Oskar Lafontaine hat vorgeschlagen, die Einheit der Arbeiterbewegung, die mit der Wende auch auf dem Territorium der ehemaligen DDR wieder zerbrochen ist, wenigstens dort aufs neue zu kitten. Die PDS und die SPD sollten, so seine Idee, in den östlichen Bundesländern zu einer demokratischen Linkspartei verschmelzen, die, in etwa nach dem Vorbild des Verhältnisses zwischen CSU und CDU, als regionale Schwester der westdeutschen Sozialdemokratie fungieren könnte. Es überrascht nicht, daß seine Anregung auf Häme und Ablehnung der Betroffenen stößt. Zwar eröffnete diese Neustrukturierung der Parteienlandschaft die Chance, das Stimmenpotential der PDS, das wegen der Fünf-Prozent-Klausel bis auf weiteres auf Bundesebene unter den Tisch fallen dürfte, für die Erhaltung der bedrohten Berliner Koalition zu erschließen. So viel Pragmatismus kann man Oskar Lafontaine aber nicht abnehmen. Niemand glaubt ihm nach seinem überraschenden Rückzug aus der Mitverantwortung für die Schröder-Politik, daß er an reiner Parteitaktik zur bloßen Machtabsicherung interessiert sein könnte. Viel lieber unterstellt man ihm, daß er wieder einmal die Bühne der Politik sucht, um die Menschen mit einer sehr privaten und zudem rückwärtsgewandten Utopie zu behelligen: der Etablierung einer sozialistischen Partei, die auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie stünde, ohne sich als verlängerter Arm bürgerlicher Klassenherrschaft mißbrauchen zu lassen. Diese Utopie ist aber nicht alleine theoretisch waghalsig. Sie ist überdies erfahrungsresistent und nahezu frei von jeglichem Bezug zur bundesrepublikanischen Realität von heute. Die PDS und die SPD verkörpern – anders als die historische KPD und die Sozialdemokratie von einst – keine politischen Standpunkte, aus denen vielleicht ein gemeinsames Wollen erkennbar würde. Beide definieren sich nicht aus Zielen, sondern aus einem neurotischen Umgang mit der eigenen Tradition. Die PDS ist geprägt durch das weinerliche Selbstmitleid, aus der Niederlage der althergebrachten Ideale geboren zu sein. Die SPD gewinnt ihr Selbstvertrauen hingegen aus dem Bewußtsein, alle Positionen stets freiwillig und oft mit sehr großem Erfolg geräumt zu haben. Aus diesen politischen Milieus läßt sich nichts schmieden, was irgend etwas mit Sozialismus zu tun hätte. Möglicherweise ist Oskar Lafontaine die widerspenstige Wirklichkeit aber auch gar nicht verborgen geblieben, er hat sie selber ja für eine Weile mitgestaltet. Es könnte sein, daß er dem Sozialismus oder einfach nur der Gerechtigkeit sowieso keine Chance mehr einräumt und bloß von dem Streben geleitet ist, sie wenigstens davor zu bewahren, ganz in Vergessenheit zu geraten. Hier nützt ihm ausnahmsweise sein Image. Er kann die Furcht vor seinem Comeback dazu instrumentalisieren, seine privaten Utopien im Gespräch zu halten. Auf diese Weise leistet er ihnen einen größeren Dienst, als er ihnen je als aktiver Politiker zu leisten vermochte.
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