Seit geraumer Zeit mehren sich auf den politologischen Marktplätzen Buch- und Aufsatztitel, die eine Hausse jenes „Kosmopolitismus“ anzuzeigen scheinen, von dem man glaubt, er sei mit dem 18. Jahrhundert untergegangen. Das geht einher mit heftigen Attacken gegen das politische Ordnungsprinzip nationalstaatlicher Souveränität. Ein Werk wie das des US-Autors Stephen Krasner, „Sovereignity. Organized Hypocrisy“ (Princeton 1999), ist dafür symptomatisch. Souveränität ist also die „organisierte Scheinheiligkeit“. Ebensolche Affekte entluden sich im Plädoyer von Andrew Strauss und Richard Falk, als sie unter dem Eindruck des „11. September“ dem „demokratischen Transnationalismus“ und der Einrichtung einer „Globalen Parlamentarischen Versammlung“ das Wort redeten. Diese Versammlung solle die viel zu vielen Nationalstaaten unter Druck setzen, die immer noch auf ihre Souveränität pochten, um doch nichts anderes zu tun, als fortwährend die „Menschenrechte“ zu mißachten. Dahinter steckt die Utopie der herrschaftsfreien Gesellschaft Zu den internationalen Stars unter extremistischen Kosmopolitismus-Predigern zählt mittlerweile die in Yale Political Science lehrende Seyla Benhabib. Die 1950 in Istanbul geborene, auf dem dortigen American College for Girls und an US-Universitäten sozialisierte Politologin, deren Werk sich vollständig aus den intellektuellen Impulsen der Diskurstheorie Jürgen Habermas‘ speist, ist in jüngster Zeit fast monatlich mit einschlägig programmatischen Publikationen hervorgetreten. Unter denen bündelten bislang ihre „Transformation of Citizenship. Dilemmas of the Nation-State in the Era of Globalization“ (Amsterdam, 2000) sowie Aihwa Ongs „Flexible Citizenship“ (Durham, 1999) am vollständigsten die Standardideologeme des sich vielfach auf Kant berufenden Neo-Kosmopolitismus. Eine Kurzfassung ihrer „Transformation“-Studie bietet die als Vielschreiberin ihrem Lehrer Habermas nacheifernde Benhabib nun in einem Beitrag zum Themenheft „Schwerpunkt: Kosmopolitismus“ der Deutschen Zeitschrift für Philosophie (Heft 1/2005). Dieses ist von der Wiener Benhabib-Bauchrednerin Herta Nagl-Docekal redaktionell gestaltet, enthält aber mit dem Aufsatz der Londoner Politologin Chantal Mouffe zugleich einen wuchtigen Gegenstoß, der die „multipolare Weltordnung“ im Stile des – selbstverständlich nicht genannten – Carl Schmitt verteidigt. Benhabib geht wie gewohnt von der „Krise des Nationalstaats“ aus, entsprechend überzeichnet und dramatisiert, wie man es in Deutschland von dem herrschenden Diskurs über die „postnationale Konstellation“ (Habermas) und dem Lobpreis für das „babylonische Herz der Weltgesellschaft“ (Ulrich Beck) seit langem gewohnt ist. Die utopistische Zielvorstellung, Dreh- und Angelpunkt ihrer gesamten Argumentation, ist dabei ein uralter Bekannter, nur wortreich neu drapiert: die herrschaftsfreie Gesellschaft. Ihr steht der souveräne Nationalstaat entgegen. Aber nicht mehr lange, denn die Globalisierung von oben, durch die international agierenden Wirtschafts- und Finanzeliten, Arm in Arm mit der Globalisierung von unten, den Vorkämpfern der „globalen Zivilgesellschaft“, den Umwelt-, Friedens- und „multikulturellen Bewegungen innerhalb der Nationalstaaten“, werden diesem Relikt den Garaus machen. Für Benhabib knüpfen sich überall grenzübergreifende „Netzwerke der Solidarität“, die „Entterritorialisierung“ der Politik mache Fortschritte, eine „globale Gegenöffentlichkeit“ entstehe. Ein auf diese Triumphe der Nomadisierung folgender Schritt müsse die „Disaggregation von Staatsbürgerschaft“ sein. Klingt hochgestochen, ist aber nur eine Umschreibung für die Primitivlosung „Bleiberecht für alle“. Benhabib schwebt bei der „Disaggregation“ das holländische Modell einer „postnationalen Bürgerschaft“ vor. Danach würden wie heute schon in den niederländischen Städten jedem „Einwanderer“ in die EU politische Mitspracherechte mindestens auf lokaler Ebene gewährt – unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft. „Multikulturelle Enklaven in den großen Städten“ seien schließlich „überall auf der Welt“ die „Vorboten jener neuen Formen von Bürgerschaft, die nicht länger auf exklusiven Verbindungen zu einem spezifischen Land, zu einer Geschichte und Tradition beruhen“. „Holländische Verhältnisse“ weltweit bedeutet auch, „Einwanderung zu entkriminalisieren“. Das „Überschreiten staatlicher Grenzen“ sei ein „Streben nach humaner Verbesserung“. Der Migrantenzustrom nach Europa erweitere daher unsere „demokratische Gemeinschaft“, gewöhne immer mehr Menschen an die Techniken des herrschaftsfreien Diskurses und stifte „vernünftige Identität“, die allein das Miteinander ordne, wenn die auf „Ethnizität, Religion und Nationalität“ basierenden Gemeinschaften schon Geschichte seien. Kritik am westlichen Drang zur Weltherrschaft Aus der Sicht der Benhabib-Kritikerin Chantal Mouffe verbirgt sich hinter diesem radikalen Kosmopolitismus nur unzureichend der weltweite Herrschaftsanspruch des „westlichen Modells“. In der arabischen Welt werden die Weltbeglückungs-Entwürfe der Strauss, Falk und Krasner ohnehin als „Ostküstentheorie“ an die jüdische Herkunft ihrer Urheber geknüpft. Aber auch Mouffe läßt keinen Zweifel daran, daß diese „kosmopolitische Illusion“ außerhalb der USA und Europas als „aufgezwungene Universalisierung“ wahrgenommen werde. Statt Frieden und Wohlstand zu bringen, schaffe diese angemaßte „zivilisatorische Mission“ nur die ideologische Voraussetzung für immer „blutigere Reaktionen von seiten derjenigen, deren Kulturen und Lebensformen durch diesen Prozeß zerstört werden“ sollen. Der kosmopolitische Anspruch, die Welt zu homogenisieren, provoziere unvermeidlich gewaltsame Reaktionen jener Gesellschaften, deren „Werte und Kulturen durch die gewaltsame Universalisierung des westlichen Modells ihre Legitimität verlieren“.
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