Zivilisationen entstünden, meinte Arnold Toynbee, wenn „schöpferische Minderheiten“ Lösungen für die große Krise des Zeitalters suchten. Gelänge es ihnen nicht, die Krise zu meistern, gingen sie zugrunde. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches und den Barbareneinfällen habe die katholische Kirche die Grundübel des damaligen Zeitalters Zwietracht und Chaos überwunden, spann Toynbee seinen Gedankengang weiter. Hierdurch habe sie eine neue Gesellschaft begründet, der eine neue Zivilisation und Kultur entsprungen sei. Damit begann die Geschichte des Christentums. Vom fünfzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert schrieb das Abendland die Weltgeschichte. Aus den christlichen Ländern Europas kamen die Entdecker, die Missionare, die Eroberer und die Kolonisatoren, die im zwanzigsten Jahrhundert fast die ganze Welt regierten. Allerdings hatte der Niedergang des Abendlandes damals bereits eingesetzt. Als erstes trat das spanische Weltreich von der Bühne ab, nachdem ihm Amerika anno 1898 den Gnadenstoß versetzt hatte. Doch für die westliche Zivilisation als Ganzes erwiesen sich die Wunden als tödlich, die sie im abendländischen Bürgerkrieg, jenem zweiten Dreißigjährigen Krieg von 1914 bis 1945, hinnehmen mußte. 1918 waren das deutsche, das österreichisch-ungarische und das russische Kaiserreich zusammengebrochen. Der Zweite Weltkrieg führte zur Ausblutung und zum Zusammenbruch des britischen und des französischen Imperiums. Einer nach dem anderen fielen die strategischen Außenposten der Kolonialmächte: Suez mitsamt der Kanalzone, Rhodesien, Südafrika, Hongkong. Nach drei Jahrzehnten war der Rückzug Europas aus Asien und Afrika abgeschlossen. (…) Laut Arnold Toynbees Konzept von Herausforderung und Reaktion besteht die Krise des Westens in drei unmittelbaren und tödlichen Gefahren: sterbende Bevölkerungen, zerfallende Kulturen und fremde Invasionen, die auf keinen nachhaltigen Widerstand mehr stoßen. Die Geschichte wiederholt sich. Nachdem die römische Republik von der Stadt am Tiber aus ihren Siegeszug angetreten, zuerst Italien und dann einen großen Teil der damals bekannten Welt von Spanien bis Jerusalem und von Karthago bis zum Hadrianswall unter ihre Herrschaft gebracht hatte, sickerten die unterjochten Völkerschaften ihrerseits in die Hauptstadt des Kaiserreiches ein. Rom wurde zur vielsprachigen Stadt, in der sich sämtliche Religionen und Kulturen des Imperiums ein Stelldichein gaben. Doch diese fremden Völker brachten keine Ehrfurcht vor den römischen Göttern, keine Achtung gegenüber der römischen Tradition und keine Liebe zur römischen Kultur mit. So wie Rom die Barbaren unterworfen hatte, unterwarfen die Barbaren nun Rom. Im fünften Jahrhundert erstürmte und plünderte ein nördlicher Stamm nach dem anderen die Ewige Stadt; den Auftakt dazu bildete die Eroberung durch Alarich und die Westgoten im Jahre 410. Es begannen die dunklen Jahrhunderte. Wie einst Rom siecht heute der gesamte Westen dahin, infolge derselben Ursachen und unter ganz ähnlichen Umständen. Was die Donau und der Rhein für Rom waren, sind der Rio Grande beziehungsweise das Mittelmeer für Amerika und Europa – die Grenzen einer Zivilisation, die nicht mehr ernsthaft verteidigt wird. (…) In seiner Studie aus dem Jahre 2005 „The Fall of the Roman Empire: A New History of Rome and the Barbarians“ (Der Untergang des römischen Reiches: Eine neue Geschichte Roms und der Barbaren) widerspricht der Oxford-Historiker Peter Heather den Thesen der traditionellen Historiker und erklärt den Untergang des römischen Imperiums mit der Weigerung Roms, einer großen Armee von Flüchtlingen Einhalt zu gebieten, die im letzten Viertel des vierten Jahrhunderts an seine Grenzen pochte: „Im Jahre 376 stieß eine große Schar gotischer Flüchtlinge zur Donaugrenze des Reichs vor und bat um Aufnahme. Man öffnete ihnen ohne jede Einschränkung die Grenzen, was einem völligen Bruch mit der herkömmlichen römischen Politik gleichkam. Sie rebellierten, und innerhalb von zwei Jahren besiegten und töteten sie Kaiser Valens, der sie gastlich aufgenommen hatte, und mit ihm zwei Drittel seines Heeres in der Schlacht von Adrianopel.