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I m Anfang war das Wort“, beginnt das anspruchsvollste der Evangelien. „Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Den Menschen blieb etwas zugleich Primitiveres und viel Gewaltigeres: das Bild. „Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist“, lautet deshalb das am häufigsten gebrochene der Zehn Gebote – ein göttliches Machtwort, das machtlos verhallen mußte gegen die Gabe, sich von der Welt eine Vorstellung zu machen und zu kommunizieren, ohne diese Welt erst „diskursiv“ verstehen zu müssen, wie man heute sagen würde. Bilder nicht nur zu machen, sondern zu machen, zu inszenieren und notfalls zu fälschen lernen, ist erst der zweite Schritt, aber ein unvermeidlicher: die Welt zu zeigen, wie sie scheinen soll. In dem Film ist zu sehen – grobkörnig, unscharf, aber um so realistischer – ,wie ein gefesselter Mann im orangefarbenen Overall von fünf maskierten Gestalten geköpft wird: Handelte es sich um eine Szene aus Quentin Tarantinos oder Takashi Miikes neuestem Werk, würden die einen von Transgression schwärmen und die anderen nach Zensur schreien. Nicht die Bilder als solche erschüttern die sogenannte Weltöffentlichkeit, sondern das (diskursive) Wissen, daß die Hinrichtung, die sie zeigen, wirklich geschehen und nicht mit Hilfe von computergraphischer oder maskenbildnerischer Trickserei, Schneidetechnik und künstlichem Blut in Szene gesetzt worden ist. Bilder erfassen, wie etwas aussieht, nicht aber, was es bedeutet; dazu bedarf es des Wortes. Manchmal versagt das Wort jedoch hilflos vor dem Bild, das wenn nicht Teufels-, so doch Menschenwerk ist. Die taz, sonst nicht für ihre Gottesfurcht bekannt, druckte am vergangenen Donnerstag, zwei Tage nachdem das Video von Nicholas Bergs Ermordung auf der Internetseite der islamistischen Gruppe Muntada al-Ansar veröffentlicht wurde, anstelle des Aufmacherfotos eine gräulich weiße Fläche mit der Bildunterschrift: „Es gibt eine Grenze. Wenn das Foto zur Mordwaffe wird, verbietet sich dessen Abdruck“. Quatsch. Nicholas Berg starb nicht daran, gefilmt zu werden; er starb, weil ihm der Kopf abgeschnitten wurde. Sein Blut floß erst langsamer, dann sprudelnd, sobald die Messerklinge ihm die Halsschlagader durchtrennt hatte, er muß grauenhaft gelitten haben – wäre es weniger pornographisch, dies zu schreiben und zu lesen, es sich vorzustellen, statt vor sich zu sehen? Wahr ist wohl, daß er nicht oder jedenfalls nicht so gestorben wäre, hätten seine Schlächter nicht an die Macht der Bilder geglaubt oder nicht über die Mittel verfügt, sich ihrer zu bedienen. Wahr ist auch, daß sich damit ein in der Kulturkritik seit Jahrzehnten gehegter Verdacht bewahrheitet: Wer „das Leiden anderer betrachtet“ (Susan Sontag), macht sich mitschuldig, der Voyeur wird zum „Erblickten“ (Roland Barthes), zum eigentlichen Objekt der Kamera. Der spectator, wie der Zuschauer auf englisch heißt, kann am Spektakel nie unbeteiligt sein. Wenn von der „Macht der Bilder“ die Rede ist, ist in Wirklichkeit die Macht über die Bilder gemeint – wer sie machen, wer sie zeigen, wer sie sehen darf. Das galt im Mittelalter, als die Kirche der Malerei ihre Motive vorschrieb, und es gilt im 21. Jahrhundert für die „eingebetteten“ Journalisten im Irak-Krieg. Durch die technische Entwicklung – allgemeiner Internetzugang, erschwingliche Digitalkameras, Mobiltelefone mit Sofortbildfunktion – ist diese Macht den Herrschenden teilweise entglitten, diffuser und unberechenbarer geworden. Daß Lynndie England, nach der inzwischen zahllose sadomasochistischen Praktiken gewidmete Seiten im Internet benannt sind, kaum zu wissen schien, was sie tat, als sie sich im Bagdader Foltergefängnis Abu Gharib mit einem irakischen Kriegsgefangenen wie einem Hund an der Leine knipsen ließ – „Warum ich auf diesen Bildern bin? Warum sind wir überhaupt auf irgendwelchen Bildern?