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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Unilateralismus auf dünnem Eis

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Viele der so pragmatisch klingenden wie vorgeschobenen Warnungen, die sich die Amerikaner auf ihrem unaufhaltsamen Weg in den Krieg gegen den Irak anhören mußten, haben sich als unbegründet herausgestellt. Die Dauer der Kampfhandlungen war kurz. Es gab geringere militärische und zivile Verluste zu beklagen als erwartet. Die weltwirtschaftliche Konjunktur hat sich nicht eingetrübt, und auch die Region insgesamt ist nicht in den Abgrund gerissen worden. Dennoch scheint nichts mehr so, wie es in den harmonischen Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges war, deren letzten Höhepunkt 1999 das Nato-Jubiläum im Schatten des Kosovo-Krieges markierte. Die „transatlantische Solidarität“ ist eine Redensart geworden, die nicht mehr den Zustand des Bündnisses beschreibt, sondern eine gute, alte Zeit beschwört, in der man gemeinsam den Sieg im Ost-West-Konflikt errang. Die USA gehen unter ihrem derzeitigen Präsidenten eigene Wege, auf denen ihnen manche langjährige Verbündete weder folgen wollen noch wirklich entgegentreten können. Ohne in Beschönigung oder Schwarzmalerei zu verfallen, nimmt der von Gerhard Hubatschek herausgegebene Band die durch den Irak-Krieg geschaffenen Fakten zum Ausgangspunkt einer breit angelegten und in der Vielzahl der Publikationen zum Thema herausragenden Analyse, welche die Debatte im Vorfeld des Konflikts nicht ausklammert, das Augenmerk aber vor allem darauf richtet, wie die in ihr zutage getretenen Antagonismen auf nationaler und internationaler Ebene überwunden werden können. Insbesondere Klaus Naumann, der als ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses selbst lange Jahre Verantwortung für die Gestaltung der deutschen und der „euroatlantischen“ Sicherheitspolitik trug, verbindet eine ernüchternde Bilanz mit der Frage, wie aus der Krise des Bündnisses gelernt werden könnte. Weder die Bundesregierung noch die USA bleiben dabei von Kritik verschont. Die Haltung, sich einem Waffengang gegen den Irak auch dann zu enthalten, wenn er von den Vereinten Nationen sanktioniert werden sollte, habe Deutschland isoliert. Wer Gewalt prinzipiell ausschließe, so Naumann, schaffe ein machtpolitisches Vakuum, das Krisen und Konflikte eher produziere als verhindere. Die USA hingegen hätten durch ihr Vorgehen ihre Glaubwürdigkeit und damit auch ihre Vorbildfunktion verloren. Alle Institutionen, die noch vor kurzem als Säulen der internationalen Ordnung galten, sieht Naumann beschädigt: die Vereinten Nationen durch die USA, die Nato und die EU durch Frankreich, Deutschland und Belgien. Wo er vorgibt, einen Ausweg aus dieser für ihn unbefriedigenden Situation zu skizzieren, bietet er jedoch nicht mehr als einen Appell. Die Amerikaner sollten ihren Verbündeten Einfluß einräumen, ohne sie mit ständig wechselnden Zielen zu überfordern. Gerade dies scheinen sie im festen Glauben an die Berechtigung ihrer Weltgeltung aber nicht zu beabsichtigen. Die Europäer sollten im Gegenzug „den Willen und vor allem die Fähigkeit entwickeln, gemeinsam mit den USA da und dort zu handeln, wo gemeinsame Interessen zu wahren sind“. Zu diesem Zweck müßten sie insbesondere ihre Streitkräfte in einer Weise modernisieren, die sie zu echten, weil unverzichtbaren Partnern werden ließe. Wie die europäischen Regierungen dies finanzieren und ihren Wählern schmackhaft machen könnten, beantwortet Naumann nicht. Die Büchse der Pandora öffnet er, wo er ein Völkerrecht in Frage