Im November vergangenen Jahres wurde auf einer Pressekonferenz des Umweltbundesamtes (UBA) Teilergebnisse einer Studie präsentiert, die sich dem Umweltbewußtsein der in Deutschland lebenden türkischen Einwanderer widmete (siehe JF 49/02). Nunmehr liegen die vom Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen erhobenen Ergebnisse aus Telefoninterviews, Fragebogenaktionen und Expertengesprächen komplett in Form einer 206seitigen Broschur des UBA in gedruckter Form vor. Bereits dem Zwischenbericht im letzten Jahr konnte entnommen werden, daß zwar einerseits das Umweltbewußtsein der Migranten mit dem der deutschen Bevölkerung in vielen Punkten durchaus auf dem gleichen Stand ist, es insbesondere in der Wahrnehmung von Gefahren sogar noch übertrifft, es jedoch andererseits bei der zentralen Untersuchungsgruppe an der praktischen Umsetzung teilweise erheblich mangelt (Mülltrennung, Bereitschaft zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs). Die Ursache sahen die Autoren der Studie vor allem in „Informationsproblemen und -defiziten“. Wenn der Leser nun die einzelnen Fragestellungen und Ergebnisse in der kompakten Broschürenform rezipiert, wird er eher auf den Gedanken kommen, daß sich hinter den „Informationsproblemen“ tatsächlich Integrationsprobleme verbergen. Dies ist bereits aus der Tatsache ersichtlich, daß trotz der mehrheitlich langjährigen Anwesenheit in Deutschland 86 Prozent der Telefoninterviews mit den Zuwanderern in türkischer Sprache geführt wegen mußten und nur der Rest auf deutsch. Theoretisch wird damit eine direkte Vergleichbarkeit der Befragungen mit denen von deutschen Kohorten sehr erschwert, da trotz einer wortgenauen Übersetzung unterschiedliche Bedeutungsebenen angesprochen werden können. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ etwa ist laut Studie im Gegensatz zu Deutschen bei Türken nahezu unbekannt. Ansätze der Ursachenforschung für die konkreten Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung des Umweltschutzes bei Türken könnten sich aus dem häufigen Vergleich der Migranten zwischen den Bedingungen in Deutschland und ihrer alten Heimat ergeben: So schätzt die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Türken die Umweltsituation in ihrer Wahlheimat außerordentlich gut – teilweise beinahe euphemistisch – ein, während sie gleichzeitig mit großer Mehrheit die Situation in der Türkei negativ bewerten. Allerdings sehen die Menschen, wenn sie meinen, unmittelbare Vergleichsmaßstäbe zu haben, naturgemäß eher dort die Dringlichkeit für aktive Umweltmaßnahmen, wo die Bedingungen als sehr schlecht gelten. Wo sie dagegen bereits als „sehr gut“ angesehen werden, neigt man dazu, die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zum Umweltschutz geringer zu schätzen. Leider geht die Studie nicht darauf ein, daß viele türkische Migranten oft trotz ihres jahrzehntelangen Aufenthalts in Deutschland weiterhin eine sehr enge Bindung an ihr Herkunftsland pflegen. Wer sich aber in Gedanken immer nur im begrenztem Maße auf ein Leben bis zum Tode in Deutschland einstellt und eine mögliche Rückkehr nicht ausschließt, für den wird der Umweltschutz in seiner „Wahlheimat“ immer weniger Bedeutung haben, als für denjenigen, der zusammen mit der kommenden Generationen einen Daueraufenthalt in Deutschland plant. Nur wenige sind Mitglieder von Umweltorganisationen Diese These wird noch dadurch unterstrichen, daß die Beurteilung von Umweltproblemen durch Migranten – wie bereits anfangs kurz erwähnt – sogar höhere Prozentzahlen erreichen kann als bei Deutschen. Zwar steht der Umweltschutz als Gesamtproblem sowohl bei Deutschen als auch bei Türken nicht an der obersten Stelle der Prioritätenliste. Doch immerhin 71 Prozent der in Deutschland lebenden Türken räumen dem Umweltschutz eine sehr große oder große Wichtigkeit ein, hingegen nur 41 Prozent der Deutschen. Zudem bewerten Migranten mögliche Gefährdungen für die Umwelt weitaus dramatischer (Atomkraftwerke, genmanipulierte Lebensmittel, Klimaveränderung, Wasserverschmutzung, Luftverschmutzung) als die Teilnehmer der deutschen Vergleichsbefragung. Ebenso erhielt die Aussage „Umweltschutzmaßnahmen sollten auch dann durchgesetzt werden, wenn dadurch Arbeitsplätze verlorengehen“ weit mehr Zustimmung bei Migranten (58 Prozent) als bei Deutschen (25 Prozent). Nicht alle Anhaltspunkte, die die Autoren für ein mangelhaftes praktisches Umweltverhalten von Migranten anführen, sind allerdings einleuchtend: So erscheint die Tatsache, daß Türken in ihrer Mehrzahl bevorzugt auf die Nahrungsangebote ihrer eigenen Landsleute zurückgreifen, eher eine Folge von gesellschaftlichen Gewohnheiten, kulinarischer Gewöhnung und anderen kulturellen Normen und vielleicht auch ebenfalls mangelnder Integration. Pauschal daraus auf ein geringeres ökologisches Bewußtsein wegen der „Umweltfeinlichkeit des Konsums importierter Lebensmittel“ zu schließen, ist fragwürdig. In diesem Falle wäre Deutschen, die „exotische“ Produkte kaufen, derselbe Vorwurf zu machen. Auch die Tatsache, daß Türken seltener Mitglied von Umweltorganisationen sind, verweist nicht unbedingt auf geringere Umweltpräferenzen. Der Organisationsgrad von Migranten ist innerhalb ihrer in Deutschland gebildeten heimischen Verbindungen sehr hoch, während die Nutzung mehrheitlich von Deutschen genutzter Organisationen für sie immer noch eine Ausnahme darstellt. Auch hier liegen demzufolge in erster Linie Integrations-, nicht Verständigungs- oder Informationsprobleme vor. Daß allzu simple Versuche, für die Ursachenforschung eine durchschnittlich schlechtere „soziale und wirtschaftliche Lage der Migranten“ zu bemühen, zu kurz greifen, dafür liefert das Erhebungsmaterial genügend Nachweise. Danach sind gerade die Empfänger niedrigster Lohn- und Unterstützungsbeiträge in vielen Dingen umweltbewußter als die der Bezieher von Durchschnittseinkommen. Insgesamt müßten die gewiß nicht uninteressanten Ergebnisse der ungewöhnlichen Studie weit sorgsamer gewichtet und ausgewertet werden. Erst dann ist es möglich, sie tatsächlich zum Nutzen aller Beteiligten und vor allem der Umwelt dienstbar zu machen. Die Studie „Umweltbewußtsein und Umweltverhalten der türkischen Migranten in Deutschland“ ist in der Unesco-Reihe des Umweltbundesamtes erschienen. Sie ist für 10 Euro erhältlich beim UBA- Werbung und Vertrieb, Ahornstraße 1 – 2, 10787 Berlin, Telefon 030 / 2 11 60 61, Fax: 030 / 2 18 13 79