beispiel war vor zwei Jahren der Auftritt des prominenten CDU-Politikers Wolfgang Schäuble in Kopenhagen. Er sollte dort im Februar 2002 gemeinsam mit dem dänischen Außenminister Möller einen Vortrag halten, den er aber nicht auf deutsch, sondern auf englisch hielt. Das brachte ihm Kritik in den Leserbriefspalten dänischer Zeitungen ein, er habe eine Chance verpaßt, die deutsche Sprache zu repräsentieren, um so den Deutschunterricht an den Schulen zu unterstützen. Dazu Siegfried Matlock, Chefredakteur des Nordschleswiger: „Man möchte sich wünschen, daß zumindest jene Politiker, die Deutschland im Ausland repräsentieren, sich auch ihrer Verantwortung für die deutsche Sprache bewußt sind. (…) Wie will man die dänischen Deutschlehrer, die sich täglich große Mühe machen um den Deutschunterricht in dänischen Schulen, und deren Schüler motivieren, wenn leider selbst auch Vertreter der deutschen Kultur ihre eigene Sprache in der Garderobe abliefern?“ Ein weiteres Beispiel für unwürdiges deutsches Auftreten in Dänemark lieferte im Juni 2001 Otto Graf Lambsdorff. Der Verhandlungsführer für „Entschädigungszahlungen an Sklaven und Zwangsarbeiter“ erschien in Kopenhagen vor der deutsch-dänischen Handelskammer und bat die dänischen „Zwangsarbeiter“, von Deutschland Entschädigungen anzunehmen. Darauf antwortete ihm ein Sprecher ehemaliger dänischer Widerstandskämpfer, der Arzt Jörgen Kieler, es habe überhaupt keine dänischen Zwangsarbeiter in Deutschland gegeben. Und da Lambsdorff offenbar uninformiert war über die Verhältnisse in jener Zeit, belehrte ihn Kieler, zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung im Mai 1940 habe es in Dänemark eine sehr hohe Arbeitslosenquote gegeben. Als daher die Deutschen in Zusammenarbeit mit der dänischen Regierung Arbeitskräfte für das Deutsche Reich anwarben, folgten 30.000 Dänen sogleich freiwillig diesem Ruf. So seien während des Krieges insgesamt 128.000 dänische Arbeitnehmer nach Deutschland mit befristeten Arbeitsverträgen ausgereist. Man sei aber durchaus bereit, das von Lambsdorff angebotene Geld anzunehmen, „damit wir wissen, daß nun der Krieg endgültig vorbei ist“, fügte Kieler mit dänischem Humor hinzu. Der Graf hatte das offenbar nicht begriffen. Als ihn ein aufmerksamer Bundesbürger, der die ironischen Kommentare dänischer Zeitungen zu Lambsdorffs Auftreten verfolgt hatte, in einem Brief fragte, was ihn bzw. die Bundesrepublik bewogen habe, Leuten „Zwangsarbeiterentschädigungen“ aufzudrängen, die überhaupt keine Ansprüche gestellt hatten, und ob er nicht wisse, daß es nie einen Kriegszustand zwischen Dänemark und Deutschland gegeben habe, da antwortete der Graf, er habe „selten einen Brief bekommen, der soviel Unsinn enthält“. Schließlich habe Deutschland Dänemark „überfallen“. Auf eine ihn mit Fakten und Quellen informierende Antwort des angeflegelten Briefeschreibers reagierte er nicht. Der Nordschleswiger kommentierte angesichts des Tiefstandes von deutschem Ansehen und deutscher Sprache in Dänemark, man soll sich in Berlin selbstkritisch fragen, „was man kulturpolitisch im Ausland besser machen kann“. Foto: Dänischer Handballer Joachim Boldsen (l.) bei der Europameisterschaft 2002 im Spiel gegen Deutschland: „Es gibt niemanden, der so wie die Deutschen als unschuldige Schweine auftritt.“

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