Man kennt ihn als den ewigen Strahlemann, dem immer alles glückt. Wenn der britische Premierminister heute sein berühmtes Grinsen aufsetzt, wirkt es arg gequält. Einer der engsten Vertrauten, Robin Cook, von 1997 bis 2001 Außenminister und anschließend mächtiger Fraktionsvorsitzender von Labour, hat mit seinem Rücktritt am Montag die Regierung schwer angeschlagen. Dem Beispiel des charismatischen Cooks folgten am Dienstag zwei Staatssekretäre: John Denham legte seinen Posten im Innenministerium nieder, Lord Philip Hunt nahm seinen Abschied im Gesundheitsressort. „Schließlich und endlich unterstütze ich diese Militäraktion nicht, es wäre heuchlerisch, wenn ich in der Regierung bliebe“, meinte Hunt. Er wolle „keinen Präventivschlag mittragen, der ohne breite internationale Unterstützung und auch ohne eine klare Unterstützung seitens der britischen Bevölkerung ausgeführt wird“. Blaß und angespannt steht Blair aber schon seit einigen Tagen vor den Kameras der Pressemeute und müht sich um eine Erklärung, weshalb der bevorstehende Angriff auf den Irak trotz des Fehlens einer autorisierenden zweiten UN-Resolution nicht gegen das Völkerrecht verstoße. Keine leichte Aufgabe, selbst für den eloquenten Premierminister. Bis zuletzt wollte er das angedrohte Veto der Franzosen als „zickig“ verwerfen und wegen „Unvernunft“ nicht gelten lassen. Völkerrechtler schüttelten den Kopf, als Blair, der gelernte Anwalt, nach dem juristischen Strohhalm einer möglichen „moralischen Mehrheit“ im UN-Sicherheitsrat griff. Selbst mit härtestem Druck der USA ist es nicht gelungen, bei afrikanischen und südamerikanischen Staaten die nötigen neun UN-Stimmen einzusammeln. Frankreichs Obstruktion mag Blair ärgern und Rupert Murdochs Boulevardblatt Sun zu wütenden Ausfällen verleiten (der französische Präsident Chirac heißt dort nur noch „le Wurm“), Fakt ist, daß eine anglo-amerikanische Invasion de Irak nun ohne UN-Deckung sein wird. Das Scheitern einer zweiten Resolution im Sicherheitsrat krönt eine politische Pechsträne Blairs. Für seine Glaubwürdigkeit besonders schädlich war der Skandal um ein britisches Geheimdienstdossier zur angeblichen Bedrohung durch den Irak, das sich in weiten Teilen als Plagiat eines Studentenaufsatzes herausstellte. Nachträglich spricht der diplomatische Scherbenhaufen im Sicherheitsrat auch ein äußerst ungünstiges Urteil über Blairs Strategie, den Alleingang der USA abzufangen und Bushs Kriegspläne in multilaterale Bahnen zu lenken. Was gut gemeint war, hat den völkerrechtlichen Schaden noch vergrößert. Bald sprechen die Waffen, und Blair muß sich auf Feuer aus den eigenen Reihen gefaßt machen. Als „extraordinarily reckless“, also „äußerst unverantwortlich“, hat Entwicklungshilfeministerin Clare Short seine Irak-Politik bezeichnet. Blair müsse sich Sorgen machen um seine „eigene Zukunft und um seinen Platz in der Geschichte“, wetterte sie letzte Woche in einem BBC-Interview. Für den Fall eines Krieges ohne zweite UN-Resolution kündigte Short ihren Rücktritt an. Doch letzten Dienstag nahm die Altlinke und Vertraute von Schatzkanzler Gordon Brown ihre Ankündigung zurück – Brown gilt alsmöglicher Blair-Nachfolger. Daß Blair sie nach ihrer Tirade nicht umgehend aus der Regierung warf, werteten Beobachter als Zeichen von Schwäche. Anscheinend will er aber die Partei-Linke nicht weiter reizen und keine Märtyrer schaffen. Die Liste der ranghohen Labour-Politiker, die mit Rücktrittsgedanken spielen, ist lang und für Blair bedrohlich. Nachdem mit Cook bereits der erste Spitzenmann Konsequenzen gezogen hat, gelten auch Umweltminister Michael Meacher und Landwirtschaftsminister Lord Whitty als mögliche Fahnenflüchtige. Ende Februar wagten 121 Labour-Abgeordnete bei einer ersten Abstimmung zum Irak einen offenen Aufstand. Ihr Widerspruch damals wurde jedoch von Blair abgebügelt und das Parlament vertröstetet, ohne zweite UN-Resolution werde es keinen Krieg geben. Außerdem war allen klar, daß der Premierminister notfalls die Tory-Opposition – die seine Kriegspläne mehrheitlich unterstützt – an seiner Seite hätte. Labours Parteistrategen beobachten seit Wochen mit Sorge den Ärger der Basis. Nach Zeitungsberichten sind in den letzten Monaten bereits 40.000 Labour-Mitglieder wegen der Irak-Politik ausgetreten. Seit dem Höchststand von über 400.000 Mitgliedern im Jahr 1997 sei die Zahl also auf etwa 260.000 gesunken. Den verbliebenen sozialistischen Aktivistengruppen in der Labour-Partei steht Blair entschieden zu weit „rechts“, sei es in der Sozial- und Wirtschaftspolitik oder beim Thema Irak-Krieg. Und viele Hinterbänkler fürchten um ihre Wiederwahl in zwei Jahren, denn trotz aller Überredungskünste der Regierung bleibt die Bevölkerung skeptisch: Umfragen zufolge wendet sich die Mehrheit der Briten gegen einen Irak-Krieg. Wie weitverbreitet der Protest ist, zeigte sich Mitte Februar, als über eine Million Menschen im Londoner Hyde-Park demonstrierten – die größte Kundgebung seit Jahrzehnten. Bislang hat die Unzufriedenheit in der Bevölkerung aber kaum auf die Medien abgefärbt. Lediglich der linksliberale Mirror schlug sich auf die Seite der Kriegsgegner und schießt täglich Salven gegen Blair, das „Primemonster“, wie es kürzlich auf dem Titelblatt hieß. Kaum weniger primitiv ist die dröhnende Kriegsbegeisterung der Sun, die den Militäraufmarsch am Golf in heroischen Bildern dokumentiert. Eher nachdenklich zeigt sich dagegen die Times: „Das 20. Jahrhundert war das ‚Amerikanische Jahrhundert‘, aber wird das 21. Jahrhundert das ‚Anti-Amerikanische Jahrhundert‘?“. Matthew Parris, Kommentator der konservativen Traditionszeitung, fragt zweifelnd: „Unterstützen wir eigentlich einen langfristigen Sieger?“ Blairs Schicksal ist eng mit der Antwort darauf verflochten. Am 6. Mai wird er seinen 50. Geburtstag begehen. Die Karriere des bisherigen Glückskinds könnte bald ein abruptes Ende nehmen.
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