stellt, das nicht zwischen „Demokratien“ und „Diktaturen“ unterscheidet und Kriege nur dann als legitim anerkennt, wenn sie der Selbstverteidigung gegen den Angriff eines anderen Staates dienen. Wo Naumann nur zweifelt, steht das Urteil der Geschichte über das klassische Völkerrecht für Kurt Lehner bereits fest: Es ist „gescheitert“, und die Vereinten Nationen sind allein schon deshalb obsolet, weil sie „nicht legitimierte Staaten“ als Mitglieder mit allen Rechten dulden. Das Buch bietet jedoch weit mehr als derart prononcierte und zum Teil sogar provozierende Wortmeldungen in einer aktuellen Diskussion. Sein Wert liegt vor allem darin, daß es vorurteilsfrei die Weltmachtposition der USA und die Fundamente, auf denen diese steht, ausleuchtet. Drei Beiträge sind hier hervorzuheben: Peter Goebel läßt deutlich werden, woraus sich die militärische Überlegenheit der Amerikaner speist. „Network Centric Warfare“ kann nicht mehr als die Auferstehung von Illusionen der New Economy im Waffenrock belächelt werden. Der Irak-Krieg hat vielmehr gezeigt, daß es sich hier um die zentrale Fähigkeit von Streitkräften im 21. Jahrhundert schlechthin handelt. Jens van Scherpenberg baut einem Attentismus vor, der da meint, die amerikanische Macht werde über kurz oder lang schon aus ökonomischen Gründen an ihre Grenzen stoßen. Die USA sind nach seiner Überzeugung nicht wirklich darauf angewiesen, internationale Unterstützung zu erhalten, um die Folgekosten des Krieges zu decken. Wo 1991 noch die Verbündeten mit (nicht rückzahlungspflichtigen) Zuwendungen die Last mittrugen, behelfe man sich heute mit Krediten. Eine „ausländische Finanzierung des Haushalts- und Leistungsbilanzdefizits“, vor allem durch China und Japan, sorge dafür, daß Bush den Wählern weiterhin „Kanonen und Butter“ bieten könne. Daß die ökonomischen Ressourcen der USA noch längst nicht ausgereizt sind, betont auch Lutz Unterseher: Der Verteidigungshaushalt nahm 2003 gerade einmal 3,5 bis 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Anspruch, unter Reagan waren es noch sechs Prozent gewesen. Unterseher geht der Frage nach, ob mit einer vergleichbaren US-Intervention in einer anderen Region der Welt zu rechnen ist. Seiner Auffassung nach läßt der Irak-Krieg eine Strategie erkennen, die genau dies ermöglichen soll: Die USA haben sich von „verpflichtenden Einbindungen“ abgekoppelt und gehandelt, ohne tatsächlich auf Verbündete angewiesen zu sein. Mit einem knappen Mittel- und Truppeneinsatz vermochten sie, einen Blitzkrieg mit Schadensminimierung – insbesondere hinsichtlich der eigenen Kräfte – zu führen. Unter den Staaten, die den USA mißfallen, weil sie sich dem „freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Informationen“ versperren, sind einige zu unbedeutend, so daß sie eine Intervention nicht lohnen, andere sind – wie Brasilien oder Pakistan – zu groß und zu komplex, als daß man sich eine dauerhafte Kontrolle und Umgestaltung ohne weiteres zumuten wolle. Von den Staaten, die in etwa die Dimension des Irak haben, ließe sich nur Nordkorea in vergleichbarer Weise als ein „Schurkenstaat“ deklarieren. Hier würde man jedoch durch eine Invasion relevante Regionalmächte herausfordern. „In vielerlei Hinsicht“, so Untersehers Fazit, „war der Irak als Kriegsgegner also ein Sonderfall.“ Foto: US-Zivilverwalter Bremer (Mitte) besichtigt Iraks größte Ölraffinerie in Baidscha: Eigene Wege gehen Gerhard Hubatschek (Hrsg.): Irak-Krieg 2003. Folgerungen für Deutschland und Europa. Report Verlag, Frankfurt am Main 2003, 144 Seiten, kartoniert, 19 Euro

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