Herr Professor Noetzel, Gerhard Schröder hat die Verantwortung für die Wahlniederlage der SPD vom Sonntag übernommen, ist damit der Bundeskanzler in Frage gestellt? Noetzel: Nein, denn die Übernahme der Verantwortung ist aus innerparteilichen Gründen geschehen. Schröder mußte reagieren, und da besänftigen ein paar integrative Bemerkungen die aufgebrachte Stimmung wenigstens etwas. Die Ursachen der Niederlage sind übrigens sowohl in landespolitischen als auch in langwirkenden sozio-ökonomischen Faktoren zu suchen. Greift ein solches Eingeständnis die Position Schröders in der Partei nicht an? Noetzel: Nein, er hat einen festen Stand in der Partei, er hat keine Konkurrenz. Wie bewerten Sie das Orakeln bezüglich Oskar Lafontaines? Noetzel: Das sind nur Schattenspiele, Lafontaine ist nicht mehrheitsfähig in der SPD, er hat viel Bindungskraft gegenüber dem linken Flügel verloren. Zwar hat Christian Wulff am Sonntag ein stolzes Ergebnis erzielt, ist aber erst im dritten Anlauf gewählt worden. Offenbart dies, daß der Sieg der CDU in Niedersachsen tatsächlich nur die Niederlage der SPD war? Noetzel: Je schwächer der Gegner, desto größer der Wahlsieg – das gilt immer, auch in Niedersachsen und Hessen. Schaut man jedoch genau hin, so hat Koch schon 1999 bewiesen, daß er – sogar in einem SPD-Land wie Hessen – aus eigener Kraft gewinnen kann, während Wulff im CDU-Stammland Niedersachsen über ein Jahrzehnt auf Rückenwind warten mußte. Noetzel: In der Tat haben wir es in Niedersachsen mit einem eher blassen CDU-Chef zu tun, der nicht nur von den Fehlern in Berlin, sondern auch von den Fehlern Sigmar Gabriels profitiert hat. So hat Gabriels Versuch, sich gegen die Bundesregierung zu profilieren, ihm selbst eher geschadet als genützt, denn das Bild der Uneinigkeit, das die SPD damit dem Wähler geboten hat, minderte das Vertrauen in die Partei insgesamt. Dagegen erscheint Koch tatsächlich als Sieger aus eigener Kraft und Hessen als Erfolgsmodell. Ich sage „erscheint“, da gewisse Sachverhalte, wie der Schwund des Bruttoinlandsproduktes 2002 – Hessen und Baden-Württemberg liegen an der Spitze – nicht ins allgemeine Bewußtsein gedrungen sind. Angela Merkel hat am Montag stolz „ihre“ Wahlsieger in Berlin präsentiert. Ist die so übermittelte Botschaft von der „Gleichwertigkeit“ der beiden Gewinner nicht ein Trick, um Konkurrent Koch in Schach zu halten? Noetzel: Sicher, aber bei der heutigen Atemlosigkeit der Politik ist es viel zu früh, jetzt schon Aussagen über die Kanzlerkandidatur 2006 machen zu wollen, und insofern ist es auch zu viel „hineingeheimnist“, die Vorgänge von Sonntag und Montag schon als unterschwellige Auseinandersetzung zwischen Koch und Merkel zu interpretieren. Wird die CDU aus dem Wahlerfolg Roland Kochs den Schluß ziehen, daß die Union mit den Konzepten des rechten Parteiflügels die nächsten Wahlen angehen muß? Noetzel: Nein, denn die Probleme der Union sind komplexer. Dadurch, daß sie nun in einer größeren politischen Verantwortung steht, wird sie viel entschiedener politische Positionen beziehen müssen. Dann wird sich zeigen, ob sie mit ihren beiden Flügeln funktional umgehen kann. Daran hat es bei der Bundestagswahl noch gehapert, als es ihr nicht gelang, an modernisierungswillige und dynamische Teile der Gesellschaft anzukoppeln. Übrigens ist es ein Irrtum, Koch für einen Vertreter des rechten Flügels zu halten. Sondern? Noetzel: Es geht in der Politik um die Herstellung von Öffentlichkeit, dazu dienen Etiketten. Politiker verschaffen sich deshalb ein gewisses Image, das natürlich von den Medien gerne aufgegriffen und transportiert wird. Ob dann aber tatsächlich Politik entsprechend dieser ideologischen Signaturen gemacht wird, möchte ich doch sehr bezweifeln. Ich glaube, da unterschätzen Sie den Pragmatismus der Kochschen Politik. Wer ist demzufolge der „wahre“ Roland Koch? Noetzel: In einer pluralistischen Gesellschaft, in der die Dynamik zu- und die Milieus abnehmen, muß der