BERLIN. Der Speyerer Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim hat beim Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europaparlament erhoben. Nach seiner Auffassung ist die Fünfprozenthürde für die Europawahl rechtswidrig.
Sperrklauseln widersprächen den Grundsätzen der Demokratie, der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der Parteien. Sie seien nur dann nicht verfassungswidrig, wenn sie sich durch zwingende Gründe des öffentlichen Wohles rechtfertigen ließen, so von Arnim.
Solche Gründe bestünden im Fall der Europawahl jedoch nicht, da das Europäische Parlament im Gegensatz zum Bundestag und zu den Landtagen keine Regierung wählt. Der Wegfall der Fünfprozentklausel im deutschen Europawahlgesetz werde daher „zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung relevanter Belange führen“, ist sich der Jurist sicher.
Keine Regierungs- und Oppositionsfraktionen
Die Wahl zum Europaparlament ähnele eher der in Kommunen, in denen der Verwaltungschef seit der Einführung seiner Direktwahl ebenfalls nicht mehr von der Volksvertretung, dem Gemeinderat oder Kreistag, gewählt wird. Hier habe die Rechtsprechung deshalb den Sperrklauseln ihre Berechtigung abgesprochen.
„Hinzukommt, wie das Bundesverfassungsgericht im Lissabonurteil hervorhebt, daß sich im Europäischen Parlament keine Regierungs- und Oppositionsfraktionen gegenüberstehen und deshalb die Wähler auch keine Richtungsentscheidungen treffen, die durch kleine Parlamentsparteien erschwert werden könnten“, ist sich von Arnim sicher.
Angesichts der 162 im Europäischen Parlament vertretenen Parteien könne es ohnehin nicht schaden, wenn nach Wegfall der Fünfprozentklausel Abgeordnete einiger weiterer deutscher Parteien, die bisher leer ausgegangen sind, ins Parlament einziehen, zumal es dabei nur um ein Prozent der Mitglieder des gesamten Europäischen Parlaments geht.
Sieben kleine Parteien mehr
Nach Meinung von Arnims haben insgesamt acht deutsche Abgeordnete des Europäischen Parlaments – Herbert Reul und Birgit Schnieber-Jastram (beide CDU), Constanze Krehl und Norbert Neusel (SPD), Elisabeth Schrödter und Gerald Häfner (Grüne) sowie Britta Reimers (FDP) und Martin Kastler (CSU) – ihr Mandat zu unrecht erlangt.
Statt ihrer müßten dann acht Vertreter von sieben kleineren Parteien einziehen. Kritik übt von Arnim auch an der Tatsache, daß die Fünfprozenthürde auf das gesamte Bundesgebiet und nicht länderbezogen angewandt wird. Anderfalls wären die Freien Wähler, die in Bayern 6,7 Prozent erreicht hatten, mit zwei Abgeordneten im Straßburger Plenum vertreten.
In der Begründung seiner Beschwerde führt der Speyerer Professor außerdem an, daß der Wähler in einem bevölkerungsschwachen Mitgliedstaat etwa das zwölffache Stimmgewicht eines Wählers in einem bevölkerungsstarken Mitgliedsstaat habe. „Das ist beim derzeitigen Stand der Integration allerdings nicht zu ändern und deshalb auch verfassungsrechtlich hinzunehmen“, so von Arnim.
„Ungleichheit von unerhört viel größerer Intensität“
Durch die deutsche Fünfprozentklausel, die Millionen Stimmen unter den Tisch fallen lasse, werde aber „eine Ungleichheit von unerhört viel größerer Intensität geschaffen“. Denn damit würden in einem bevölkerungsreichen Land wie Deutschland sehr viel mehr Stimmen entwertet als in kleinen Staaten.
Das ist laut von Arnim auch der Grund, warum keiner der anderen großen Mitgliedstaaten (wie etwa Frankreich oder Großbritannien) seinen Wählern eine auf das ganze Land bezogene Fünfprozentklausel zumutet, wie es sie in Deutschland gibt.
„Eine deutsche Partei oder politische Vereinigung mußte 2009 zum Überwinden der Hürde mehr Wählerstimmen bekommen, als Estland, Malta, Slowenien und Zypern zusammen benötigen, um ihre 24 Abgeordneten nach Brüssel zu schicken“, heißt es in der schriftlichen Beschwerde des Rechtswissenschaftlers.
Lehnt der Bundestag den Einspruch von Arnims ab, will dieser laut Ankündigung beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde einlegen. (vo)