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Pankraz, A. Merkel und die Stimmungsdemokratie

Pankraz, A. Merkel und die Stimmungsdemokratie

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Von dem französischen Soziologen Paul Virilio stammt die Unterscheidung zwischen Stimmungsdemokratie („democratie d’emotion“) und Meinungsdemokratie („democratie d’opinion“). Die moderne Demokratie, sagt Virilio, entwickle sich aus einer Meinungsdemokratie immer mehr in eine bloße Stimmungsdemokratie, und das sei eine Fatalität und habe à la longue verheerende Folgen. Die führenden Politiker verblödeten darüber regelrecht, verwandelten sich in bloße Roboter, die nur noch ein eingegebenes Programm abspulten.

In der „Berliner Erklärung“ des CDU-Vorstands vom Ende voriger Woche findet sich dieser Prozeß gut abgebildet. Er firmiert dort unter dem Stichwort „Modernisierungskurs“ und gipfelt in der unisono erhobenen Forderung, daß sich die Partei unbedingt „neuen Wählerschichten öffnen muß“. Über die Meinung der so sehnsüchtig angepeilten neuen Schichten wird kein Wort verloren. Es geht einzig und allein um ihre derzeitige Stimmung, wie sie sich in „Meinungsumfragen“ ausdrückt.

Unter „Modernisierungskurs“ verstehen die CDU-Strategen um Kanzlerin Merkel nichts anderes als den Übergang von der Meinungs- in die Stimmungsdemokratie. Von sogenannter Überzeugungsarbeit, daß man also den potentiellen Wähler mit wohlerwogenen Argumenten von der eigenen Position überzeugt und dadurch für sich gewinnt, ist an keiner Stelle der Erklärung die Rede. „Moderne“ Politiker überzeugen nicht mehr, sondern richten sich nach bestimmten Stimmungen, die die jeweilige Umfrage anzeigt.

Mit anderen Worten: Der moderne Politiker à la Merkel hat, genau wie Virilio beobachtet, als Subjekt der Politik abgedankt, er ist tatsächlich verblödet („hébété“), d.h. zu einem bloßen Rad in einem objektiven, psycho-mechanischen Vorgang geworden. Stimmungen kommen und gehen, die Umfragen und die Medien geben darüber tagtäglich Kunde, und der moderne CDU-Politiker stellt sich bereits  nach dem Frühstück und der damit verbundenen Lektüre neuester Umfrageergebnisse voll darauf ein und richtet seine Tagesrhetorik danach aus.

Sollte er noch Anwandlungen von eigener Meinung haben, so hält er sich schon für einen Abweichler und Partei-Rebellen und bildet schlechtes Gewissen aus. Er weiß ja auch, daß er bei abweichender Meinungsäußerung von Merkel und ihrer Entourage sofort niedergebügelt und als Antimodernist verbellt würde. Seine Chancen, je aus der Hinterbänklerposition herauszukommen, würden sich rapide verschlechtern, und kein Talkshow-Politologe würde ihm beispringen, sich höchstens öffentlich darüber freuen, daß das schwarz-gelbe Regierungslager sichtbar zerfällt.

Die meisten Politologen sind ohnehin der Meinung, daß die Stimmungsdemokratie die dem Demokratiemodell am nächsten kommende Vollzugsform ist. Demokratie heißt bekanntlich Volksherrschaft, nicht Parteienherrschaft. In ihr hat zu geschehen, was das Volk will, und der Wille des Volkes entsteht keineswegs aus streng rationalen Überlegungen und Ratschlüssen, sondern ist das Resultat vielfältiger momentaner Empfindungen und eben Stimmungen. Aus der Menge der Stimmungen ermitteln die Umfragen dann die Mehrheitsstimmung, und an dieser Mehrheitsstimmung haben sich die Politiker zu orientieren, basta!

Angela Merkel hat seit ihrem Regierungsantritt die „natürliche“ Dominanz der Stimmungsdemokratie über die von vielen Idealisten so heiß geliebte Meinungs- oder Diskursdemokratie ungeniert vorexerziert und einer größeren Öffentlichkeit erstmals bewußt gemacht. Für die gelernte Physikerin ist Demokratie kein Debattierklub, sondern ein gewissermaßen nach Naturgesetzen angelegtes System („System“ ist eines ihrer Lieblingswörter), das faktisch von allein funktioniert und jede allzu intensive Einwirkung von außen erfolgreich abstößt. Die Rolle der Mächtigen besteht demnach darin, jegliche „Störung“ sorgsam vom System fernzuhalten.

Über die Folgen eines solchen Demokratiestils läßt sich streiten. Es ist ihm ein deutlich monarchisches Element beigemischt, es sieht entscheidungsfreudig aus und könnte überzeugte Dezisionisten zu dem Glauben verführen, nun würden dem „ewigen Geschwätz“ endlich Grenzen gesetzt und man komme zu den Sachen selbst. Andererseits liegt ein Odeur von Marxismus, von ideenlosem Selbstlauf und blindem Vertrauen in den „Gang der Geschichte“, über der ganzen Angelegenheit, was sich bekanntlich auch im Redestil der Kanzlerin bemerkbar macht. Muß Politik wirklich so öde sein?

Wer allen Ernstes davon überzeugt ist, die Politik sei ein bloßes physikalisches System, welches quasi von allein funktioniere und nur von äußeren Störungen frei gehalten werden müsse, der taugt ja nicht einmal als Einberufer von Klimakonferenzen! Wie hieß doch das Credo von Kopenhagen? „Der Mensch mit seinen Antrieben und Wollungen beeinflußt das Weltklima. Von ihm hängt es ab, ob die Katastrophe kommt oder nicht.“

Aber wenn die einzelnen Subjekte sogar das Weltklima beeinflussen können, dann können sie mit Sicherheit auch das ganz banale System der Politik beeinflussen, und zwar keineswegs nur, indem sie Störungen von ihm abhalten. Niemand ist dazu verdammt, lediglich wechselnden Stimmungen hinterherzulaufen, und das gilt selbstverständlich auch und vor allem für „konservative“ Wahlkämpfer, die das hohe C in ihrem Parteinamen führen.

Man kann Wahlen durchaus auf würdigere Weise gewinnen. Wie wäre es denn, wenn man es wieder einmal mit dem Vortrag guter Argumente versuchte und mit dem glaubhaften Vorzeigen honoriger Haltungen? Kein Vernünftiger sagt doch, Virilio zum Trotz, daß die Wähler sich immer nur diffusen Stimmungen hingeben. Das menschliche Leben kennt nicht nur „systemische Vorgaben“ (A. Merkel), sondern es besteht aus vielen, viel dauerhafteren Konstanten, die alle bedient und wachgehalten werden müssen. Dazu sind CDU-Politiker da.

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