“ philosophierte sie -, spielt keine Rolle. Um so genauer wußten Nicholas Bergs Mörder, warum sie als Rache nicht nur für die physische Mißhandlung und psychische Erniedrigung irakischer Kriegsgefangener, sondern für die zusätzliche Demütigung, daß deren Schande nun die Sensationslust westlicher Medienmacher und -konsumenten befriedigt, eine Videobotschaft mit dem Titel „Abu Mussab al-Sarkawi schlachtet einen Amerikaner“ drehten: Auge um Auge, Zahn um Zahn, heißt die jahrtausendealte Weisung, Bild um Bild die des neuen Jahrtausends. Die Antworten, die man der amerikanischen Soldatin zu geben geneigt ist, stammen aus dem medienwissenschaftlichen Grundstudium und sind ebenfalls irrelevant: zum Andenken, aus Geltungssucht, weil wir schließlich in einer Zeit leben, in der ein paar Klicks genügen, ein Bild um die Welt zu schicken, und in der nur noch real scheint, was bildlich gespeichert wird. Viel wichtiger als die Frage, wer welches Bild warum gemacht hat, ist die – nie vollständig kontrollierbare – Wirkung, die ein Bild auslöst, sobald es in Umlauf ist. Offenbar durchschauen und beherrschen die Krieger für eine vormoderne, bilderlose Welt diese Logik der Postmoderne besser als der durchschnittliche Amerikaner – auch deshalb war der 11. September ein solch enormes Trauma für den Westen. Bei diesem Wettrüsten geht es längst nicht mehr um Symbolik, die die Gewalt der Bilder für sich sprechen ließe – das darf in all der Aufregung über ihre unheilvolle Macht nicht untergehen. Am 10. September 1970 sprengte die Popular Front for the Liberation of Palestine in Kairo und auf dem jordanischen Flughafen Dawson’s Field drei simultan entführte Linienflugzeuge der Gesellschaften Swissair, TWA und BOAC in die Luft: eine perfekte Inszenierung der Ohnmacht gegenüber dem Terrorismus, dessen Willkür gerade hochtechnologisierte Staaten ausgeliefert sind. Zunächst in einen zivilisationsfeindlichen Wüstenraum verbracht, wurden die Maschinen – Sinnbilder des Luxus und der Arroganz, die Naturgesetze überwunden zu haben – vor laufenden Kameras spektakulär vernichtet. Menschen kamen damals nicht ums Leben – die vierhundert Passagiere und Besatzung wurden zuvor evakuiert. Nicholas Bergs Mörder hingegen wollten ihn nicht nur filmen, sondern auch köpfen – genauso wie Lynndie England und ihre Kollegen nicht nur Schnappschüsse fürs Familienalbum, sondern auch Iraker knechten wollten. In einem hat die taz recht: „Es reicht.“ In einer Welt, die sich längst an Bildern übersatt gesehen hat, sichert der Verzicht auf sie ihr weit mehr als nur die moralische Oberhand im täglichen Konkurrenzkampf der Medien um die Deutungshoheit – zumindest kurzfristig, bis nämlich das nächste Ereignis Schlagzeilen macht. Keine andere Zeitung kann die Wirkung dieses leeren Rahmens jetzt wiederholen, geschweige denn übertreffen. Kaum ein Leser wird dem Zwang oder der Verlockung widerstanden haben, ihn zu füllen. Foto: Besucher vor der Ausstellung des Kriegsfotografen James Nachtwey: Macht sich mitschuldig, wer das Leiden anderer betrachtet?

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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