“ Zunächst habe man dieses „jähe Auftauchen einwanderungswilliger Goten“ überhaupt nicht als Problem wahrgenommen, schreibt Heather. „Ganz im Gegenteil, Valens gewährte ihnen bereitwillig Aufnahme, weil er diese entwurzelte Menschenflut als große Bereicherung betrachtete.“ Der römische Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus berichtet, welch warmer Empfang den Goten zuteil wurde: „Die Angelegenheit erweckte mehr Freude als Furcht, und kultivierte Schmeichler priesen das Glück des Fürsten, das ihm unverhofft so viele junge Rekruten vom Ende der Erde beschert habe, mit überschwenglichen Worten …“ Was Valens tat, entsprach zwar christlicher Ethik, nicht jedoch römischer Tradition. Ein modernes Gegenstück zu diesem römischen Kaiser ist George W. Bush. Im Mai 2006 forderten republikanische Senatoren auf Bushs Drängen nämlich gemeinsam mit demokratischen Amtskollegen eine völlige Amnestie für zwölf Millionen illegale Einwanderer und verlangten, amerikanischen Firmen die Genehmigung zur Anwerbung von Gastarbeitern zu gewähren. Daß Millionen von Lateinamerikanern unter mexikanischen Flaggen durch amerikanische Städte marschiert waren, hatte manche dieser Senatoren schockiert. Durch die Legalisierung ihres Status sollten sie nun zu guten Amerikanern werden. Wie einst Kaiser Valens wurde Bush für seine Menschenfreundlichkeit und sein visionäres Handeln gelobt. So wie damals für Rom die Totenglocken läuteten, so läuten sie heute für das Abendland. Aus Algerien, Tunesien, Marokko, Mauretanien und den ehemaligen französischen Kolonien südlich der Sahara setzen unübersehbare Menschenmassen über das Mittelmeer. Die Mandatsgebiete, die Europa weiland dem Osmanischen Reich abrang, dienen heute als Sprungbrett für eine islamische Invasion, die das Gesicht der Alten Welt verändert, und die Zukunft, die die militanten Imame für Europa planen, entspricht ganz gewiß nicht jener, von der die Bürokraten in Brüssel träumen. Im Jahre 2005 waren die Zeichen an der Wand nicht mehr zu übersehen. Die Kinder arabischer und afrikanischer Völker, über die Frankreich einst regierte, plünderten die Vororte von Paris sowie von dreihundert weiteren französischen Städten und steckten auf der Straße Autos in Brand. Einsame Rufer in der Wüste hatten vergebens vor dieser Entwicklung gewarnt. Ebenfalls im Jahre 2005 gab es in Rußland 750.000 weniger Geburten als sonst, wodurch die Bevölkerung Rußlands auf 143 Millionen schrumpfte. Aufgrund extrem niedriger Geburtenraten sowie einer geringen Lebenserwartung wird sie innerhalb eines einzigen Jahrzehnts um weitere zehn Millionen abnehmen. Gleichzeitig überqueren alljährlich Heerscharen chinesischer Arbeiter und Händler den Amur und den Ussuri, um auf russischem Territorium zu arbeiten und zu leben, wobei sie das dem Reich der Mitte einst von den Zaren abgenommene Land und die Heimstatt der letzten großen unerschlossenen Bodenschätze der Erde, Sibirien und den russischen Fernen Osten, allmählich zurückerobern. Im Kaukasus und in Zentralasien greifen Heilige Krieger zu den Waffen, um Mütterchen Rußland dorthin zurückzutreiben, woher die Kosaken vor Jahrhunderten gekommen waren. Solche Entwicklungen beschränken sich aber nicht auf Europa; sie machen auch vor den Vereinigten Staaten nicht halt. Im achtzehnten Jahrhundert begann Amerika seinen rastlosen und unaufhörlichen Eroberungsfeldzug von der atlantischen Küste über die Berge bis hin zum Colorado. Im Zeitalter der Präsidenten Jackson und Polk entrissen die USA den Spaniern Florida und zwangen das junge Mexiko, ihnen Texas, den Südwesten und Kalifornien abzutreten. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts hatten wir Hawaii, Guam, Puerto Rico und die Philippinen annektiert. Anno 1900 marschierten U. S. Marines Seite an Seite mit britischen Truppen nach Peking, um den Boxeraufstand niederzuschlagen. