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Churchill war ein böser Kriegstreiber

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Seit einigen Monaten tobt ein kleiner Sturm durch das deutschsprachige Feuilleton. Ratlos und verärgert stehen viele Blätter dem Buch eines gern gehätschelten Autors gegenüber. Nicholson Baker, anerkanntermaßen einer der großen amerikanischen Erzähler der Gegenwart und viel gelobt für seine ironischen und polemischen Vorstöße gegen die Absurditäten der Zeitläufte, hat sich diesmal unbeliebt gemacht. Statt George Bush ins Visier zu nehmen wie 2004 in „Checkpoint“ oder die alltägliche Büchervernichtungen in US-Bibliotheken zu beklagen wie im „Eckenknick“ von 2005, führt er diesmal vor, wie Kriege entstehen, wie Kriegsparteien sich gegenseitig hochschaukeln — pikanterweise am Beispiel des Zweiten Weltkriegs. Schon in den USA traf das Buch auf verärgerte Reaktionen. Bei soviel anerkannter Wechselwirkung wittern bundesdeutsche Redakteure gern einen Verstoß gegen die Dogmen von Überfall und Alleinschuld und gehen quasi instinktiv dagegen vor. Dabei fällt dies in der Sache durchaus schwer. Baker hat bewußt keinen Roman geschrieben, sondern eine literarisch anspruchsvolle, aber durchgehend nicht-fiktionale Darstellung. Er verteilt keine Schuld, hält sich zurück und verzichtet weitgehend auf Wertungen historischer oder allgemeiner Art. Statt dessen läßt er Fakten sprechen und bringt, in chronologischer Reihenfolge geordnet, jeweils kleine Absätze von meistens etwa einer halben Seite, die immer recht präzise eine wahre Begebenheit schildern. Baker geht weit zurück, bis zur allzu optimistischen Einschätzung Alfred Nobels, das von ihm neugeschaffene Zerstörungspotential werde Kriege vielleicht ganz unmöglich machen, da doch jeder die existentielle Gefährdung der Menschheit durch weitere Kampfhandlungen einsehen müsse. Gleich darauf kommt er als Kontrast zu Stefan Zweig und dessen Beobachtungen, als die liebenswürdigen Bürger im französischen Tours, die nichts über die Welt wußten, als was sie in der Zeitung gelesen hatten, eines Tages völlig verrückt vor Aggressivität wurden. Es war im Frühling 1914. Im Kino war für einen Augenblick Kaiser Wilhelm II. auf der Leinwand zu sehen gewesen. Der Zweite Weltkrieg, dessen Vorgeschichte Baker im weiteren nachspürt, erscheint aus dieser Perspektive als eine Fortsetzung des Ersten. Das Personal blieb auf alliierter Seite an prominenter Stelle identisch, was sowohl für Winston Churchill wie für Franklin Roosevelt gilt. Es sei, als würde man eine lange unterbrochene Routine wieder aufnehmen, zitiert Baker den Kommentar des amerikanischen Präsidenten zum Kriegsausbruch am 1. September 1939. Man dachte sich zuvor auf alliierter Seite etwas und sah den Krieg kommen, ja, man verschärfte sogar den politischen Kurs hin zu einem Kriegskurs. Auf diesen Gedanken läßt Baker den Leser von selbst kommen. Dessenungeachtet scheut er sich nicht, mit zahlreichen Äußerungen des antinationalsozialistischen deutschen Lagers, etwa von Ulrich von Hassell oder Helmuth von Moltke, den innerdeutschen Wahnwitz zu belegen. Auch Viktor Klemperer kommt ausführlich zu Wort. Soweit er die Kriegszeit bearbeitet, konzentriert sich Baker im wesentlichen auf zwei Themen. Die Eskalation der militärischen Handlungen nach dem September 1939 und insbesondere des Bombenkriegs wird richtigerweise als von Churchill gewünscht erkennbar. Daß Hitler mehrfach und auch nach dem Fall von Frankreich Friedensbedingungen anbot, die dem britischen Botschafter in Washington, Lord Lothian, als „überaus befriedigend“ erschienen und deren Annahme er dringend empfahl, gibt der Autor an dieser Stelle nicht wieder. Baker zitiert die Begebenheit leider nur verkürzt, als allgemeine Empfehlung Lothians, im Radio nichts gegen den Frieden zu sagen. Bakers zweites großes Thema ist die nationalsozialistische Judenverfolgung, die in der Vorkriegszeit in Hitlers öffentlicher Ankündigung vom Januar 1939 gipfelte, die europäischen Juden hätten im Kriegsfall ihre Ausrottung zu erwarten. Im alliierten Lager interessierte das eigentlich niemanden so recht. Die immer neuen Verschärfungen der Judenverfolgung blieben von Regierungsseite ohne Echo und praktischen Rettungsversuch. Baker bricht die Darstellung mit dem Jahresende 1941 ab, für das weitere Geschehen fehlten ihm vielleicht die Worte. Möglicherweise wird dies eines Tages anders sein. Es wäre dann ein weiterer Beitrag zur Überwindung der Schuldklischees, von denen sich viele Feuilletonisten nicht abnabeln können. Nicholson Baker: Human Smoke — The Beginning of World War II, the End of Civilization. Simon and Schuster, New York, London 2008, gebunden, 566 Seiten, 30 US-Dollar

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