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Utopie

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Medienberichten zufolge ist Sahra Wagenknecht, Europaparlamentarierin der Linken, in einen Skandal verwickelt, der in unserer Republik seinesgleichen sucht. Anfang Juni soll die bekennende Marxistin in dem Straßburger Lokal "Aux Armes" gemeinsam mit Gesinnungsfreunden an einem opulenten Mahl teilgenommen haben, in dessen Rahmen es offenbar auch zum Verzehr von Hummer gekommen ist. Fotografisch dokumentiert wurde dieses Geschehen durch ihre Fraktionskollegin Feleknas Uca. Unter einem Vorwand soll Wagenknecht sich jedoch der Kamera bemächtigt und die kompromittierenden Bilder gelöscht haben.

Mit der offiziellen Rechtfertigung der Abgeordneten, sie sei auf den Aufnahmen sehr unvorteilhaft getroffen gewesen, will sich die Sensationspresse nun nicht zufriedengeben. Sie unterstellt ihr als Sprecherin der berüchtigten Kommunistischen Plattform vielmehr ein Schamgefühl, beim Verzehr einer für den kapitalistischen Ungeist symbolischen Speise ertappt worden zu sein.

Diese Mutmaßung erscheint jedoch wenig stichhaltig. Sie basiert auf der falschen Voraussetzung, daß der Sozialismus einen asketischen Lebensstil propagiere. Dies ist aber gar nicht der Fall. Er will es lediglich nicht hinnehmen, daß das Schlemmen einer kleinen privilegierten Schicht vorbehalten bleibt. Ginge es in unserer Gesellschaft, so das sozialistische Credo, hingegen mit rechten Dingen zu, stünde Hummer sogar auf dem Speiseplan aller Menschen.

Mit Oskar Lafontaine ist ein bekennender Gourmet an die Spitze der Linken getreten, der in doppeltem Sinne Hoffnung stiftet: Die Systemalternative, für die er streitet, kann kein Zurück zu den grausamen Konsumbeschränkungen der DDR bedeuten. Und: Man darf und muß Lebensart auch schon jetzt kultivieren, ohne daß das Ziel einer gerechten Gesellschaft bereits erreicht wäre.

Sahra Wagenknecht hat somit ganz im Sinne ihres Parteivorsitzenden ein kleines bißchen Utopie wenigstens für sich selber schon heute Wirklichkeit werden lassen. Wenn sie ihr Hummermahl diskret behandelt wissen will, so mag dies beispielsweise daran liegen, daß sie das Restaurant nicht als empfehlenswert erachtet. Oder sie hält das Bewußtsein der Massen noch nicht für reif, das sozialistische Versprechen gänzlich zu verstehen. Tatsächlich schrecken die Menschen in ihrer Verzweiflung heute ja noch vor dem Wagnis einer Überwindung des Kapitalismus zurück und erschöpfen sich statt dessen im Neid gegen jene, denen es besser zu gehen scheint. Vor dieser blinden Mißgunst darf sich auch eine Sahra Wagenknecht schützen.

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