Die folgenden Geschäftsregeln fand ich in schöner Frakturschrift auf einer Tafel im Kontor der alten Kunstblumenfabrik im sächsischen Städtchen Sebnitz. Diese Fabrik ist nur noch als ein industriegeschichtliches Museum erhalten, das für eine kleine Kundschaft produziert. Die dreißig Regeln, die jemand um 1890 aufschrieb, sprechen für sich. Während der viel zu wenig beachten Berliner Rede des Bundespräsidenten, die er vor der schlichten Backsteinkulisse der Elisabethkirche hielt, dachte ich daran.
GOLDENE REGELN FÜR KAUFLEUTE UND FABRIKANTEN
(Orthographie beibehalten)
Achte Dein Fabrikat und werfe deine Waare nicht auf die Strasse!
Arbeite nicht über deine Kräfte!
Achte das Talent und fordere nicht, dass sich dasselbe blindlings dem Geldbeutel unterwerfe!
Behandle deine Arbeiter und Angestellten als Mitmenschen!
Bezahle deine Schulden aufs Pünktlichste!
Beachte die Fortschritte auf dem Gebiete der Industrie und stecke von Zeit zu Zeit eine neue Fahne auf!
Behalte die Conkurrenz im Auge, bekümmere dich sonst aber weniger um Geschäfte anderer und gehe deinen eigenen Weg!
Begnüge dich mit einem bescheidenen Nutzen, suche dir stets zahlungsfähige Kundschaft und verkaufe möglichst nur gegen Kasse!
Beim Verborgen deiner Waare siehe auf den Charakter des Käufers, dessen Ehrlichkeit und Tüchtigkeit, achte und schätze auch die kleinen ordentlichen Kunden!
Die Verkaufslust lasse nicht gar zu sehr merken und mache dich von deinen Kunden nicht abhängig!
Die besten Geschäftsleute sind die, welche Ordnung in ihren Büchern und Finanzen halten!
Fabriziere nur solide Ware!
Gehe nicht mit dem grossen Haufen!
Halte auf dein Renommee!
Hüte dich so viel wie möglich vor Wechsel-Accepten und gieb keine Gefälligkeitsgiros!
Halte deine Geschäftsstunden strengstens inne!
Habe stets ein Stück Bleistift oder Kreide in der Tasche, um sogleich rechnen zu können!
Hüte dich vor unnützen Ausgaben! Spare in der Jugend, so wirst du im Alter nicht darben!
Kaufe für deine Fabrikate gutes Material!
Lasse dich von deiner Kundschaft nicht treten!
Merke dir genau deine Kunden, ihre Eigentümlichkeiten und die Artikel, welche sie kaufen!
Meide langsame Zahler und Chikaneure!
Poche mehr auf die Solidität als auf deine alte Firma, sonst überholen dich jüngere Kräfte!
Überstürze dich nicht in deinem Geschäftseifer und lasse deine Concurrenz auch leben!
Um nicht zurückzugehen, so pflanze auf den alten Stamm ein junges Reis, d. h. ziehe junge tüchtige Kräfte in dein Geschäft, damit der alte Stamm nicht vertrocknet!
Unterstütze die Talente und du unterstützt den Fortschritt und dich selbst!
Verliere niemals den Muth, wenn hin und wieder Geschäftsstockungen eintreten, die Welt dreht sich!
Vergeude deine Zeit nicht mit unnützen Dingen; der Vormittag ist die beste Zeit zur Arbeit; meide das Arbeiten bis in die Nacht hinein!
Wiegen andere zu leicht, so wiege du schwerer; bleibe stets beim richtigen Gewicht; messen andere zu kurz, so gieb eher ein Stück zu und liefere richtiges Maass!
Zersplittere auch deine Kräfte nicht und verwende sie vorherrschend auf ein Ziel, wenn du bestehen willst!
Zeit ist Geld!