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts fielen die Vereinigten Staaten in Mexiko ein, bauten den Panama-Kanal, intervenierten in der Karibik und in Zentralamerika, zertrümmerten das japanische Reich und eroberten den Pazifik sowie Ostasien. Doch nun schlägt der Wind um. Im Jahre 1960 gab es in den USA vielleicht fünf Millionen Asiaten und Lateinamerikaner. Heute sind es 57 Millionen. Zwischen zehn und zwanzig Prozent aller Mexikaner, Mittelamerikaner und Menschen von den karibischen Inseln leben heutzutage auf dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein bis zwei Millionen Menschen wandern jedes Jahr ein und bleiben hier, die Hälfte davon unter Mißachtung amerikanischer Gesetze und unter Verletzung amerikanischer Grenzen. Niemand weiß, wie hoch die Anzahl der illegalen Immigranten ist. Die Schätzungen reichen von zwölf bis zwanzig Millionen. Dies ist keine Einwanderung von der Art, die Amerika schon früher gekannt hat, als Männer und Frauen die bewußte Entscheidung trafen, ihren Heimatländern den Rücken zu kehren und den Ozean zu überqueren, um Amerikaner zu werden. Dies ist eine Invasion, die größte Invasion der Geschichte. Nie zuvor ist innerhalb einer so kurzen Zeitspanne eine derart gewaltige Migrationswelle erfolgt. In den USA leben heute 36 Millionen Einwanderer und ihre Kinder – fast ebenso viele Menschen, wie zwischen 1607, als drei Schiffe mit britischen Siedlern an der Küste von Virginia landeten und dort eine Ortschaft namens Jamestown gründeten, und 1960, als John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde, nach Amerika gekommen waren. Annähernd 90 Prozent aller Immigranten stammen heutzutage von Kontinenten und aus Ländern, deren Völker sich noch in keinem westlichen Staat wirklich assimiliert haben. Gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner erfährt unser Land einen radikalen Wandel. Während unsere Eliten nervös wegblicken oder der Invasion gar noch Beifall spenden, sind wir Augenzeugen einer der großen Tragödien der Menschheitsgeschichte. Historiker von Edward Gibbon bis Oswald Spengler, von Arnold Toynbee bis zu Will und Ariel Durant haben die Symptome sterbender Zivilisationen präzise geschildert: Tod des Glaubens, Entartung der Moral, Verachtung für die alten Werte, Zusammenbruch der Kultur, Lähmung des Willens. Doch die beiden sichersten Zeichen, die auf den nahen Tod einer Zivilisation hindeuten, sind ein Schrumpfen der Bevölkerung und Einfälle fremder Völker, gegen die sich niemand mehr zur Wehr setzt. (…) Bei uns in Amerika nehmen die Selbsttäuschung über das, was geschieht, sowie die Lähmung angesichts der Krise beispiellose Ausmaße an. Was soll man von einem Menschen denken, der es Fremden erlaubt, sich in seinem Haus breitzumachen, die zudem von ihm verlangen, daß er sie nähre, kleide sowie ihnen Unterschlupf und das Erstgeburtsrecht gewähre? Was läßt sich zugunsten einer herrschenden Elite sagen, die zuläßt, daß ihrer Nation solches angetan wird, und es auch noch als Meilenstein des moralischen Fortschritts feiert? Wir sind Zeugen, wie Nationen untergehen. Der letzte Akt unserer Zivilisation hat begonnen. Die letzte Szene wird die Zerstörung der Nationen sein. Die vorletzte Szene ist bereits in vollem Gange: Sie besteht aus einer Invasion, gegen die sich kein Widerstand mehr regt. Patrick J. Buchanan: Irrweg Einwanderung. Die weiße Welt am Abgrund, Bonus-Verlag, Selent 2007, gebunden, 288 Seiten, 22,80 Euro Stichwort: Patrick. J. Buchanan Patrick J. Buchanan (69) arbeitete unter den US-Präsidenten Richard Nixon, Gerald Ford, Ronald Reagan und George Bush sen. unter anderem als Berater und Pressesprecher im Weißen Haus. 1992 und 1996 bewarb er sich als Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Im Jahr 2000 war er Präsidentschaftskandidat für die Reform Party des US-Milliardärs Ross Perot. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift The American Conservative und bekannter Buchautor („Der Tod des Westens“, JF 13/02).