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„Wir sind keine Schulklasse, und Sie nicht der Lehrer“

„Wir sind keine Schulklasse, und Sie nicht der Lehrer“

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Wäre die ganze Sache nicht so ernst, dann könnte man sagen, daß der Unterhaltungswert des Prozesses gegen den 90 Jahre alten ehemaligen Wehrmachtsoffizier Josef S. aus Ottobrunn (JF 47/08), dem vorgeworfen wird, für ein Massaker an Zivilisten im norditalienischen Cortona di Falzano im Juni 1944 verantwortlich zu sein, bei dem 14 Menschen ihr Leben verloren, weiterhin ungebrochen sei. Waren es in den ersten Monaten die Zeugen, welche unfreiwillig eine komische Figur abgaben, so spielte sich zuletzt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl in den Vordergrund.

Mit seiner abkanzelnden Art gegenüber der Verteidigung provozierte er eine Gegenreaktion von Rechtsanwalt Klaus Goebel, der ihm entgegenhielt: „Wir sind keine Schulklasse, und Sie sind nicht der Lehrer.“ Zuvor war Götzl schon mit dem als Beobachter unter den Zuschauern weilenden Historiker Walter Post zusammengestoßen. „Was fällt Ihnen ein, sich so zu verhalten. Wenn Sie meinen, Sie würden sich so gut auskennen und könnten etwas zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen, dann können Sie ja auch als Sachverständiger aussagen. Dann lasse ich Sie vorladen. Wer sind Sie überhaupt?“ – „Dr. Walter Post, Berufshistoriker.“ – „Vorsicht mit diesem Mann“, bemühte sich daraufhin der vom Gericht geladene Sachverständige Peter Lieb (34), deutscher Militärhistoriker an der Royal Military Academy Sandhurst in Großbritannien. Ausgangspunkt war eine Bemerkung Liebs, welche den von der Staatsanwaltschaft beantragten Sachverständigen Carlos Gentile in den Rang einer Historiker-Koryphäe hob.

Dies löste bei Post, der 1995 mit „Unternehmen Barbarossa – deutsche und sowjetische Angriffspläne 1940/41“ für Aufsehen gesorgt hatte, Kopfschütteln aus. Nach seiner Warnung vor Post ergänzte Lieb: „Man muß schon sagen, daß es Leute gibt, die beim Thema Wehrmacht mehr politisch argumentieren. Gentile muß ich aber in Schutz nehmen, das ist bei ihm nicht der Fall.“ Wenn man weiß, daß Gentile Vorträge wie „Vernichtungskrieg im Westen. Die deutsche ‘Bandenbekämpfung’ in Italien und Frankreich“ hält, dann fällt es schwer, Lieb in dieser Sache zu folgen.

Inzwischen findet der Prozeß weltweit Beachtung. Die New York Times war bereits vor Ort und veröffentlichte einen größeren Artikel, der britische Fernsehsender BBC plant nach dem Urteil eine Dokumentation über den Fall. Außerdem waren Journalisten aus Rußland, Frankreich und Italien zugegen. Besonders spannend war das Gespräch des ungarischen Historikers Krisztian Ungvary, der 1999 zusammen mit dem deutsch-polnischen Historiker Bogdan Musial die Hamburger „Wehrmachtsausstellung“ zahlreicher Fehler überführte, mit einem Reporter eines öffentlich-rechtlichen tschechischen Radiosenders.

Nach dem Interview erklärte Ungvary, der als Sachverständiger für Uniformen geladen worden war, dem Journalisten, er hielte es für besser, der Radiosender würde einen Beitrag über das „Europäische Netzwerk gegen Vertreibung“ bringen, weil sich Tschechien noch immer weigere, einen Vertreter in dieses Gremium zu berufen. „Die offizielle tschechische Seite fehlt dort. Man muß aber miteinander sprechen. Ich glaube, daß sich viele Probleme durch Gespräche lösen lassen. Der tschechische Standpunkt muß in Deutschland vorgestellt werden und der deutsche Standpunkt in Tschechien“, forderte der 39jährige, der als ungarischer Delegierter dieser Stiftung angehört.

Jenes Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität – so die offizielle Bezeichnung – war 2005 auf Anregung von Markus Meckel (SPD) in Warschau gegründet worden und sollte einen Gegenentwurf der damaligen rot-grünen Bundesregierung zum vom Bund der Vertriebenen vorgeschlagenen Zentrum gegen Vertreibungen darstellen. Vertreten sind dort Deutsche, Polen, Ungarn und Slowaken.

Diametral verschieden zum großen Medieninteresse an den Verhandlungstagen sind die neuen Erkenntnisse, die nämlich gegen Null tendieren. Schon die aufwendigen und kostspieligen Videovernehmungen hatten nichts eingebracht. „Was ich vor ein paar Jahren zu Protokoll gegeben habe, das war die Wahrheit. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Das ist alles sehr lange her, und seit der letzten Vernehmung durch die italienische Polizei sind schon wieder ein paar Jahre vergangen und ich bin noch älter geworden“, lautete der Tenor der befragten italienischen Greise.

Und auch Militärhistoriker Lieb konnte in der Sache nichts beisteuern. „Wir haben ein riesiges Dokumentenproblem, uns fehlen die Akten weiter unten“, bestätigte der Sachverständige, daß es keine den Angeklagten belastenden Primärquellen gibt. Zugleich betonte Lieb, daß der Befehl für eine derartige Vergeltungsmaßnahme „nur vom Divisionskommandeur oder höher“ erfolgen konnte. „Aber es gab Ausnahmen“, wollte sich Lieb dann doch nicht festnageln lassen.

Der Prozeß gegen Josef S. dauert nun mittlerweile schon sechs Monate, und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht. Am 16. März wird die Verhandlung fortgesetzt, das Urteil gegen den ehemaligen Gebirgsjäger wird aber wohl erst im Mai gesprochen.

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