Politiker in der Lage sein, ständig neu Bindungen herzustellen. Das kann man nicht durch einfache ideologische Antworten. Ist Koch nun ein Rechter, der pragmatische Politik macht oder ist er ein Überzeugungsloser, der sich ein rechtes Etikett verschafft hat? Noetzel: Mit Blick auf seine ideelle Struktur ist er vermutlich zu Recht als „Rechter“ zu bezeichnen, doch was seine Politik angeht, so hat diese im wesentlichen einen pragmatischen und keinerlei weltanschaulichen Kern. Sollte die CDU nicht dennoch die Rechtsstrategie Kochs adaptieren, denn – ob nun ehrlich oder nicht – den Wähler hat sie überzeugt. Noetzel: Das ist nur zum Teil richtig, denn noch nie war es so leicht, zu siegen. Das hat selbst Christian Wulff geschafft. Ein Plädoyer für eine spezifische Politik ist daraus nicht abzuleiten. Außerdem ist eine Bundestagswahl keine Landtagswahl. Bei einer Bundestagswahl ist die Fähigkeit zu integrieren erfahrungsgemäß wesentlich mehr gefragt. Erinnern Sie sich an Franz Josef Strauß, der schon einmal versucht hat, mit einer Konfrontationsstrategie Kanzler zu werden und damit gescheitert ist. Der entscheidende Faktor dieser Wahl war der Unmut über die Regierung, jedoch mußte allein die SPD die Suppe auslöffeln. Warum sind die Grünen ungeschoren davongekommen? Noetzel: Zum einen haben die Grünen ein klares Profil behalten – das Charakteristikum der SPD derzeit ist doch die „Kakophonie“ -, zum anderen haben sie es im Gegensatz zu den Sozialdemokraten verstanden, ihr Klientel zu bedienen. Während die SPD in den Augen der „kleinen Leute“ ihr Versprechen der sozialen Gerechtigkeit nicht gehalten hat, haben die Grünen – etwa mit dem Dosenpfand, der Nichtteilnahme am Irakkrieg, dem Verbraucherschutz – durchaus ihre postmaterialistische Wählerschaft zufriedengestellt. Niedersachen ist Castor-Land – haben die Grünen ihr klassisches Klientel nicht verraten? Noetzel: Solche lokalen Bezüge sind nicht mehr allzu stark, vor allem da die Grünen sich ja sowieso ein neues „liberales“ Wählerpotential jenseits grüner Fundamentalisten erschlossen haben. In beiden Ländern hat die FDP enorm zugelegt – und das vor dem Hintergrund des enttäuschenden Bundestagswahlergebnisses und des noch nicht ganz abgeebbten Streites um Jürgen Möllemann. Wie ist das zu erklären? Noetzel: Die FDP hat nach wie vor ihre Funktion in unserer politischen Landschaft und hatte in beiden Ländern vor vier Jahren eher ungewöhnlich schwache Ergebnisse. Insofern ist die Rückkehr der FDP nicht verwunderlich, sondern – im Gegenteil – vielmehr eine Normalisierung. Und was die Affäre Möllemann angeht, die spielt doch längst keine Rolle mehr – da sind die Medien ihrer eigenen Sensationsgier aufgesessen. Die Schill-Partei spielte dagegen überhaupt keine Rolle. Im von Koch beherrschten Hessen ist das nachvollziehbar, aber wieso hatte sie im konservativen Niedersachsen, mit räumlicher Nähe zu Hamburg und einem „liberalen“ CDU-Chef à la Ole von Beust keine Chance? Noetzel: Auch in Niedersachsen gab es für sie keine Nische. Ihr Thema Innere Sicherheit, mit dem sie in Hamburg reüssieren konnte, spielte dort eine untergeordnete Rolle. Neben diesem inhaltlichen Problem hat die Partei zudem ein strukturelles Problem: Es ist ihr immer noch nicht gelungen, die notwendigen Eliten zu rekrutieren und so wird sie, wie alle diese populistischen Phänomene – übrigens wohl auch in Hamburg -, bald in der Versenkung verschwinden. Prof. Dr. Thomas Noetzel ist Politologe am Institut für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität im hessischen Marburg. Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Gebiet der Politischen Theorie. Neben Veröffentlichungen zur Analyse von Parteien und Wahlen in Hessen erschien zuletzt „Die Zukunft der Demokratie in Deutschland“ (Leske & Budrich, 2001) und „Die Ironie der Politik“ (Campus, 2003). Geboren wurde Noetzel 1957 in Münster. weitere Interview-Partner der JF
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